© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Die „große Schlacht“ des Viktor Orbán
Ungarn: Kurz vor den Parlamentswahlen spielt der Fidesz-Chef die nationale Karte und droht der Opposition
Curd-Torsten Weick

Geht es nach Viktor Orbán, dann entscheidet der 8. April über das „Schicksal Ungarns“. Bei dieser Parlamentswahl stünden nicht nur „vier Jahre auf dem Spiel“, so der ungarische Ministerpräsident vor Hunderttausenden Anhängern, die sich am 15. März anläßlich des 170. Jahrestages der Revolution gegen die Habsburger im Jahr 1848 vor dem Budapester Parlament  versammelt hatten. Viel hätten die Ungarn in den vergangenen dreißig Jahren gemeinsam vollbracht. Viele große Kämpfe und viele erinnerungswürdige Schlachten hätten die „nationalen und demokratischen“ Kräfte gemeinsam ausgefochten. Doch nun stehe die „größte Schlacht“ bevor. „Meine lieben Freunde“, so Orbán weiter: „Man will uns unser Land nehmen. Nicht mit einem Federstrich wie vor hundert Jahren in Trianon.“ 

Orbán warnt: Christliches Europa in Gefahr

Nun arbeiteten „externe Kräfte, internationale Mächte“ und deren „Handlanger“, daran, daß „wir unser Land“ an „Fremde, die unsere Sprache nicht sprechen, unsere Kultur, unsere Gesetze und unsere Lebensform nicht respektieren“, verlieren.  Nun, so Orbán weiter, gehe es aber vor allem darum, die eigene Welt zu verteidigen – nicht nur gegen ausländische Konzerne, sondern vor allem auch gegen von inländischen Oligarchen gesponserte Medien sowie gegen das Netzwerk von internationalen Spekulanten finanzierter NGOs, für die der Name George Soros stehe.

Der US-amerikanische Multimilliardär mit ungarischen Wurzeln und seine „Open Society Foundation“ sowie die Central European University in Budapest stehen seit langem im Fokus des Wahlkampfes der ungarischen Regierungsparteien Fidesz (Jungdemokraten-Bürgerbund) und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP). Entsprechend bezeichnete der Premier im staatlichen Kossuth Rádió die von Soros finanzierten Pro-Migrations-Organisationen als „größte Feinde“ Ungarns und Europas. Deren christliches Erbe und christliche Kultur stünden auf dem Spiel.

Seit acht Jahren regiert das Bündnis aus Fidesz-MPSz/KDNP das Land im Karpatenbecken – anfangs mit Zweidrittelmehrheit der Parlamentssitze. Nach der Parlamentswahl 2014 ging diese jedoch im Februar 2015 verloren. Bei den Nachwahlen im Komitat Veszprém blieb ein Großteil der Fidesz-KDNP-Anhänger den Wahlurnen fern. Entsprechend punktete die linke Opposition, die im Wahlkreis Weißbrunn (Veszprém 1) einen unabhängigen Kandidaten durchbrachte. Im Wahlkreis Veszprém 3 punktete überraschend die „Bewegung für ein besseres Ungarn“ (Jobbik). Diese galt zumindest bis 2015 als rechtsextrem, wurde seitdem jedoch von Parteichef Gábor Vona ideologisch-programmatisch „verbürgerlicht“. 

Dem Regieren in Budapest tat dies indes noch keinen Abbruch, wenngleich es für die Bündnispartner ein erstes Warnzeichen war. Nach der Bürgermeisternachwahl im südungarischen Hódmezovásárhely schrillten bei Fidesz aber die Alarmglocken. Ausgerechnet im sicher geglaubten Wahlkreis des Kanzleramtsministers János Lázár konnte sich der Oppositionskandidat als Bürgermeister durchsetzen.  

