© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Wann sie streiten Seit’ an Seit’
Große Koalition: Vor der Kabinettsklausur knirscht es zwischen Schwarz und Rot nicht nur beim Thema Familiennachzug
Peter Möller

Das äußere Erscheinungsbild der neuaufgelegten Großen Koalition ist bereits wenige Wochen nach Amtsantritt arg ramponiert. Statt Tatendrang und Schaffenskraft standen vor der ersten Regierungsklausur Mitte dieser Woche im brandenburgischen Barockschloß Meseberg Streit und Mißtrauen im Mittelpunkt. Ob sich daran „nach Meseberg“ trotz der schönen Bilder und der demonstrativen Einigkeit grundsätzlich etwas ändern wird, werden erst die kommenden Wochen zeigen. Angesichts des anstehenden bayerischen Landtagswahlkampfes sind allerdings ernsthafte Zweifel angebracht, daß tatsächlich alsbald Frieden in dem schwarz-roten Zweckbündnis einkehrt. 

„Auf Schleichwegen zurück nach Deutschland“

Denn eine Ursache für die angespannte Stimmung sind die unterschiedlichen Interpretationen des Koalitionsvertrages. Im Mittelpunkt stand dabei in den vergangenen Wochen einmal mehr die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, genauer gesagt, die bereits während der Koalitionsverhandlungen hart umkämpfte Frage des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge. Im Koalitionsvertrag hatten die Sozialdemokraten der Union das Zugeständnis abgetrotzt, daß subsidiär geschützte Flüchtlinge ab August Mitglieder ihrer „Kernfamilie“, also Eltern, Ehepartner oder Kinder – nicht aber Geschwister – nach Deutschland nachholen können. Allerdings wurde die Zahl auf Druck der CSU auf monatlich 1.000 Nachzügler begrenzt. Die verbissen für einen möglichst weitreichenden Familiennachzug kämpfende SPD konnte mit dieser Regelung aber zumindest ihr Gesicht wahren.

Doch daß die Union vor allem in Gestalt von Innenminister Horst Seehofer (CSU) die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung zum Familiennachzug nicht als in Stein gemeißelt ansieht, deutete sich wurde kurz vor Ostern an, als Seehofers Ministerium den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs zur Abstimmung an die anderen Ministerien verschickte. Für die zuständigen SPD-Politiker wurde dabei schnell klar, daß mit dem Gesetzestext versucht werden soll, die monatliche Zahl der Familiennachzügler möglichst deutlich unter die vereinbarte Höchstgrenze von 1.000 Personen zu drücken. Dazu soll den Behörden die Möglichkeit gegeben werden, Anträge auf Nachzug abzulehnen, wenn beispielsweise die betroffenen Flüchtlinge in Deutschland von Hartz IV leben und weder für sich noch für ihre Angehörigen den Unterhalt bestreiten können. 

Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka wertete dies als klaren Versuch, die Nachzugsmöglichkeiten einzuschränken. Einen Nachzug „nach Geldbeutel“ werde die SPD nicht mitmachen, warnte er in der vergangenen Woche. In SPD-Kreisen machte sogar das Wort von einem Koalitionsende die Runde. Seehofer ruderte schließlich zurück und ließ versichern, die geplante Neuregelung sehe gar „keinen Ausschluß“ von Nachzüglern vor, deren Angehörige von Grundsicherung leben. Beobachter in Berlin vermuten hinter dem Scharmützel indes eine wohlkalkulierte Provokation des erfahrenen CSU-Politikers, um das Profil seiner Partei vor der Landtagswahl in Bayern zu schärfen.

Auch ein weiterer geplanter Gesetzentwurf aus dem Hause Seehofer sorgt für Unmut beim Koalitionspartner. Nach Plänen des Innenministeriums soll Dschihadisten, die über einen Doppelpaß verfügen, die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden. Das sei „ein vordringliches Ziel“, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Er rechne mit einem Gesetzentwurf „auf jeden Fall im ersten Jahr der Regierung“. Anlaß für die Pläne sind Befürchtungen, daß Anhänger des sogenannten „Islamischen Staats“ aus dem Irak und Syrien nach Deutschland zurückkehren und hier Anschläge verüben könnten. 

Doch gegen den Gesetzentwurf, der die Möglichkeit zur Ausbürgerung schafft, formiert sich Widerstand. Denn die Sozialdemokraten vermuten, daß es der CSU bei dem Gesetzentwurf nicht in erster Linie um den Kampf gegen Terroristen, sondern grundsätzlich um die von ihr ungeliebte doppelte Staatsbürgerschaft geht. „Dagegen werden wir uns wehren“, kündigte denn auch SPD-Innenexperte Lars Castellucci im Handelsblatt an. Der CSU-Vorschlag sei „dem Bereich der Symbolpolitik“ zuzuordnen: „In einer Gesamtstrategie zur Terrorbekämpfung ist ein Verlusttatbestand, wenn überhaupt, nur ein winziger Baustein. Wenn man jemandem die Staatsbürgerschaft entzieht, ist er nicht weg“, gab Castellucci zu bedenken: „Die Leute können auf Schleichwegen zurück nach Deutschland kommen. Es ist besser, Gefährder im Blick zu behalten.“ Die SPD fordere stattdessen mehr Personal und eine bessere Ausstattung für die Sicherheitsbehörden. In Berlin wird darauf verwiesen, daß die Große Koalition doch gerade erst beschlossen hat, derzeit nicht besetzte Stellen bei der Polizei zu streichen, um 209 neue Posten in den Berliner Ministerien zu schaffen (JF 13/18). Dabei waren sich Union und SPD übrigens ausnahmsweise einmal einig.