© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

„Die Jagd hat begonnen!“
Die neue Regierung steht – nun muß die AfD „liefern“. Kann sie die Versprechen erfüllen? Wie geht sie dabei vor? Welche Mittel stehen ihr zur Verfügung? Fraktionschefin Alice Weidel über ihre Partei im Angriff
Moritz Schwarz

Frau Dr. Weidel, beginnt jetzt das „Jagen“ der neuen Regierung, wie von Parteichef Gauland am Wahlabend angekündigt?

Alice Weidel: Das hat längst begonnen! Bereits mit der konstituierenden Sitzung des Bundestags am 24. Oktober hat unsere Fraktion die „Fährte“ aufgenommen und die Regierung unter Druck gesetzt.

Wie zum Beispiel? 

Weidel: Dafür stehen uns einige parlamentarische Instrumente zur Verfügung. Etwa die sogenannte Kleine und Große Anfrage, mit der wir von der Regierung gezielte Auskünfte zu allen möglichen Themen erzwingen können. Oder die Aktuelle Stunde, um bestimmte Inhalte in die Öffentlichkeit zu bringen: Sicher erinnern Sie sich etwa, daß es uns so im Dezember gelungen ist, den Bundestag dazu zu bringen, endlich einmal über Linksextremismus zu debattieren. Das schlagkräftigste Mittel ist jedoch die Gesetzesinitiative, also das Recht einen Gesetzesvorschlag zu formulieren. Beziehungsweise komplementär der Entschließungsantrag, mit dem wir Änderungen an den Gesetzesvorschlägen der Regierung fordern können. Und zuletzt der sogenannte Selbständige Antrag, mit dem man ein Thema auf die Tagesordnung des Parlaments setzen kann. 

Bei der Zahl der Anträge liegt die AfD zwar gleichauf mit der FDP, allerdings weit hinter Grünen und Linken. Das klingt nicht gerade nach „jagen“.  

Weidel: Die Zahl der Anträge ist doch kein Kriterium. In Ihrem Beruf, Herr Schwarz, geht es doch auch nicht darum, nur möglichst viele Seiten vollzuschreiben. Entscheidend ist vielmehr, treffsicher den Finger in die Wunde zu legen. Etwa der falschen Politik der Bundesregierung mit Anträgen zur Einhaltung der Euro-Stablisierungsgesetze oder zur Grenzsicherung etwas entgegenzusetzen! Eben haben wir einen Antrag eingebracht, die Steuerzahler endlich vom Soli zu befreien. Und in Vorbereitung ist etwa ein Antrag zur Bildung einer Enquetekommission für mehr direkte Demokratie, um den Bürgern durch Einführung von Volksabstimmungen auch zwischen den Wahlen politischen Einfluß zu ermöglichen. Natürlich haben wir noch zahlreiche weitere Anträge vorbereitet. Wir wollen das Pulver aber nicht zu schnell verschießen. Uns kommt es darauf an, zu treffen!

Verpuffen Ihre Anträge nicht, da doch keiner die nötige Mehrheit findet?

Weidel: Dennoch zwingen sie die Regierungsfraktionen, zu unseren Vorschlägen Stellung zu nehmen. Und lehnen diese sie ab, wird dem Bürger vor Augen geführt, welchen möglichen Lösungen die Regierungs- beziehungsweise die anderen Oppositionsparteien sich verweigern. Mitunter entsprechen unsere Anträge sogar den Wahlversprechen anderer Parteien. Werden sie dennoch abgelehnt, entlarven diese sich damit selbst. So haben wir etwa beantragt, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen – so wie in den neunziger Jahren die Union. Abgelehnt, auch mit den Stimmen von CDU/CSU! Ich bin mir sicher, das merken sich die Wähler. 

Nehmen die solche Details denn wahr?

Weidel: Eben deshalb richten wir einen fraktionseigenen Newsroom ein, der unsere Positionen und Aktivitäten über die sozialen Medien noch stärker verbreitet. 

Erreichen Sie so nicht wieder nur Ihre Anhänger, nicht aber den Normalbürger?

Weidel: Sicher sind damit nicht alle Probleme gelöst, aber wenigstens verringert. Und natürlich müssen wir uns weiter Gedanken machen, was wir sonst noch tun können. Überlegt wird auch, vielleicht ein Printmedium zu schaffen. Doch da kann ich noch nichts verraten.    

