© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Gegen die braunen Jakobiner
Vor 75 Jahren wurde der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer verhaftet und später ermordet
Herbert Ammon

In dem Geburtstagsbrief, den er im Zug nach München an seinen Patensohn Christoph Bethge, Sohn des Freundes Eberhard Bethge, verfaßte, schrieb Dietrich Bonhoeffer am 18. Juni 1942: „Gerade diese lange Fahrt durch unser schönes Land, die Blicke auf die Dome von Naumburg, Bamberg, Nürnberg, auf die bestellten und teils so kärglichen Felder, der Gedanke, daß dies alles Arbeitsfeld und Freude für viele, viele Generationen gewesen ist, geben mir die Zuversicht, daß hier doch eine gemeinsame Aufgabe, eine gemeinsame Hoffnung da ist. (...) Was soll ich da heute andere Wünsche für Dich haben, als daß Du lernst, (...)Dich an Deiner Stelle und in den Dir gegebenen Möglichkeiten als ein Glied in der langen Folge dieser Geschlechter zu sehen, die für ein schönes, echtes und – frommes Deutschland gelebt haben und es noch tun?“

Zwei Jahre lange Odyssee in NS-Gefangenschaft

Mutmaßlich befand sich Bonhoeffer auf einer zu konspirativen Zwecken unternommenen „Dienstreise“. Im Juli 1939 hatte er die Gelegenheit zur Emigration – auf Einladung des befreundeten Theologen Reinhold Niebuhr zu Vorlesungen am Union Theological Seminary weilte er in New York – ausgeschlagen. Er war zurückgekehrt, um seinen „Brüdern“ im Kampf gegen das NS-Regime beizustehen. Über den Schwager Hans von Dohnanyi waren ihm die Bestrebungen des politisch-militärischen Widerstands vertraut. Dohnanyi wurde kurz vor Kriegsbeginn als Jurist von Hans Oster im Amt Ausland/Abwehr des OKW (Amt Canaris) angefordert. Bonhoeffer trat im Oktober 1940 als V-Mann der Abwehr mit formellem Standort in München der Konspiration bei.

In dieser Funktion, die ihn in Kontakt mit dem späteren CSU-Gründer Josef Müller und dessen Verbindungen zum Vatikan brachte, unternahm Bonhoeffer mehrere Reisen in die Schweiz, nach Norwegen sowie nach Pfingsten 1942 nach Schweden. Im Auftrag von Generaloberst Ludwig Beck sollte er über den befreundeten Bischof George Bell Informationen über den Widerstand an die englische Regierung übermitteln, um Zusagen für den Sturz Hitlers zu gewinnen.

Am 5. April 1943 wurden Dohnanyi, Müller und Bonhoeffer verhaftet. Feinde im Amt Canaris hatten sie bei der Gestapo wegen Devisentransaktionen, die im Rahmen einer Rettungsaktion für vierzehn Juden in die Schweiz getätigt worden waren, denunziert. Die Anklage wurde alsbald auf „hoch- und landesverräterische Umtriebe“ ausgeweitet. Bis zu Bonhoeffers Tod vergingen indes noch zwei – bis zum Scheitern des 20. Juli noch von Zuversicht getragene – Jahre. Lange erwiesen sich die Beweismittel für den Kriegsgerichtsrat Manfred Roeder sowie den Gestapo-Ermittler Sonderegger als unzureichend. 

Die Situation änderte sich nach dem 20. Juli, als in einem Aktenschrank des OKW zu Zossen eine Dokumentensammlung entdeckt wurde, die Dohnayni auf Rat von Ludwig Beck deponiert hatte. Im Oktober 1944 wurden die Gefangenen vom Militärgefängnis Tegel in das Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) – heute Ort der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ – gebracht.

Am 2. Februar 1945 wurde Bonhoeffers Bruder Klaus vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt. Er wurde am 23. April am Lehrter Bahnhof zusammen mit Albrecht Haushofer und anderen Widerstandskämpfern von einem SS-Kommando erschossen. Dietrich Bonhoeffer wurde am 7. Februar 1945 mit anderen Verschwörern, darunter Josef Müller, nach Buchenwald transportiert. Von dort ging es Anfang April nach Süden. Ziel war das KZ Flossenbürg. Am 5. April, nach zufälliger Entdeckung des Tagebuchs von Canaris in Zossen, befahl Hitler höchstselbst die Liquidierung der „Canarienvögel“. Der an einer selbstinduzierten Diphterie schwer erkrankte Dohnanyi wurde durch ein SS-Standgericht in Sachsenhausen getötet. In Flossenbürg starben am 9. April Admiral Canaris, dessen Stabschef Hans Oster, die Hauptleute Ludwig Gehre und Theodor Strünck, Heeresrichter Karl Sack sowie Dietrich Bonhoeffer einen qualvollen Tod am Galgen.

Bonhoeffer als illusionsloser konservativer Denker

Dank seinem Martyrium wird Dietrich Bonhoeffer in der Ökumene als christlicher Heiliger des 20. Jahrhunderts verehrt. Sein theologisches Denken unterlag mancherlei Wandlungen, so daß sich sein Werk einfacher Deutung entzieht. Die Abkehr von der liberalen Theologie seines verehrten Lehrers Adolf von Harnack vollzog sich unter dem Eindruck von Karl Barths „Römerbrief“. Seit seinem ersten Aufenthalt in New York (1930) datierte die Freundschaft mit Reinhold Niebuhr, der nicht-liberale, „neo-orthodoxe“ Theologie mit progressiver Politik verknüpfte und zum Wegbegleiter der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wurde.

Der amerikanische Biograph Eric Metaxas will Bonhoeffer aufgrund seiner Sympathien für die lebendige Religiösität der schwarzen Baptisten in Harlem sowie seiner Ironie hinsichtlich des theologisch flachen Social Gospel in den USA zu einem Protagonisten eines „evangelikalen“ Christentums machen. Diese Interpretation geht fraglos fehl. Bonhoeffers Denkbewegungen zielten – teils in Anlehnung an Karl Barth, teils in Distanz zu dessen „Offenbarungspositivismus“ – auf eine Bewältigung des neuzeitlichen Säkularisierungsprozesses durch Zentrierung des Glaubens auf Christus. In seinem Hauptwerk, der unvollendet gebliebenen „Ethik“, tritt er als illusionsloser konservativer Denker hervor. Das Werk ist eine einzige Absage an die „vollendete Gottlosigkeit“ der Moderne, deren erste Aufgipfelung der Theologe in der Französischen Revolution erkannte und deren Vollendung er, Verteidiger der preußischen Staatstradition, im Regime der braunen Jakobiner erlebte.

An Bonhoeffers von Spengler inspirierter Kulturkritik, nicht zuletzt an Ausführungen zur Sexualmoral samt vehementer Ablehnung von Abtreibung, können zeitgeistig progressive Protestanten eigentlich wenig Gefallen finden. Noch weniger paßt Bonhoeffers Idealbild des „Abendlandes“, mit Deutschland als dem europäischen Kernland, in die postnationale Ideologie der Gegenwart.