© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Deutschland paralysiert: Die Zeit zwischen Waffenstillstand 1918 und Versailles in der Deutung des „FAZ“-Journalisten
Andreas Platthaus / Karlheinz Weißmann

Wer geglaubt hat, daß die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg nach den Debatten über den Ausbruch 1914 erledigt sein werde, hat sich getäuscht. Auch der Endpunkt des Konflikts in den Jahren 1918 und 1919 – das deutsche Ersuchen um Waffenstillstand, die Novemberrevolution, der Sturz des Kaisers, die Gründung der Republik, der Versailler Vertrag – findet seinen Niederschlag in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen, zum Beispiel dem Buch „18/19. Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles“ von Andreas Platthaus. Nimmt man den Untertitel, hat man schon so etwas wie die Generalthese des Verfassers. Die Behauptung nämlich, daß der Krieg in Wirklichkeit nicht zu Ende war, als die Waffen an der Westfront schwiegen. Vielmehr setzten die Sieger den Kampf fort, nicht nur durch die Forderungen, deren Härte von vornherein klarmachte, daß an einen echten Friedensvertrag im Stil des 19. Jahrhunderts nicht zu denken war, sondern auch durch die Maßnahmen, die darauf abzielten, das Reich dauerhaft zu schwächen, wenn nicht zu zerstören.

Gegen die Art und Weise, in der Platthaus den Ablauf der Ereignisse schildert, ist wenig zu sagen. In drei Teilen werden die Ursachen für die deutsche Resignation und die inneren Auseinandersetzungen dargestellt, dann der Zusammenhang zwischen Wilsons „Vierzehn Punkten“ und dem Gang der Dinge auf der Pariser Friedenskonferenz bis zur Festlegung der Bestimmungen des Versailler Vertrages, und schließlich geht es um die Unterzeichnung und einige Weiterungen. 

Man mag gegen eine Reihe von Wertungen und in jedem Fall gegen das Einfügen einiger Exkurse (über die Invaliden im Spiegelsaal, über Albert Einsteins pazifistische Phantasien, über die Wandlungen des Journalisten Theodor Wolff und über die Beziehung zwischen Clemenceau und dem Maler Monet) Vorbehalte anmelden. Aber die entscheidenden Defizite des Buches von Platthaus sind damit noch nicht berührt. 

Das erste betrifft den historischen Bezugsrahmen, der von Platthaus viel zu eng gesetzt wird. Bei ihm fehlen vor allem die notwendigen Verweise auf die mittel- und langfristigen Ziele, die die Entente gegenüber Deutschland verfolgte. Zwar erwähnt er kursorisch, daß Wilson wohl nicht der reine Tor war, als den man ihn gerne sieht, Clemenceau zu den schärfsten revanchards zählte und Lloyd George die vorgezogenen Unterhauswahlen im Dezember 1918 mit dem Versprechen gewann, die Deutschen zur Übernahme aller Kriegskosten zu zwingen. 

Aber Platthaus geht nicht auf, daß das keine Details sind, sondern daß man es mit der logischen Folge jenes „diskriminierenden Feindbegriffs“ (Carl Schmitt) zu tun hat, der der westlichen Selbstrechtfertigung und Kriegspropaganda von Anfang an eingeschrieben war und noch den plattesten Egoismus und jede himmelschreiende Ungerechtigkeit zu decken erlaubte. Die Behauptung der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands, der persönlichen Verantwortung Wilhelms II., der besonderen „Barbarei“ der „Hunnen“, der Kontinuität einer „deutschen Gefahr“, die letztlich nur durch die Auslöschung Deutschlands oder die Herabdrückung der Deutschen auf das Niveau eines Fellachenvolkes zu beseitigen sei, fand letztlich Niederschlag in den Bestimmungen des Versailler Vertrages. 

Daß es auf seiten der Sieger einzelne gab, die diesen fatalen Zusammenhang früh erkannten – der spätere US-Präsident Herbert Hoover wird mit den Worten zitiert, daß der politische wie der wirtschaftliche Teil des Versailler Vertrages „von Haß und Rachsucht durchsetzt“ gewesen seien – ändert daran nichts.

Die zweite Schwäche hängt mit der ersten eng zusammen. Sie hat zu tun mit der fehlenden Ausleuchtung des innenpolitischen Zusammenbruchs, den Deutschland im November 1918 erlebte. Zwar neigt Platthaus zu einer etwas differenzierteren Sicht als der üblichen, was zum Beispiel die Intentionen Ludendorffs angeht, aber die Dramatik des Vorgangs wird nirgends deutlich. Die schon seit Jahresbeginn immer wieder aufflammenden Streiks, die zwiespältige Rolle der Sozialdemokratie (keineswegs nur ihres radikalen Flügels oder der „Gruppe Spartakus“), die Menge der Toten, die Einflußnahme und Steuerung durch die sowjetische Botschaft in Berlin, die Weigerung der Arbeiter, „ihre“ Republik zu verteidigen, davon findet man nichts, oder es wird erledigt, ausgerechnet mit dem Verweis auf die Geschichte der Novemberrevolution Sebastian Haffners, eines ganz fatalen Stücks Konjunkturschreiberei aus den 1960er Jahren.

Angesichts dessen kann man auch nicht erwarten, daß eine überzeugende Gesamteinschätzung der Folgen von Versailles zustande kommt. Es bleibt bei dem üblichen Lamento, was die Weigerung der USA angeht, dem Völkerbund beizutreten, dessen Gründung von Wilson als Voraussetzung für die Schaffung einer Friedensordnung betrachtet wurde. Und es bleibt bei dem üblichen Lamento, daß Versailles von Hitler ausgenutzt werden konnte, um eine neue nationalistische Bewegung zu schaffen. Aber es fehlt offenbar die Einsicht darein, daß die „Ideen von 1919“ nur ein Beispiel für die Unfähigkeit der nun tonangebenden Mächte war, irgend etwas zustande zu bringen, was die Bezeichnung „Staatenordnung“ verdiente.

Andreas Platthaus: 18/19. Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles. Rowohlt Verlag, Berlin 2018, gebunden, 448 Seiten, 26 Euro