© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Lizenzen zum Töten
Eine Übersicht der bekanntesten Geheimdienste: Gibt es die fiktive Erlaubnis für James Bond, feindliche Agenten zu beseitigen, in der Wirklichkeit?
Marc Zoellner

Der heimtückische Mordversuch an Sergej Skripal schlägt ungeahnt hohe Wellen: Zwar ist noch immer ungeklärt, wer die Nervengiftattacke auf den russischen Ex-Agenten und seine 33jährige Tochter Julia Anfang März im englischen Salisbury zu verantworten hat. Dennoch ließ die Antwort der Londoner Regierung und ihrer Verbündeten nur wenige Tage auf sich warten. Gleich 17 EU-Mitgliedsstaaten – Österreich nicht – haben mittlerweile damit begonnen, russisches Botschaftspersonal auszuweisen. 

Auch die Vereinigten Staaten kündigten gut hundert russischen Diplomaten deren Aufenthaltsgenehmigung, während Polen vergangene Woche medienwirksam einen mutmaßlichen Agenten verhaften ließ – einen mit „Zugang zu zentralen Informationen zu Energieprojekten, welche die polnische Regierung betreibt“, wie Warschau verlauten ließ.

Lange Jahre war der Dienst der Außenaufklärung (SWR), wie der russische Auslandsgeheimdienst offiziell heißt, für westliche Medien kaum ein Thema. Das änderte sich spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten: In sozialen Netzwerken habe Rußland aktiv für Trump als Kandidaten konspiriert, so der Vorwurf des ermittelnden FBI. Mittels Cyberattacken hätten sich russische Spione überdies Zugriff auf US-amerikanische und europäische Atomkraftwerke verschafft, veröffentlichte die New York Times Mitte März. „Sie waren da, und sie besitzen jetzt die Möglichkeit, den Strom einfach auszuschalten“, bestätigte Eric Chien vom IT-Sicherheitsriesen Symantec der NYT. „Alles, was ihnen jetzt noch fehlt, ist die politische Motivation.“

Politisch hoch motiviert dürften die 13.000 Mitarbeiter des SWR, deren Hauptsitz sich im malerisch grünen Jasenewo südlich Moskaus befindet, durchaus sein. Immerhin sieht sich die 1991 aus dem damals aufgelösten KGB hervorgegangene Behörde – anders als ihre beiden Schwesterorganisationen für Inneres (FSB) und Militärisches (GRU) – als direkter Nachfolger der legendären sowjetischen Spionageeinheit. 

Die Liquidation von Überläufern und feindlichen Agenten zählt indes, zumindest nach Moskaus offizieller Darstellung, nicht zum Geschäft des SWR. Bekanntheit erlangte der SWR im vergangenen Jahrzehnt vielmehr mit Industriespionage, mit Cyberangriffen auf westliche Regierungsstellen sowie mit dem Aufbau von Agentenringen, rekrutiert aus den Reihen russischer Emigranten, im Ausland – so wie jenem um die Immobilienmaklerin Anna Chapman, der 2010 in New York vom FBI gesprengt wurde.

Eine „Lizenz zum Töten“ existiert nicht beim MI6. Der 1909 gegründete britische Auslandsgeheimdienst hat sich einem für Agentenkreise ungewohnt hohen ethischen Kodex verschrieben. Seinen Agenten, erklärte Sir Richard Dearlove, der von 1999 bis 2004 den MI6 leitete, in einem seiner wenigen öffentlichen Interviews, seien im Ausland weder Taten erlaubt, die in Großbritannien illegal sind, noch seien Dritte hierzu anzustiften. Eine Tötung gefährlicher Personen sei theoretisch zwar denkbar. Benötigt würde dazu allerdings die Einwilligung des britischen Außenministeriums. Und diese, so Dearlove, habe es in seiner 38jährigen Karriere als Spion seiner Majestät kein einziges Mal gegeben. 

In jüngster Zeit war einzig Afghanistan von dieser Regelung ausgenommen, wo dem MI6 nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 gegen hochrangige Al-Qaida-Mitglieder auch „Capture or kill“-Aufträge gestattet sind: die Gefangennahme also oder eben Tötung der entsprechenden Ziele der britischen Außenaufklärung.





Mossad (Israel)

Wenige Stunden brauchte der israelische Auslandsgeheimdienst für sein Dementi, als am 14. Januar diesesJahres die Explosion einer Autobombe die libanesische Hafenstadt Sidon erschütterte. „Wenn Israel beteiligt gewesen wäre“, verkündete Israel Katz, Minister für Nachrichtendienste, im Interview mit dem Rundfunksender der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF), „hätte es nicht mit einem Leichtverletzten geendet.“ Gemeint war der Anschlag auf Mohammed Omar Hamdan, einen hochrangigen Vertreter der radikalislamischen Hamas, welcher vom Libanon aus operierte – und beim Anschlag auf sein Fahrzeug nur knapp mit dem Leben davonkam.

