© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Nicht den kalten zum heißen Krieg werden lassen
Rußland: Präsident Putin, der jetzt bis 2024 weiterregieren kann, muß erhebliche Herausforderungen meistern
Thomas Fasbender

Mit über 76 Prozent der Stimmen und einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent hat Wladimir Putin sein Ziel nur knapp verfehlt. Kremlintern war 70/70/1 als Zielmarke vorgegeben: mindestens 70 Prozent der Stimmen bei mindestens 70 Prozent Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang. Mit einer Unschärfe von wenigen Prozent darf man dem Ergebnis vertrauen. Die Wahlmanipulationen haben den Kohl nicht fett gemacht, zumal neben der obligatorischen Kameraüberwachung auch viele oppositionelle Wahlbeobachter unterwegs waren. Bei aller Bedrängung durch den Staat – ganz so schwach ist die Zivilgesellschaft nicht. Wahlen in autoritären Demokratien dienen anderen Zwecken als etwa in der Schweiz. Sie sind Plebiszite, mit denen eine Führerpersönlichkeit sich ein Mandat verschafft. 

Stolpert Putin, hat er kaum Hilfe zu erwarten

Im übrigen hatten die Wähler durchaus Alternativen: Der kommunistische Kandidat Pawel Grudinin ist keine Marionette. Der umtriebige Agrar-Millionär, der am Moskauer Stadtrand eine ehemalige Sowchose bewirtschaftet, hat durchaus realistische Vorstellungen, wie ein Sozialstaat à la russe funktionieren könnte. Fast zwölf Prozent fuhr Grudinin ein, und das waren nicht nur die Stimmen sowjet-nostalgischer Rentner. Auch der populistische Haudrauf Wladimir Schirinowski, der all jene abgreift, denen Putin zu kosmopolitisch und liberal ist, hat es auf fast sechs Prozent gebracht.

Was aus russischer Sicht nicht überrascht, ist das fast völlige Verschwinden des demokratisch-liberalen Lagers. Die Kandidaten Grigori Jawlinski und Xenia Sobtschak bringen es zusammen auf nicht einmal drei Prozent. Auch das ist eine Folge des miserablen Rufs, den die westliche Politik bei der Bevölkerungsmehrheit genießt. Inwieweit dies allein an der patriotischen Propaganda im TV liegt, darüber wird gestritten. Skeptiker erinnern daran, daß auch Propaganda nicht in der Lage ist, Menschen eine Meinung aufzuzwingen, die sie partout nicht haben wollen.

Die fast 77 Prozent sind mit Abstand Putins bestes Ergebnis in 18 Jahren an der Macht. Sie legitimieren auch zwei außenpolitische Manöver in seiner letzten Amtszeit, die beim überwiegenden Teil der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen: die Annexion der Krim 2014 und die russische Rückkehr auf das weltpolitische Parkett mit der Militärintervention in Syrien ein Jahr später.

Die alles überstrahlende antiwestliche Grundstimmung dürfte auch ein wesentlicher Grund für die relative Zurückhaltung des Nawalny-Lagers in den Wochen und Monaten vor der Wahl gewesen sein. Oppositionsführer Alexey Nawalny, der zu den Wahlen nicht zugelassen war, kritisiert vor allem die massive Korruption in den oberen Rängen der Bürokratie und der Politik. Er dürfte allerdings gespürt haben, daß bei allem verbreiteten Zorn über diese Zustände das Thema „Aggression und Bedrohung durch den Westen“ derzeit einfach die Gemüter beherrscht. Die Reaktion der britischen Regierung auf den Giftmordanschlag in Salisbury hat Putin mit großer Wahrscheinlichkeit in die Hände gespielt.

Auf den Präsidenten, der jetzt bis 2024 weiterregieren kann, kommen erhebliche Herausforderungen zu. Interpretiert man die gegenwärtigen Rivalitäten auf dem eurasischen Doppelkontinent als Rückzugsgefecht der US-Hegemonie, so hat Rußland sich als Frontmacht der nichtwestlichen Länder massiv exponiert. China, Türkei und Iran, aber auch viele kleinere Länder verfolgen das mit Sympathie, jedoch ohne selbst Stellung zu beziehen. Diese Länder halten sich alle Optionen offen. Stolpert Putin mit seiner Strategie, kann er von ihnen keine Hilfe erwarten.

In transatlantischen Kreisen wächst gleichzeitig das Verlangen, den ungehörigen Russen Manieren beizubringen. Dahinter steckt die Angst davor, daß die Zeit gegen den Westen spielt. Nicht nur Rußland wird militärisch stärker, auch China und der Iran. Schon stellt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit des Nato-Mitglieds Türkei. Die Autorität der USA ist zunehmend herausgefordert.

Angesichts dieser Gemengelage wird Putin keine großen Probleme haben, innenpolitisch zu bestehen. Auch das schwache Wirtschaftswachstum wird ihm nicht den Hals brechen. Das Ergebnis vom Sonntag war vor allem ein deutliches Votum für einen eigenständigen russischen Weg und gegen westliche Bevormundung. Putins Hauptaugenmerk wird jetzt sein, den kalten, hybriden Krieg nicht in einen heißen umschlagen zu lassen. Außerdem muß er einen Nachfolger aufbauen. Noch am Wahlabend hat er erklärt, nicht regieren zu wollen, bis er hundert ist.