Das sogenannte „schärfste Schwert“ im parlamentarischen Instrumentarium ist der Untersuchungsausschuß. Was ist mit dem von Ihnen im Wahlkampf versprochenen U-Ausschuß gegen Frau Merkel? 

Weidel: Der kommt, allerdings brauchen wir dafür eine Mehrheit.  

Das war schon vor der Wahl klar. Haben Sie also etwas versprochen, von dem Sie wußten, daß Sie es nicht halten können? 

Weidel: Ganz und gar nicht, denn sollte er scheitern, dann nicht an uns, sondern an den anderen Oppositionsparteien – was für diese eine Art Offenbarungseid wäre. Etwa hat auch die FDP ähnliches gefordert; stimmt sie ihm nun nicht zu, weiß der Wähler, woran er mit dieser Partei ist.

Die eigentliche politische Arbeit wird im Bundestag bekanntlich nicht im Plenum, sondern in den Ausschüssen gemacht. Findet folglich die eigentliche Oppositionsarbeit ebenfalls dort statt? 

Weidel: Inhaltlich wird in der Tat vor allem in den Ausschüssen darum gerungen, möglichst viel von der eigenen politischen Position in die Gesetzentwürfe einzubringen, die in den Ausschüssen ausgearbeitet werden. Die eigentlichen Entscheidungen fallen also tatsächlich dort. Andererseits bieten die Ausschüsse natürlich nicht die Bühne, die das Plenum bietet, um den Bürgern den alternativen Standpunkt der Opposition zu vermitteln. Daher ist beides, Ausschüsse und Plenum, für unsere Arbeit unentbehrlich. Übrigens kann der Bürger daran erkennen, ob die Position der AfD in einen Entwurf eingeflossen ist oder nicht, daß extra vermerkt wird, welche Parteien im Ausschuß schließlich für und welche gegen ihn gestimmt haben. 

Dank der GroKo ist die AfD-Fraktion nun Oppositionsführer im Bundestag. Was bedeutet das konkret?

Weidel: Da die stärkste Oppositionsfraktion, also wir, das Vorrecht hat, als erste auf die Regierung zu reagieren, ist das natürlich von hohem symbolischem Wert. Praktisch kommt es aber darauf an, sich inhaltlich durchzusetzen, sprich möglichst Mehrheiten zu finden. 

Eben, und gelingt Ihnen das?

Weidel: Ich hoffe, daß da bei den anderen Oppositionsfraktionen die Vernunft siegt und Inhalte, sprich das Wohl der Bürger, Vorrang haben vor dem Affenzirkus parteitaktischer Spielchen wie, mit uns stimme man „aus Prinzip“ nicht.

Das hängt keineswegs nur von den anderen ab, sondern auch davon, ob Sie auf diese zugehen. Wer gemeinsames Abstimmungsverhalten will, muß bereit sein, von Extrempositionen abzuweichen. Sind Sie das? 

Weidel: Was die Bürger von uns erwarten, sind klare Antworten auf die für sie drängenden Probleme. Das ist für mich der Maßstab und sonst nichts! Es ist Sache der anderen Oppositionsparteien, ebenfalls zu diesem Maßstab zu finden.  

In der Realität ist immer Parteitaktik im Spiel, daher die Frage nach Ihrer Strategie: Betonung profilierter Positionen, die polarisieren und daher für gemeinsames Abstimmen hinderlich sind – oder Betonung der Kompromißbereitschaft, was aber bedeutet, sich eventuell mit den „Fundis“ in der eigenen Fraktion anzulegen? 

Weidel: Da gehe ich nicht mit. Denn ich habe mich schon im letzten Jahr dem Streit um den angeblichen Widerspruch zwischen realpolitischer und fundamentaloppositioneller Ausrichtung verweigert. Das sind nur Platitüden, politische Kosmetik. Für mich stehen nicht angebliche Parteilager im Vordergrund, sondern politische Lösung. Beschäftigen wir uns lieber mit Lagerfragen als mit Lösungen, wird die AfD vom Wähler bestraft werden und droht zu scheitern. Das darf nicht passieren! Denn dafür ist die Partei als einziges ernsthaftes bürgerliches Reformprojekt zu wichtig, wenn Deutschland eine Zukunft haben soll.

