© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Der Verrat in den Hinterzimmern
Wie die ÖVP-Regierung unter Leopold Figl nach 1947 die Südtirol-Frage zugunsten Italiens löste
Stefan Huber

Das Kriegsende und der Fall des Faschismus brachte Zuversicht nach Südtirol. Endlich, hoffte die Bevölkerung, würde man mit Nord- und Osttirol wiedervereint. Doch es kam anders. Der Historiker und Publizist Helmut Golowitsch führt den Leser von der unmittelbaren Nachkriegszeit zur ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus im Jahr 1966. Besonderes Augenmerk liegt auf der Geheimdiplomatie zwischen der Democrazia Cristiana (DC) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP).Der Band ist der erste in einer neu erscheinenden Schriftenreihe zur Südtiroler Zeitgeschichte. Der zweite Band soll in Kürze unter dem Titel „Die christdemokratische Beerdigung der Südtirol-Frage 1966–1969. Wie Rom Wien erpreßte und sich die Regierung Klaus willig ergab“ erscheinen.

Der Autor beginnt seine Ausführungen mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Spannungsfeld zwischen Ost und West entstanden 1947 die Nouvelles Équipes Internationales (NEI), ein europäischer christdemokratischer Dachverband, in dem auch Österreich und Italien vertreten waren und Politiker der italienischen DC und der österreichischen ÖVP direkte Kontakte miteinander pflegen konnten.

Im Rahmen dieser Zusammenarbeit kam es zu geheimen Zugeständnissen durch einige ÖVP-Politiker, die zwar öffentlich von der „Herzensangelegenheit Südtirol“ sprachen, aber dabei gleichzeitig hinter verschlossenen Türen den italienischen Christdemokraten bestätigten, daß diese Südtirol bei Italien behalten könnten. Aus Sicht gewisser ÖVP-Funktionäre in Wien stellte Südtirol eine lästige Hypothek dar, welche die Beziehungen zwischen Italien und Österreich unnötig erschwerte. Insbesondere störten sie die Verhandlungen zum Eintritt Österreichs in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Dabei wurde die Tiroler Landesorganisation der ÖVP gezielt übergangen, da im Bundesland Tirol die Verbindung zu den Landsleuten im Süden besonders stark war.

Genau in diesen für Südtirol entscheidenden Jahren vermittelte Rudolf Moser, ein Kärntner Unternehmer dank seiner exzellenten Kontakte zu führenden Christdemokraten in Rom und Volkspartei-Funktionären in Wien als inoffizieller Diplomat zwischen den beiden Staaten und wurde bald zur grauen Eminenz der österreichischen Italienpolitik.

Rudolf Moser war ein enger Jugendfreund von Leopold Figl, dem Bundeskanzler zwischen 1945 und 1953 sowie Außenminister von 1953 bis 1959. Unter dem Deckmantel seiner unternehmerischen Tätigkeit als Pappeproduzent konnte Moser fernab offizieller Kanäle eine Geheimdiplomatie zwischen Bundeskanzler Figl und Ministerpräsident Alcide De Gasperi etablieren. Während der österreichische Außenminister Karl Gruber bei der Pariser Friedenskonferenz 1946 denkbar schlecht verhandelte und vorzeitig eine Volksabstimmung in Südtirol – seinen Trumpf im Ärmel – aufgab, traf sich Rudolf Moser heimlich in Rom mit De Gasperi, um über eine Wiederaufnahme des Güterverkehrs und eine Vertiefung der christdemokratischen Freundschaft zwischen Wien und Rom zu sprechen. Die Südtirolfrage ließe sich dabei mit einer Autonomie statt einer Wiedervereinigung mit Österreich lösen.

All dies geschah mit Wissen von Bundeskanzler Figl, während weder Außenminister Gruber noch die Tiroler ÖVP darüber informiert wurden. Der erfahrene Politiker De Gasperi wußte diese offensichtliche Verhandlungsschwäche Österreichs für sich zu nutzen, wodurch es zum folgenschweren Gruber-De Gasperi-Abkommen kam, das Südtirol lediglich eine schwache Scheinautonomie gewährte, was in den folgenden Jahren zu immer stärkeren Spannungen bis hin zu den „Bombenjahren“ Anfang der Sechziger führen sollte.

Rudolf Moser führte seine verdeckten paradiplomatischen Aktivitäten fort und fädelte geheime persönliche Treffen zwischen Ministerpräsident De Gasperi und Bundeskanzler Figl ein: ein Treffen im August 1951 in einem Gasthof am Karerpaß in Südtirol und ein zweites Treffen im August 1952 in Mosers Haus in Kärnten. Von beiden Unterredungen gibt es keine Protokolle, „man kann nur registrieren, daß ab nun jegliches Engagement der österreichischen Bundesregierung zum Erliegen kam, während die Mißstimmung in Tirol weiter anwuchs“.  Über diese Treffen wurden wiederum weder Süd- noch Nordtiroler Politiker informiert.

1953 verlor Figl zwar die Kanzlerschaft an seinen Parteifreund Julius Raab, wurde aber Außenminister, wodurch Moser hinter den Kulissen die österreichisch-italienische Freundschaft weiterhin zementieren und Südtiroler Forderungen torpedieren konnte. Erst als 1959 der Sozialdemokrat Bruno Kreisky das Außenministeramt übernahm, setzte sich die österreichische Bundesregierung aktiv für den abgetrennten Landesteil ein und brachte die Südtirolfrage vor die Uno – der Grundstein für jeden weiteren Verhandlungsfortschritt.

Zu einer dramatischen Wende in der österreichischen Südtirol-Politik kam es wiederum 1966, als die ÖVP 1966 die absolute Mehrheit erreichen konnte und Kreisky als Außenminister abgelöst wurde. Durch einen Zufall erhielt Golowitsch Zugang zum Privatarchiv von Rudolf Moser. Er arbeitete dieses wissenschaftlich auf und übergab die Originaldokumente dem Österreichischen Staatsarchiv und eine Kopie dem Tiroler Landesarchiv. Dadurch ist seine Arbeit nicht nur überprüfbar, sondern bietet Historikern umfangreiches, bisher unbekanntes Quellenmaterial.

Der Autor versteht es in seinem Buch, Historiker und Geschichtsinteressierte gleichermaßen anzusprechen. Die Dokumente aus Mosers Privatarchiv bettet er gekonnt in ein Gerüst von Hintergrundinformationen, Zeitungsberichten, Zeugenaussagen und sonstigen Quellen ein, so daß sein Werk auch ohne detailliertes Vorwissen gelesen werden kann. Galt Wien bisher als stets verläßlicher Partner Südtirols, so muß die damalige Position einiger führender ÖVP-Politiker vollkommen neu bewertet werden.

Helmut Golowitsch: Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte. Leopold Stocker Verlag, Graz 2017, gebunden, 607 Seiten, Abbildungen, 34,80 Euro