© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Der Markt macht’s
Rainer Zitelmann erklärt anhand von Beispielen aus der Wirtschaftsgeschichte, warum es den Menschen im Kapitalismus immer am besten geht
Erich Weede

Kapitalismus ist eine Ordnung, die auf Privatbesitz an Produktionsmitteln, Wettbewerb und von Angebot und Nachfrage abhängigen Preisen beruht. Er hat bei Linken und selbst Konservativen einen schlechten Ruf. Von Unternehmern darf man keine Verteidigung des Kapitalismus erwarten. Ökonomen sind selten gute Fürsprecher. Ihre Liebe zur Mathematisierung wirkt als Kommunikationshindernis. Zitelmann ist doppelt promovierter Historiker und Soziologe, war auch Journalist und hat sich als „Kapitalist“ im Immobiliengeschäft bewährt. Er kann sich verständlich ausdrücken. 

Für ihn beweist die Wirtschaftsgeschichte die Überlegenheit von kapitalistischen über planwirtschaftliche Volkswirtschaften. Auch denen, die nicht verstehen, wie Kapitalismus funktioniert, will Zitelmann zeigen, daß er funktioniert. Dabei geht es um Wohlstandssteigerung, nicht um Angleichung der Einkommen. Gerade das von einer kommunistischen Partei regierte China zeigt, daß zunehmende Ungleichheit durchaus mit schnell abnehmender Massenarmut vereinbar ist. 

Ausgangspunkt des ersten Kapitels ist Chinas „Großer Sprung nach vorn“, bei dem Ende der fünfziger Jahre die Eigentumsrechte der Bauern und anderer Produzenten abgeschafft wurden, wo Kader statt Sachverstand herrschten, wo nach Schätzungen zwischen 32 und 45 Millionen Menschen umkamen. Ende der 1970er Jahre begannen unter Deng Xiaoping langsam, oft spontan und von unten, aber von oben toleriert, marktwirtschaftliche Reformen: familiäre Bewirtschaftung von gepachtetem Ackerland, am Anfang von Kadern geleitete Kollektivbetriebe, schließlich echte Privatbetriebe, schrittweise Preisfreigabe und außenwirtschaftliche Öffnung. Der Marxismus wurde so umgedeutet, daß er das Lernen durch Erfahrung erlaubte. 

Im zweiten Kapitel des Buches behandelt Zitelmann die Vergeblichkeit der Entwicklungshilfe und betont, daß Defizite an wirtschaftlicher Freiheit, an Sicherheit der Eigentums- und Verfügungsrechte der produktiv Tätigen vor den Herrschenden, ein wichtiger Grund für die Massenarmut sind. Obwohl viele afrikanische Länder durch hohe Rohstoffpreise schnell gewachsen sind, erwähnt Zitelmann, warum er sich kein afrikanisches Wunder nach asiatischem Vorbild vorstellen kann. Leistungsbereitschaft und Disziplin sind nicht wie in Asien kulturell verankert. Hoffnungszeichen für ihn ist vor allem die rasch wachsende Zahl der Reichen in Afrika. Der Befund zur Entwicklungshilfe impliziert, daß man damit nicht Fluchtursachen bekämpfen kann. 

Im dritten und vierten Kapitel wird die Wirtschaftsgeschichte in den geteilten Ländern Deutschland und Korea rekapituliert. In beiden Fällen waren die kapitalistischen Landesteile viel erfolgreicher als die Planwirtschaften. Im fünften Kapitel wird am Beispiel Großbritanniens unter Thatcher und der USA unter Reagan gezeigt, daß es gut ist, den in fast allen westlichen Demokratien zu beobachtenden Trend zu steigenden Steuerlasten, Staatsquoten und Sozialleistungen zu unterbrechen. 

Im sechsten Kapitel werden das wirtschaftlich recht freie und prosperierende Chile und das wirtschaftlich unfreie und zunehmend verarmende Venezuela verglichen. Im Schwedenkapitel wird gezeigt, daß die wohlfahrtsstaatliche Politik die schwedische Volkswirtschaft zwischen den 1970er und 1990er Jahren überlastet hat, daß seit den Neunzigern Reformen bei Steuern und Regulierung zu sinkenden Staatsquoten und steigendem Wirtschaftswachstum geführt haben. Der Arbeitsmarkt ist noch stark reguliert, die Steuern bleiben hoch, aber das Steuerrecht wurde vereinfacht. Schenkungs-, Erbschafts- und Vermögenssteuern wurden abgeschafft. Im achten Kapitel werden die Wirkungen von wirtschaftlicher Freiheit noch mal zusammengefaßt. Hier ist hervorzuheben, daß mehr wirtschaftliche Freiheit in armen Ländern gegen Fluchtursachen wirken könnte. 

Im neunten Kapitel verwirft Zitelmann die These, daß die Finanzkrise seit 2008 oder die Eurokrise seit 2010 Beispiele für Kapitalismusversagen seien. Statt dessen kritisiert er die Politik der Zentralbanken und der Regierungen. In den USA haben die Niedrigzinspolitik vor 2005 und die politisch korrekte Kreditvergabe an arme Kreditnehmer sowie der Aufkauf der Kredite durch quasi-staatliche Banken und die Bündelung der Kredite das Dilemma eingeleitet. In Europa hat das Primat der Politik sich über sachverständigen Rat oder Verträge hinweggesetzt. Exzessive Staatsschulden oder die durch Regulierung erzwungene Vernachlässigung unterschiedlicher Bonität von Staaten sind kein Marktversagen. 

Am Schluß fragt Zitelmann, warum Intellektuelle zur Kapitalismuskritik neigen. Er erwähnt auch Neid und Statuskonkurrenz zu den Wirtschaftseliten, hält aber den Schwerpunkt schulischer und akademischer Ausbildungen auf explizitem oder formulierbarem Wissen und die Vernachlässigung von implizitem Wissen und praktischer Erfahrung für bedeutsamer. Das gut verständliche Buch bietet keinen Anlaß zum Optimismus. Aufgrund zunehmender Verschuldung, ergrauender Bevölkerungen, der politischen Neigung zur Verlagerung der Probleme in die Zukunft und der Nullzinspolitik rechtfertigen Zitelmanns Analysen düstere Vorahnungen.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

Rainer Zitelmann: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung. FinanzBuch Verlag, München 2018, gebunden, 283 Seiten, 24,99 Euro