© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Knapp daneben
Überfüllte Städte
Karl Heinzen

Das Geschäft mit den Urlaubern boomt. Dennoch wollte auf der Branchenmesse ITB, die soeben in Berlin stattgefunden hat, keine enthusiastische Stimmung aufkommen. Bilder von halbnackten unförmigen Menschen, die sich an den Badestränden des Mittelmeeres massenhaft nebeneinander quetschen, sind ja seit langem bekannt. Nun hat sich herumgesprochen, daß es in den meisten Metropolen, die eine Reise lohnen, nicht besser aussieht. In Venedig, Rom, Barcelona, London, Paris oder Dubrovnik kann man sich im Stadtkern vor lauter Touristenhorden kaum noch bewegen. Angebliche Geheimtips sprechen sich in Windeseile herum. Wo immer eine Stadt im Verdacht steht, irgend etwas Besonderes zu bieten, fallen die Besucher auch schon in Scharen ein. „Overtourism“ heißt dieses Phänomen, und in seiner Verzweiflung hat der Welttourismusverband bereits die berüchtigte Beratungsgesellschaft McKinsey damit beauftragt, eine Gegenstrategie zu entwickeln. Die Zeit drängt, denn der Wohlstand in Asien wächst, und bald werden die Angehörigen der dortigen Mittelschicht in noch viel größerer Zahl unseren Kontinent heimsuchen, um seine Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. 

Vielleicht sollte man Städte wie Venedig einfach demontieren und in Asien wieder aufbauen.

Natürlich könnte man auch hier darauf vertrauen, daß die Kräfte des Marktes es schon regeln werden. Sind die Städte in immer stärkerem Maße überfüllt, so lautet seine Logik, sinkt ihr Vergnügungswert, und die Besucherzahlen gehen wieder zurück, bis sie sich bei einem Optimum einpendeln. Allerdings liegt diese Schmerzgrenze bei den kollektivistisch sozialisierten und streßresistenten Asiaten so hoch, daß sie nicht nur die nervenschwachen europäischen Touristen verdrängen, sondern auch die Einheimischen dazu veranlassen werden, das Weite zu suchen. Irgendwann dürften in Venedig nur noch asiatische Gondolieri asiatischen Liebespärchen asiatische Weisen trällern. Muß man wirklich, werden dann die Touristen fragen, so weit reisen, um so etwas zu erleben? Nein, das muß man nicht. Vielleicht sollte man Städte wie Venedig einfach demontieren und in Asien wieder aufbauen. Das wäre langfristig auch besser für die Klimabilanz.