© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Es gibt zu viele schlechte Lehrer.“ (Alan Posener) – „Es gibt zu viele schlechte Journalisten.“ (Karlheinz Weißmann)

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Die Art und Weise, wie über die Äußerungen des Schriftstellers Uwe Tellkamp zur Massenmigration diskutiert wird, zeigt zweierlei: erstens die Meinungsmacht und zweitens die Borniertheit der Linken. Die Meinungsmacht kommt in der Einhelligkeit der Kommentare und der absurden Distanzierung durch Tellkamps Hausverlag Suhrkamp zum Ausdruck, die Borniertheit in der notorischen Blindheit der Linken gegenüber den Fakten. Das, was Tellkamp gesagt hat, findet sich fast wortgleich in einer Feststellung Otto Schilys, der schon vor zwanzig Jahren als sozialdemokratischer Innenminister die Abschaffung des Individualrechts auf Asyl diskutieren wollte und davon sprach, daß man es – angesichts einer Anerkennungsquote, die damals bei drei Prozent lag (aktuell: 1,4 Prozent, Anerkennung als Flüchtling: 16,2 Prozent) – faktisch nur noch mit „ungebremste[r] Zuwanderung von integrationsschwierigen Menschen in die Sozialsysteme“ zu tun habe.

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Der Tod Achim Bergmanns führt zu allerlei Rückblicken auf die Geschichte des Trikont-Verlags. Dabei stand die Rolle als publizistische Plattform der Neuen Linken ganz im Mittelpunkt. Aus einem SDS-Arbeitskreis „Dritte Welt“ war der „Bewegungsverlag“ hervorgegangen, der Che Guevaras „Bolivianisches Tagebuch“ und Anleitungen für den Partisanenkampf, die Mao-Bibel und Fritz Teufels „Klau mich“ auf den Buchmarkt brachte. 1975 erschien hier auch Michael „Bommi“ Baumanns „Wie alles anfing“, was die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief, die in dem Werk des ehemaligen „Stadtguerilleros“ Verherrlichung politischer Gewalt sah und es beschlagnahmte. Aber die progressive Intelligenz stand schon zur Solidarisierung bereit: Dutschke, Sartre, Schwarzer protestierten, und die schöne Veruschka Gräfin Lehndorff auch. 1978 gab das „System“ nach, Trikont durfte weitermachen. Tatsächlich kam die Existenzkrise erst zwei Jahre später, und die hatte nichts mit Repression zu tun, sondern mit internen Konflikten. Die endeten so, daß Anfang der achtziger Jahre der Schallplatten- vom Buchverlag getrennt wurde. Denn dessen Gründer Herbert Röttgen hatte sich zu einer Neuausrichtung entschlossen. Bergmann übernahm das Plattenlabel, während Röttgen zusammen mit Christiane Thurn ein Manifest unter dem Titel „Wir sind konservativ geworden – und revolutionär geblieben“ veröffentlichte. Darin ging es um den Entwurf einer ganz eigenen „Querfront“, die ökologisches Bewußtsein und die Sehnsucht nach Spiritualität zusammenbringen sollte mit dem Denken eines Ernst Jünger, Martin Heidegger, Carl Gustav Jung. „Konservativ denken“ hieß es da, „bedeutet bewahrend denken, und Kultur leitet sich ab von colere, das meint sammeln. Vorhandenes sammeln und bewahren – das macht den Geist des echten Konservativismus aus.“ Denn letztlich wisse sich „konservatives Denken“ immer eingebettet „in einen kosmischen Raum aus Region, Sprache, Natur und Volksbräuchen“. Trikont wurde in Trikont-Dianus umbenannt; „Dianus“ nach einer androgynen, doppelköpfigen Gottheit der römischen Antike. Verziehen haben das die Genossen nicht. Der Verband des linken Buchhandels rief zum Boykott auf, 1986 mußte Trikont-Dianus Konkurs anmelden. Das letzte Verlagsprogramm trug übrigens den Titel „Metapolitik“. Nur Bergmann machte weiter auf den alten Pfaden.

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Die Veröffentlichungen zum Thema der „Wiedervereinigung“ Österreichs und Kleindeutschlands im Frühjahr 1938 zeugen vor allem von Geschichtsvergessenheit. Die Kommentatoren können offenbar nicht mehr nachvollziehen, wie lebendig auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die gesamtdeutsche Sehnsucht war, und die zentrale Bedeutung Österreichs und der Habsburger für die Geschicke des alten Reiches scheint vollkommen verdrängt. Dabei hatten weder der Sieg Preußens im „Deutschen Krieg“ von 1866 noch die Gründung des Zweiten Reiches 1871 die Vorstellung von deutscher Einheit beseitigt. Die bitteren Worte des Wiener Schriftstellers und Dramatikers Franz Grillparzer über die Teilung des Volkes, wie seine bange Frage „Ich bin geborener Deutscher, bin ich es noch?“ können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man in Berlin sehr genau wußte, wie die Dinge lagen. In einem Brief an Kaiser Wilhelm I. schrieb Bismarck: „Schließlich gestatte ich mir, mit Bezugnahme auf die nationalen Empfindungen im gesamten Deutschen Reich, noch auf die geschichtliche Tatsache ehrfurchtsvoll hinzuweisen, daß ‘das deutsche Vaterland’ nach tausendjähriger Tradition sich auch an der Donau, in Steiermark und in Tirol noch wiederfindet.“ An anderer Stelle sprach er ganz selbstverständlich von „unseren Stammesgenossen in Österreich“, denen sich die Deutschen im „Westreich“ aufs engste verbunden wüßten.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. März in der JF-Ausgabe 14/18.