Bei etlichen Themen hat die AfD ihre Position noch gar nicht endgültig geklärt, zum Beispiel in puncto Sozialstaat. Auf welcher Grundlage können Sie in diesen Bereichen also überhaupt Oppositionsarbeit machen?

Weidel: Das liegt derzeit in der Hand der jeweiligen Arbeitskreise der Fraktion. Aber natürlich müssen wir diese Fragen klären, da haben Sie recht, und zwar auf dem Programmparteitag im Juni.

Die AfD ist für ihre mitunter ungezügelte Basisdemokratie bekannt, Stichwort „gäriger Haufen“. Ist das für Sie als Fraktionschefin nicht ein Problem? 

Weidel: Nicht, wenn Sie wissen, wie man das kanalisiert. 

Was heißt „kanalisiert“? Entweder, die Abgeordneten sind frei, dann haben Sie einen Sack voller Flöhe. Oder Sie setzen Fraktionsdiszplin durch und enden wie die Etablierten.

Weidel: Immer dieses Entweder-Oder! Gute Führung zeigt sich darin, durch Rücksichtnahme und Kompromißbereitschaft alle mitzunehmen.

Keine Sanktionen gegen Abweichler wie in anderen Fraktionen?

Weidel: Nein, wir sind anders.    

2014 kam es zum Eklat, als die Mehrheit der AfD-Abgeordneten im EU-Parlament in der Ukraine-Rußland-Frage entgegen einem Parteitagsbeschluß stimmte. Wird es so etwas im Bundestag auch geben?

Weidel: Ebenfalls ganz klar nein! So etwas darf und wird nicht wieder passieren. Nicht ohne Grund sind die Leute, die das damals gemacht haben, heute nicht mehr in der Partei.   

Wie verteilt sich die Oppositionsarbeit zwischen Ihnen und Ihrem Co-Sprecher Alexander Gauland?

Weidel: Da gibt es eine gewisse „natürliche“ Aufteilung nach Neigung – ich bin etwa eher Wirtschaftspolitikerin, Dr. Gauland eher Außenpolitiker. Das bedeutet aber nicht, daß nicht jeder von uns auch mal etwas zum Thema des anderen sagen kann. Im übrigen ist die Oppositionsarbeit auf die ganze Fraktion verteilt: Die Chefs der Arbeitsgruppen regeln, wer aus ihren Gruppen zu welchem Fachgebiet im Plenum spricht. 

Entscheidender Transmissionsriemen für die Vermittlung Ihrer Oppositionsarbeit sind die Medien. Wird diese dort angemessen dargestellt?

Weidel: Ich finde sie immer noch mangelhaft. Zum Beispiel werden wir nach wie vor nicht entsprechend der Stärke unseres Bundestagswahlergebnisses beziehungsweise unserer Rolle als größter Oppositionspartei in Talkshows geladen. Und das ist nicht nur eine Mißachtung der AfD, sondern aller Bürger und Gebührenzahler, die uns gewählt haben.

Die Regierung, die Sie jagen wollen, besteht nicht nur aus der Kanzlerin. Werden Sie sich besonders mit dem neuen Innenminister Horst Seehofer anlegen?

Weidel: Wir kritisieren das ganze Kabinett, legen uns also mit allen Ministern an, weil alle Posten schwach besetzt sind und die Politik insgesamt falsch ist. 

Seehofers Berufung zum Innenminister verwundert, denn kooperiert er mit Merkel, vergrault er der CSU rechte Wähler. Widersetzt er sich ihr, belastet er die Koalition. Was steckt aus Ihrer Sicht dahinter?

Weidel: Ich sehe die Dinge nicht aus parteitaktischer, sondern aus Sicht der Bürger. Und so gesehen ist Seehofer, wie die übrigen Minister, eine Fehlbesetzung. Der Mann ist schon lange völlig unglaubwürdig. Und tatsächlich steckt dahinter doch nur, daß man ihn in Bayern loswerden wollte: Wegloben nach oben – zum Schaden des Volkes. 

Sind das neue Heimatministerium und sein „Masterplan“ eine Herausforderung?