Früh hatten libanesische Sicherheitskräfte den Mossad in Verdacht, das Attentat ausgeführt zu haben: genauer gesagt dessen mysteriöse Unterabteilung „Kidon“, die im Auftrag des im Dezember 1949 gegründeten israelischen Auslandsgeheimdienstes agiert. Über Kidon ist der Öffentlichkeit nur wenig bis gar nichts bekannt. Das hat gute Gründe: Immerhin arbeiten hier circa 75 hochprofessionelle Attentäter im Auftrag des jüdischen Staates. Rekrutiert wird einzig aus den Spezialkräften der IDF, die im Anschluß neben intensiven Sprachtrainings auch eine zweijährige physische Ausbildung in der Negev-Wüste zu absolvieren haben. Sie operieren in vier-Mann-Zellen im Ausland, oftmals über Jahre hinweg und auf ein einziges Ziel eingestellt: das Auskundschaften und Eliminieren von führenden Hamas- und Hisbollah-Aktivisten im Ausland, ebenso wie von iranischen Atomwissenschaftlern.

Zuletzt sollen dem Kidal – dessen Beteiligung an diesen Anschlägen von der israelischen Regierung prinzipiell weder bestätigt noch dementiert wird, um ihr Drohszenario aufrechtzuerhalten – im Dezember 2017 Mohammed Al Zawari, Chef des Hamas-eigenen Drohnenprogramms im tunesischen Sfax, 2013 Hassan al-Laqqis, Militärkommandeur der Hisbollah in Beirut, sowie Anfang 2012 Mostafa Ahmadi-Roshan, leitender Nuklearforscher in Teheran, zum Opfer gefallen sein.





Ministerium für Staatssicherheit (China)

Daß das bevölkerungsreichste Land der Erde auch den mitgliederstärksten Geheimdienst unterhält, dürfte kaum überraschen. Doch wo genau die chinesischen Spione ihr Werk verrichten, dürfte verblüffen: Denn nur die Hälfte der geschätzten einhunderttausend Agenten der KP Chinas hält sich überhaupt auf chinesischem Boden auf. Der Rest hat sich über den Globus verstreut und verrichtet sein Werk in über 200 Ländern. Vor allem ist China  mit umgerechnet rund 1,7 Billionen Euro Exportweltmeister und mit allein 70 Milliarden Euro an Krediten an afrikanische Staaten seit der Jahrtausendwende der größte staatliche Investor in den Ländern der Dritten Welt.

Im Schlepptau der Pekinger Subventionen gelang es dem im Juli 1983 gegründeten Ministerium für Staatssicherheit (MSS) sowie seinen siebzehn Unterbüros, sich sein ganz eigenes Netzwerk aufzubauen: zum Großteil, um eigenständig Agenten im Rahmen der chinesischen Wirtschaftspionage anzuwerben. So dienten einer Untersuchung des FBI zufolge allein in den Vereinigten Staaten über 3.000 Unternehmen als Tarnfirmen für das MSS. Neu-Delhi wiederum beschuldigt den chinesischen Geheimdienst, Dutzende Studienzentren an der nepalesischen Grenze zu Indien als Spionagevorposten gegen den Subkontinent zu nutzen. In Äthiopien soll der staatseigene Baukonzern Chinas (China State Construction Engineering) einem Bericht  von Le Monde  zufolge  die Computer des von China errichteten neuen Hauptquartiers der Afrikanischen Union in Addis Abeba verwanzt haben, um deren Daten nach Shanghai zu kopieren.

Auch Deutschland ist Ziel chinesischer Spionage: In Netzwerken wie Xing und LinkedIn werben chinesische Agenten – getarnt als Headhunter – gezielt Mitarbeiter großer Firmen sowie von Ministerien an, um deren Informationen abzuschöpfen. „Bei mehr als 10.000 deutschen Staatsangehörigen ist es zu derartigen Kontaktversuchen gekommen“, bestätigte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Ende 2017. Die Dunkelziffer, so das BvF, dürfte noch weitaus höher liegen – und für einen volkswirtschaftlichen Schaden von 20 bis 50 Milliarden Euro jährlich sorgen.





