© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

CD-Kritik: Franz Schubert – Christian Gerhaher
Der Liedererzähler
Jens Knorr

In Schuberts zwei beziehungsweise drei Liederzyklen suchen moderne Interpreten sich ihrer künstlerischen Biographie zu versichern. Vierzehn Jahre nach ihrer ersten Aufnahme haben Bariton Christian Gerhaher und Pianist Gerold Huber „Die schöne Müllerin“ erneut eingespielt.

Der Musikkritiker Jürgen Kesting hat Gerhaher als Antipoden zu Mat-

thias Goerne, aber auch zu Ian Bostridge beschrieben. Stellt des einen Gefühligkeit alle Tempi still, hält des anderen Reflexion, Schuberts Ironie und Sarkasmus zu seiten, die Lieder in dialektischer Bewegung, so erzählt sie der dritte, Gerhaher, empfindsam nach.

Gerhahers Stimme hat einigen Schimmer verloren, ihr Träger einige Gestaltungskraft gewonnen, wobei die Stimme, nimmt er sie zurück, vielleicht zu sehr entspannt und energiereduziert klingt. Er verfällt nicht der Rolle, sparsame Kommentare sind auszuhören – aus dem Gesungenen, nicht aus dem Gesprochenen.

Schuberts Gesellschaftsdiagnose reduziert Gerhaher auf ein „ausgefeiltes Psychopathogramm“ des Müllerburschen, wozu er die fünf von Schubert nicht komponierten Lieder Wilhelm Müllers als Korrektive heranzieht. Hätte er sie, gleich Schubert, ausgelassen, zumal der Rezitator Gerhaher dem Sänger Gerhaher deutlich unterlegen ist, dann hätte er sich für die Welthaltigkeit einiger der komponierten Zeit nehmen können.

Franz Schubert Die schöne Müllerin Sony Classical, 2017 www.gerhaher.com