© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Wenn der Banker zum Rasenmähen kommt
Raiffeisen-Jahr 2018: Mehr als ein Relikt aus der Kaiserzeit / Genossenschaftsbanken wollen Arbeitsplätze im ländlichen Raum sichern
Justin Cedrik Salka

Rasenmähen? Geld bis an die Haustür bringen? Oder Rezepte vom Arzt abholen? Das könnte jetzt ein Fillialmitarbeiter übernehmen – eine Mitgliedschaft bei Volks- und Raiffeisenbanken vorausgesetzt. Wie es Friedrich Wilhelm Raiffeisen schon vor 170 Jahren erdachte, kümmern sich die Genossenschaftler heute wieder, in seiner Tradition stehend, vermehrt um den ländlichen Raum. Und bieten eine ungewöhnliche Innovation auf.

Um die durch Unwirtschaftlichkeit gefährdeten Arbeitsplätze und das mit 11.000 Bankstellen noch breite Netz zu schützen, sollen die Mitarbeiter neue Dienstleistungen ausführen. Wie ein Concierge soll der „VR-Privatsekretär“ 17 Leistungen rund um das tägliche Leben anbieten, „alles Leistungen, die mit dem traditionellen Bankgeschäft nichts zu tun haben“, sagt Gottfried Joos, Vorstandschef der Volksbank Dornstetten. „Man müsse wieder näher an den Kunden ran.“ So wie einst Raiffeisen selbst.

Verknüpfung zwischen Wohlhabenden und Armen

„Hier begann Raiffeisen!“ steht am Ortseingang in Weyerbusch im Westerwald, wo er noch heute geehrt wird. Am 30. März vor 200 Jahren geboren, interessiert der damals fortschrittliche Reformer heute wieder, über den zuletzt nicht mehr viel gesprochen wurde.

Denn seine Innovationen waren nach der Mißernte 1846 lebensrettend. Hungersnot und Elend waren die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung. Nach der Bauernbefreiung und den Verwaltungsreformen wurden die Menschen mit der Vermarktung ihrer Produkte überfordert. Früher leistete man seine Steuer in Naturalien, doch dann hielt das Bargeld Einzug. Die Bauern mußten ihre Waren am weit entfernt liegenden Rhein selbst verkaufen, dies war durch unbefestigte Wege nahezu unmöglich. Das Resultat: Armut.

Zu dieser harten Zeit wurde Raiffeisen nach seinem Militärdienst Bürgermeister des Ortes Weyerbusch. Er bewährte sich. Unter anderem setzte er sich für den Bau von Schulen und die für die Region so wichtige und heute nach ihm benannte Raiffeisenstraße ein.

Auf die schlechte Ernte folgte der Hungerwinter 1847. Die preußische Regierung der Rheinprovinz versuchte durch Mehllieferungen zu helfen, die bar bezahlt werden mußten. Raiffeisens Lösung: Wohlhabende Bauern wurden gebeten, gegen Schuldscheine Geld in einen Topf zu werfen, um damit Mehl zu kaufen und dieses an die Bevölkerung zu verteilen.

Der Weyerbuscher „Brotverein“ entsteht. Ein Backhaus wird gebaut und ein Bäcker eingestellt. Im Frühjahr, als die Verhältnisse sich wieder zum Besseren wendeten, verkauften dann die Bauern ihre Erzeugnisse und bezahlten somit das Brot vom Winter, und die Gläubiger bekamen ihre Einlagen zurück. Eine Verknüpfung zwischen Wohlhabenden und Armen baute sich auf. Ins Bürgermeisteramt Flammersfeld aufgestiegen, gründet Raiffeisen den „Hilfsverein“. Hierbei ging es nicht um eine akute Krise, sondern um den Kampf gegen ein Dauerproblem – den Wucher.

Die ungebildeten Bauern wurden durch ihre Mittellosigkeit zu Opfern überhöhter Zinsen, beispielsweise durch Kauf und Unterbringung einer Kuh. Der Hilfsverein verkaufte den Bauern Vieh zu günstigen Konditionen, und die Wucherer wurden vertrieben. Bargeld gab es auch bei den Wohlhabenderen nicht genug, jedoch Grundbesitz, der als Pfand diente. Raiffeisen besorgt mit dieser Garantie Geld von außen. Er nutzt dieses Prinzip weiter. In Heddesdorf bekommen die Kautionsgeber sogar eine geringe Rendite.

Doch die Haftung mit ihrem Besitz läßt die Reichen kalte Füße bekommen. Anfangs bei überschaubaren Summen, sind es mittlerweile Großbeträge für damalige Verhältnisse. Raiffeisen appelliert mit Bibelsprüchen, es hilft nichts. Aber dieser Eklat leitet den entscheidenden Schritt zu den Genossenschaften ein. Er holt nun die Kreditnehmer mit in den Verein und erweitert die Haftung. Das Prinzip der Leistungspflicht greift.

„Was der einzelne nicht vermag, das vermögen viele“

Anfangs ist die Idee Raiffeisens auf den Westerwald begrenzt. Doch mit dem 1866 erschienenen Buch, das seine Tochter verfaßte, wird sein Prinzip auch außerhalb des Rheinlandes bekannt. Es zeigt sich dann im weiten deutschen Sprachraum, daß genau solch ein Kreditsystem auf dem Land funktioniert. Die Darlehenskassenvereine sprießen allerorten aus dem Boden. Die Kunde von Raiffeisen dringt rasch bis nach Berlin, Königsberg und Wien. Sein Konkurrent, Hermann Schulze-Delitzsch, ist aus ganz anderem Holz geschnitzt – christliche Ambitionen sind ihm, wenn es um Kredite geht, fremd. Auch sind seine Kreditnehmer hinsichtlich der Zahlungskraft ein ganz anderes Klientel – eher kleine Händler und Handwerker in der preußischen Hauptstadt.

Der Genossenschaftsprotagonist beschwor immer wieder das Ende der Raiffeisen-Idee und sprach vom „Platzen einer Seifenblase“ durch eine Wirtschaftskrise, infolgedessen sämtliche Mitglieder ruiniert wären. An die zehn Jahre zieht sich dieser Zwist hin, auch beeinflußt durch die Gesetzgebung des Kaiserreiches. Das Ergebnis: Nach dem juristischen Schwitzbad sind die Darlehenskassen gefüllt wie nie zuvor. Die beiden schlossen sich schließlich zusammen. Es entstehen die Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Raiffeisen hält Vorträge, ist viel auf Reisen, und seine Idee erreicht sogar das europäische Ausland. Während dessen wächst der Finanzierungsbedarf in der Landwirtschaft explosionsartig. Dünger, neue Landmaschinen, Erkenntnisse über Kreuzungen von Nutztierrassen halten Einzug. Der Bauer, der diesen Fortschritt nutzen will, wird Mitglied in der Genossenschaft vor Ort. Diese klärt auf, besorgt und finanziert.

Auch heute gilt: „Was der Einzelne nicht vermag, das vermögen viele.“ Und die Genossenschaftler scheinen zufrieden. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sagen drei Viertel aller Befragten, daß diese Bankform zeitgemäß ist und 64 Prozent glauben, daß Genossenschaften für mehr Gerechtigkeit sorgen. Sie bestätigen damit die Raiffeisen-Idee.

Deutscher Raiffeisenverband:

 www.raiffeisen.de

 www.raiffeisen-stiftung.de

Jubiläumsinformationen der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft:

 raiffeisen2018.de