Erstmals hatten die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP), die von ihr abgespaltene „Demokratische Koalition“ (DK) des vormaligen sozialistischen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány, die bisweilen rötlich schimmernden Grünen unter dem Namen „Politik kann anders sein“ (LMP) sowie Jobbik erfolgreich kooperiert, um Orbán zu stürzen. 

Doch ein solches oppositionelles Zusammenwirken bleibt eine Illusion. Denn die Parteien sind nicht in der Lage, eine in sich geschlossene „Anti-Orbán-Formation“ zu bilden und in den Direktwahlkreisen die Wähler zur Stimmabgabe für den jeweils aussichtsreichsten Bewerber einer Partei aufzufordern.

Persönliche Animositäten legen Opposition lahm 

So war die postkommunistische MSZP nach dem Rücktritt ihres Kurzzeit-Spitzenkandidaten László Botka nicht einmal in der Lage, einen passablen Ersatz zu präsentieren und mußte sich von der Kleinstpartei „Dialog“ (Párbeszéd) – einer Abspaltung der LMP – deren Führungsmann Gergely Karácsony ausleihen.

Die größte Uneinigkeit zwischen MSZP, DK, LMP und Párbeszéd besteht darin, inwieweit Jobbik in die Kooperation einzubeziehen sei. So sieht die LMP zwar „Welten“ zwischen sich und Jobbik, hält aber dafür, daß eine parlamentarische Mehrheit zur Ablösung der seit zwei Legislaturperioden im Amt befindlichen Orbán-Regierung ohne  Jobbik unrealistisch sei. Während sich Karácsony sogar „mit dem Teufel verbünden“ würde, „um Fidesz zu schlagen“, will Gyurcsánys DK „kein Ungarn, in dem Vona Regierungschef wäre“.

Zwar gebe es innerhalb des Anti-Orbán-Blocks keine unüberwindbaren programmatischen Punkte, die einer sachliche Zusammenarbeit entgegenstünden, doch gerade die „vielen persönlichen Animositäten zwischen den Spitzenkräften der Orbán-Herausforderer“ machten diese zunichte, erklärt der Chefredakteur der Budapester Zeitung Jan Mainka.

Doch solange die Gräben zwischen den Orbán-Herausforderern tiefer seien als ihr Leidensdruck bezüglich einer weiteren Amtszeit der Orbán-Regierung, brauche sich Fidesz eigentlich keine größeren Sorgen zu machen. Allerdings, so Mainka weiter, sollte Orbán besser alles unterlassen, um diesen Leidensdruck künstlich zu vergrößern. In diesem Sinne, so Mainka weiter, sei  Orbáns Warnung vor der großen Abrechnung nach seinem Wahlsieg eher kontraproduktiv. Dabei sei es nebensächlich, ob sich die Aussage tatsächlich nur auf einige zukünftige Prozesse wegen Rufschädigung beziehe, wie von Fidesz-Seite im nachhinein klargestellt wurde, oder nicht. Von der Opposition wurde dieser Satz als Drohung und Ankündigung größerer „Säuberungen“ interpretiert und damit nebenbei noch kräftig die Wahlkampftrommel gerührt.

Orbán hatte am Nationalfeiertag (15. März) nicht nur Soros den Kampf angesagt, sondern seinen Anhängern zugerufen: „Wir sind friedliche und freundliche Menschen, aber wir sind keine Tölpel. Nach den Wahlen werden wir moralische, rechtliche und politische Vergeltung üben.“

Abseits dieser Thematik, so der Chef der Budapester Zeitung, agiere der Fidesz deutlich unternehmensfreundlicher als seine Herausforderer. Zudem kümmere sich Fidesz eher um die wirtschaftlich bessergestellten Wähler (so etwa mit dem günstigen Einheitssatz bei der Einkommensteuer) als seine Herausforderer, die wesentlich stärker die armen Schichten im Fokus haben. Aufgrund all dieser Gegebenheiten, so Mainka abschließend, sei Fidesz gezwungen, erneut mindestens die absolute Mehrheit zu erringen.