Research and Analysis Wing (Indien)

Für Islamabad lag die Sache auf der Hand: Mit der Verhaftung von Kulbhushan Jadhav im März 2016 in der westpakistanischen Provinz Belutschistan sei den Sicherheitsbehörden einer der ganz großen Fische des Research and Analysis Wing (RAW), des indischen Auslandsgeheimdienstes, ins Netz gegangen. Jadhav, vormals Offizier der indischen Marine, zeigte sich sogleich auch geständig – mit gefälschtem Paß über die iranische Grenze nach Pakistan eingedrungen zu sein, um in der Unruheprovinz von Belutschistan, deren ethnische Minderheit seit Jahrzehnten einen blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Islamabad führt, Guerillaeinheiten ausgerüstet und einen Anschlag auf den Hafen von Karatschi geplant zu haben. Doch Indien dementierte: Pakistans Geheimdienst ISI habe vielmehr einen indischstämmigen Rentner aus dem Iran entführt, um neuere Aggressionen Islamabads gegen Neu-Delhi zu rechtfertigen. Eine Version, welche der Iran allerdings nicht stützt.

Eisig bis offen feindselig waren schon immer die Beziehungen zwischen Neu-Delhi und seinem muslimischen Nachbarn: Mehrere Kriege hat Indien schon gegen Pakistan geführt, ebenso wie gegen China als pakistanischem Verbündeten. Im Zuge dieser Konflikte rief die damalige indische Premierministerin Indira Gandhi 1968 den RAW ins Leben: um militärische Aufklärung zu betreiben – eines der vier Auslandsbüros ist ausschließlich für Pakistan verantwortlich, ein weiteres für China. In erster Linie um die Operation Smiling Buddha, das indische Atomwaffenprogramm der 1970er Jahre, vor der Weltöffentlichkeit zu verschleiern, schließlich um die pakistanischen Infiltrationen in indische Konfliktgebiete wie Kaschmir mit verdeckten Gegenoffensiven zu vergelten. So half der RAW maßgeblich bei der Bewaffnung Bangladeschs, als dieses sich von Pakistan lösen wollte. Mit der Ernennung Anil Dhasmanas vor einem Jahr zum neuen RAW-Vorsitzenden dürfte Pakistan weiterhin im Fokus der mit dem Mossad und der CIA gut vernetzten indischen Agenten bleiben. Denn immerhin sind die Spezialgebiete des ehemaligen Polizeifunktionärs auf der einen Seite die Bekämpfung islamisch motivierter Terrorakte – und andererseits die pakistanische Provinz Belutschistan.





Central Intelligence Agency (USA)

Wohl kein anderer Geheimdienstler erfreut sich so hoher Popularität in Filmen und Romanen wie die Agenten der US-amerikanischen CIA: Seit Jahrzehnten gilt die CIA als Inbegriff skrupelloser Auslandsspione, deren Aufgabenspektrum von der Eliminierung gefährlicher Terroristen bis hin zum Sturz ganzer Regierungen reicht. Und tatsächlich entbehrt kaum etwas davon eines Fünkchens an Wahrheit.

Zuletzt wurde dies mit der Nominierung Gina Haspels als Nachfolgerin des scheidenden CIA-Direktors Mike Pompeo durch US-Präsident Donald Trump Mitte März dieses Jahres deutlich: Ihre Kritiker werfen der studierten Sprach- und Journalismuswissenschaftlerin vor, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht nur eines der berüchtigten CIA-Foltergefängnisse in der thailändischen Hauptstadt Bangkok geleitet, sondern  deren Foltermethoden des Schlafentzugs und Waterboardings an inhaftierten Al-Qaida-Mitgliedern im nachhinein auch verschleiert zu haben – so beispielsweise durch die Zerstörung von 92 Videobändern, auf denen diese Praktiken von der CIA dokumentiert worden waren. Die „Firma“ sieht hierin jedoch kein moralisches Dilemma: Immerhin hielt sie sich strikt an präsidiale Vorgaben.

Strikt an Vorgaben zu halten haben sich übrigens auch potentielle Bewerber auf einen der hoch begehrten Jobs im George Bush Center for Intelligence, dem Hauptsitz der CIA in Langley, Virginia: Ohne ein abgeschlossenes Studium – bevorzugt in den Bereichen Sprachen, Telekommunikation und Informatik – sowie eine feste Berufsbindung im privatwirtschaftlichen oder militärischen Bereich kommt hier niemand rein. Gut 23.000 Mitarbeiter zählt die Firma derzeit. Die wenigsten arbeiten jedoch noch in übers Ausland verstreuten Zellen. Denn die Auslandsaufklärung der Zukunft, lobt die Firma ihre Methodik, sei aus der computergestützten Kommandozentrale ungemein effizienter: mittels Auswertung von Satellitenbildern, von abgefangenen Mails und Telefonanrufen – sowie dem fortgesetzten Krieg gegen den Terror mit unbemannten, von den Agenten aus Langley, Virginia, gesteuerten Drohnen.

Foto: Salisbury, 19. März 2018: Britische Polizisten und Militärs ermitteln im Fall des mutmaßlichen Nervengiftangriffs auf den Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia