© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Unbenannte Ursachen
Neuer Antisemitismus: Richtige Reaktionen bleiben aus ideologischen Gründen aus
Thorsten Hinz

Juden in Deutschland sind zunehmend physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Sie betrifft sie als Individuen und als religiöse Gemeinschaft. Die ehemalige Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch konstatiert: „Regelmäßig werden jüdische Einrichtungen, Synagogen und Friedhöfe geschändet, werden öffentlich zugängliche Ausstellungen und Installationen mutwillig beschädigt oder zerstört.“ Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Sigmount Königsberg, klagte, ein unbefangenes Auftreten sei Juden in der Hauptstadt nicht mehr möglich. 

Der wahrlich nicht zu Panikmache neigende Historiker Michael Wolffsohn äußerte in einem Interview, er kenne viele Juden, die mit dem Gedanken spielten auszuwandern. „Die sind deutlich jünger als ich“, so der 70jährige, „und sagen, daß sie ihrer Kinder wegen nach Israel ziehen. Andere erzählen, daß sie sie nicht mehr in öffentlichen Kindergärten und Schulen anmelden. Aus Angst vor Prügel und Mobbing.“ Sein Befund ist eindeutig: „Gewalt gegen Juden geht ausschließlich von Muslimen aus.“

Die Juden in Deutschland teilen den Sicherheitsverlust, der durch die massierte Zuwanderung aus dem afrikanisch-arabischen Raum eingetreten ist. Die Deutschen, Juden wie Nichtjuden, sehen sich mit dem Dominanzstreben gewaltaffiner muslimischer Einwanderer konfrontiert. Die Opferposition der Juden ist dabei eine exponierte: Während nichtjüdische Deutsche als schwaches und verfügbares Beutekollektiv betrachtet und behandelt werden, gibt es gegenüber den Juden noch eine politisch und religiös motivierte Aversion. Wieviel mörderisches Potential sie in sich birgt, zeigt ein Blick nach Frankreich, wo Islamgläubige sich mehrfach mit exzessiver Grausamkeit an Juden vergingen. Selbst in ihren Wohnungen können sie sich nicht mehr sicher fühlen. Inzwischen gibt es eine regelrechte Auswanderungswelle nach Israel. 

Lange haben Politik und Medien sich der Wahrheit verweigert. Noch immer wirkt in Deutschland der unselige „Aufstand der Anständigen“ nach, den Kanzler Schröder nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000 „gegen Rechts“ ausrief. Obwohl bald arabischstämmige Täter ermittelt wurden, steht die Reflexion, Aufarbeitung und Korrektur dieser grundsätzlichen Fehlkonditionierung der deutschen Innenpolitik bis heute aus. Auch in der Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom Januar 2018 wird gegen alle Tatsachen behauptet, daß der „größte Teil antisemitischer Delikte (...) weiterhin rechtsextrem motiviert“ sei. Verschämt wird hinzugefügt, daß „durch Zuwanderung ein verstärkter Antisemitismus aus den Ländern Nordafrikas, dem Nahen und Mittleren Osten (hinzutritt), in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit einen besonderen Nährboden haben“. Aus der falschen Setzung der Prioritäten folgen falsche Entschlüsse. Nicht die Zuwanderung soll gestoppt, sondern „das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus weiterhin umfassend“ gefördert, also der irrationale „Kampf gegen Rechts“ verstärkt werden.

Sogar bei den Tätern, die im Sommer 2016 messerschwingend und unter „Allahu Akbar“-Rufen in die Praxis eines vermeintlich jüdischen Arztes bei Bonn eindrangen und bekundeten, schon viele Juden abgestochen zu haben, leugneten Behörden und die im Unterwerfungsmodus agierenden Medien einen religiösen oder politischen Hintergrund. Überhaupt ist es eine beliebte Methode, islamistische Täter als psychisch labil zu entschuldigen. Der Wahnsinn hat Methode. Um die Fehler im System der ethnisch-kulturellen Neuaufsiedlung Deutschlands zu vernebeln, wird seine blutige Dysfunktionalität auf die psychische Fehlfunktion einzelner zurückgeführt. Mit dem Ergebnis, daß die Logik islamistischer und antisemitischer Gewalt die Gesellschaft kontaminiert und sich Angst ausbreitet.

Von der politisch-medialen Klasse ist keine Hilfe zu erwarten, denn sie ist gefangen in den eigenen Fehlentscheidungen. Gerade äußerte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble seine „wachsende Sorge, daß radikale Muslime in Europa einen auch vom Antizionismus gespeisten irrationalen Haß auf Juden verbreiten“. Nur verlor er kein Wort darüber, daß die Politik seiner Kanzlerin genau dazu geführt hat. Die muslimische Einwanderung entspräche halt dem „Gang der Geschichte“, mit dem „der Rest der Bevölkerung“ sich abfinden müsse. So wird politisches Versagen zum Vollzug historischer Gesetze erhoben. Damit ist Schäuble, dieser bitter und zynisch gewordene Repräsentant der dahindämmernden Bundesrepublik, auf dem Niveau der „verdorbenen Greise“ (Wolf Biermann) im einstigen SED-Politbüro angelangt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, statt die Ursachen für die Not seiner Gemeindemitglieder zu benennen, arbeitet sich unterdessen an der AfD ab. Präsident Josef Schuster unterstellt ihr „jenes Gedankengut, das zur schlimmsten Verfolgung der Juden in ihrer Geschichte geführt hat“, und Frau Knobloch schwadroniert von einer „braunen Renaissance“. Dieser Funktionärskaste ist nicht mehr zu helfen. 

Der Herausgeber der Jüdischen Rundschau, Rafael Korenzecher, kritisiert daher in einem Atemzug die „hiesige, links­ideologisch beherrschte Politik“ und den „duckmäuserischen“ Zentralrat, für den der „Einklang mit den Islam-Appeasern unserer am Volkswillen vorbeiregierenden politischen Führung“ im Vordergrund steht. In solcher Kritik werden zugleich die Umrisse einer deutsch-jüdischen Interessenidentität skizziert.