Weidel: Ich bitte Sie, Seehofer hat immer nur angekündigt – doch nie war etwas dahinter! Bayern hat eine schlechtere Abschiebequote als das grün regierte Baden-Württemberg, das sagt doch alles. 

Seit fünf Monaten steht Ihnen mit dem Bundestag die große politische Bühne der Nation zur Verfügung. Dennoch schwanken die AfD-Umfragewerte zwischen 12 und 16 Prozent. Es ist also nicht gelungen, zusätzliche Wähler dauerhaft zu binden. Haben Sie ergo nicht etwas falsch gemacht? 

Weidel: Wieso das? Die Zahlen sagen doch das Gegenteil aus, nämlich nicht nur, daß wir zugelegt haben – sondern auch, daß wir sogar mehr zugelegt haben als alle anderen Bundestagsparteien. 

Nein, denn der Zugewinn ist nicht stabil. 

Weidel: Moment: Am Wahlabend haben wir 12,6 Prozent erzielt. Wenn wir nun zwischen 13 und 16 Prozent schwanken, dann haben wir im Schnitt definitiv zugelegt. Dazu kommt, daß wir laut Insa unser Wählerpotential von 16 auf 20 Prozent erhöht haben. Also, anders als es Ihre Frage unterstellt, sind wir auf dem richtigen Weg! Und gäbe es statt GroKo Neuwahlen, würde ich auf 120 Sitze für uns wetten, statt wie jetzt 92. 

Rechnen Sie noch mit Neuwahlen? 

Weidel: Ja, diese Regierung hält keine vier Jahre durch.  

Zweckoptimismus? 

Weidel: Nein, Sie werden sehen, wie sich die Lage im Laufe der Legislaturperiode verschärfen wird. Im Oktober verliert die CSU in Bayern massiv Stimmen an uns und die CDU in Hessen das Amt des Ministerpräsidenten, weil Schwarz-Grün von einer Ampel-Koalition abgelöst werden wird. Schon das wird enorm Druck aufbauen. 2019 drohen den Etablierten weitere Verluste bei den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo wir sogar die Chance haben, den Ministerpräsidenten zu stellen. Spätestens danach rechne ich mit Neuwahlen. 

Konkret ausgelöst wodurch?

Weidel: All diese Niederlagen werden solche Unruhe herbeiführen, daß man nach einer Sollbruchstelle suchen wird. Ich schätze, daß es die SPD ist, die diese dann irgendwann „aktiviert“ – weil Merkel wohl alles tut, um die Verhältnisse zu erhalten. Denn ihr ist klar, kommen die Verhältnisse ins Rutschen, rutscht sie mit. Die SPD aber wird irgendwann für sich keinen Sinn mehr darin sehen, die Verhältnisse aufrechtzuerhalten.

Wird eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz Ihre Fraktionsarbeit beeinflussen?

Weidel: Die droht natürlich deshalb, weil dieser von den Etablierten als politisches Instrument mißbraucht wird. Dabei müßte er eigentlich die Etablierten selbst beobachten, denn in wie vielen Punkten zielt deren Politik im Grunde darauf, unseren Staat abzuschaffen! Oder denken sie an die Preisgabe von Souveränität oder die Grenzöffnung – alles ohne saubere parlamentarische Legitimation; oder an den völlig grundgesetzwidrigen Satz: „Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt.“ Frau Merkel ist es, die eigentlich in den Verfassungsschutzbericht gehört! 

Welches Versprechen geben Sie Ihren Wählern für diese Legislaturperiode, an dem diese Sie in vier Jahren messen können? 

Weidel: Unser Versprechen lautet, die wahren Probleme zu benennen und soweit wie möglich anzupacken. Und wir werden dabei keine Kompromisse machen. Messen Sie uns daran, ob wir den Mut zur Wahrheit bewahrt haben werden! 






Dr. Alice Weidel, ist zusammen mit Alexander Gauland Vorsitzende der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag sowie Mitglied im Bundesvorstand der Partei, deren Bundesfachausschuß Euro und Währung sie leitet. Die Volkswirtin wurde 1979 in Gütersloh geboren. 

Foto: Weidel am Rednerpult: „Mit unseren Vorschlägen zwingen wir die Bundesregierung, Stellung zu nehmen ... So führen wir den Bürgern vor Augen, welchen Lösungen sie sich verweigert“  

 

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