© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Horst Potemkin
Sicherheit: Innenminister Seehofer hat fortgesetzte Kontrollen an den deutschen Grenzen versprochen / Umsetzung bleibt zweifelhaft
Peter Möller

Plötzlich sind sich in der Union fast alle einig. Die deutschen Grenzen müssen wieder kontrolliert werden. Irgendwie. Doch darüber, mit welcher Intensität und über welchen Zeitraum die Kontrollen erfolgen sollen, wird in Berlin auch zweieinhalb Jahre nachdem die Grenzen quasi für jedermann durchlässig wurden, heftig gestritten.

In der vergangenen Woche hatte der neue Innenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, die Kontrolle der deutschen Grenzen trotz des Schengenabkommens zu verstärken. Europa und die Freizügigkeit auf dem Kontinent seien „eine große Errungenschaft“, aber dies könne nur funktionieren, wenn die Staaten an der EU-Außengrenze auch kontrollierten, sagte Seehofer in der ARD. Solange das aber nicht wirksam erfolge, „müssen wir die Binnengrenzen kontrollieren, weil wir die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten müssen.“ Diese Haltung sei „natürlich“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmt. 

„Personell überhaupt nicht zu stemmen“

Und so ließ diese dann auch in der vergangenen Woche durch Regierungssprecher Steffen Seibert klarstellen, sie unterstütze die Forderung Seehofers nach einer Verlängerung von Kontrollen an der deutschen Grenze, da der Schutz der europäischen Außengrenzen mangelhaft sei. Angesichts der Tatsache, daß Merkel es während der Flüchtlingskrise bestritten hatte, daß es überhaupt möglich sei, die 3.800 Kilometer lange deutsche Grenze zu schützen, erscheint dieser Sinneswandel erstaunlich. Nicht nur in den Reihen der AfD-Fraktion dürfte deshalb aufmerksam registriert worden sein, daß Seehofers Vorstoß erfolgte, nachdem der Bundestag zwei Tage zuvor auch mit den Stimmen der Union einen Antrag der AfD abgelehnt hatte, der die Einführung umfassender Grenzkontrollen gefordert hatte.

Angesichts der neuerlichen Grenzdiskussion warnt die Polizei die Politik davor, den Bürgern falsche Versprechungen zu machen. Er wehre sich gegen den Versuch, „mit dem Begriff Grenzkontrollen der Bevölkerung zu suggerieren, wir könnten Vollkontrollen durchführen“, sagte der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, dem Bayrischen Rundfunk. „Die sind rechtlich nicht möglich und personell überhaupt nicht zu stemmen.“ Die Bundespolizei müsse personell so ausgestattet werden, „daß wir lageabhängig Kontrollen durchführen können, sowohl an den großen Übergängen als auch an den grünen Grenzen“. 

Und auch der Vorsitzende der (mit der GdP konkurrierenden) Bundespolizeigewerkschaft in der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ernst Walter, zeigte sich skeptisch. „Die von Bundesminister Horst Seehofer geplante Ausweitung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ist absolut folgerichtig, solange die Schengener Außengrenze nicht im erforderlichen Umfang gesichert wird“, so Walter. Zugleich mahnte der Gewerkschaftschef jedoch, daß die Bundespolizei solch umfängliche Binnengrenzkontrollen „mit ihrer immer noch völlig unzureichenden Personalstärke allein nicht bewältigen“ könne. Möglich wäre dies jedoch, wenn Seehofer eine Forderung der Gewerkschaft umsetzen würde: Die Einstellung sogenannter tariflich angestellter Unterstützungskräfte könnte, „wie bereits erfolgreich nach der Wiedervereinigung an den Ostgrenzen praktiziert“, die Lücke schließen, ist Walter überzeugt. 

Wie es derzeit um die Kontrolle der deutschen Grenzen bestellt ist, zeigt ein Blick in die aktuellen Zahlen der Bundespolizei: Demnach stellten die Beamten 2017 insgesamt 50.154 unerlaubte Einreisen fest, wie die Behörde auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte. Davon betrafen 11.220 Fälle die Einreise über die Flughäfen (JF 12/18) und 19.465 Grenzübertritte per Bahn. 16.565 unerlaubte Einreisen verzeichnete die Bundespolizei auf den Straßen. 12.370 Personen haben die Beamten im vergangenen Jahr die Einreise verweigert, berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf Zahlen der Behörde. Dies bedeute einen Rückgang von 21 Prozent gegenüber den 15.735 Zurückweisungen im Jahr 2016. Die Bundespolizei wies gegenüber der JF ausdrücklich darauf hin, daß derzeit nur an der deutsch-österreichischen Landgrenze Grenzkontrollen stattfinden sowie seit dem 12. November 2017 im SchengenBinnenluftverkehr zu Griechenland. Mit anderen Worten, die Zahlen dürften nur die Spitze des Eisberges sein. Wie viele Ausländer im vergangenen Jahr insgesamt illegal nach Deutschland gekommen sind, kann niemand verläßlich sagen. 

Nicht nur angesichts des Personalmangels bei der Polizei halten es Beobachter in Berlin daher für äußerst unwahrscheinlich, daß Seehofer seine Pläne tatsächlich umsetzen kann. Denn nicht nur weite Teile der SPD sowie Grüne und Linkspartei lehnen Grenzkontrollen kategorisch ab. Auch in der Union gibt es Widerstand. „Es wäre falsch zu glauben, daß alles Heil im Schließen der Binnengrenzen innerhalb des Schengenraums liegt“, sagte etwa der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) der Welt. Einzelne Straßen könnten seiner Ansicht nach zwar gesichert werden, „aber die grüne Grenze mit ihren zahlreichen Übergängen würde eine immense personelle Belastung bedeuten“. Er setzt auf bessere Polizeikontrollen im Inland. Auch der neue Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias Hans (CDU), zeigte sich skeptisch. Die europäische Freizügigkeit sei eine große Errungenschaft twitterte er: „Sie auszusetzen wäre fatal – mit schmerzhaften Folgen für Wirtschaft und jeden einzelnen.“ Stattdessen empfahl Hans, die polizeiliche Zusammenarbeit zu stärken.

Daß die Union beim sensiblen Thema Grenzkontrollen hin und her gerissen ist, hatte sich bereits Mitte März bei der Abstimmung über den Antrag der AfD zur Einführung von Grenzkontrollen gezeigt: Die konservativen CDU-Abgeordneten Veronika Bellmann, Sylvia Pantel und Klaus-Peter Willsch hatten sich enthalten, statt mit Nein zu stimmen.