© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Von der Realität zermalmt
„Verlage gegen Rechts“: Auf der Buchmesse in Leipzig drohen Angriffe linker Störer auf die Meinungsvielfalt
Thorsten Hinz

Die berühmt-berüchtigten Kräfte der Zivilgesellschaft haben nun auch die Institution Buchmesse unter ihre Kontrolle gebracht. Ein Bündnis „Verlage gegen Rechts“ gab für Leipzig den Takt vor: „Wir nehmen die Präsenz völkischer, nationalistischer und antifeministischer Verlage nicht wort- und tatenlos hin. Und werden wie in den letzten Jahren Protest organisieren, wo immer wir auf sie treffen.“

Hier wurde das Pathos der Berliner Freiheitsglocke vom Rathaus Schöneberg („Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.“) bemüht, um Kritik an der Politik des von der CSU bis zur Linkspartei reichenden Parteienkartells zu ersticken. Die 70 Verlage, die den Aufruf unterzeichnet haben, sind – wenn man von Christoph Links, bebra und Wagenbach absieht – Leichtgewichte und hätten locker ignoriert werden können. Unerheblich sind auch die 160 Einzelpersonen – Buchhändler, Übersetzer, Autoren –, deren Unterschriften angeführt sind. Für sie ist der Aufruf eine Werbeplattform.

Messeleitung in Leipzig verhält sich perfide

Messeleiter Oliver Zille hatte denn auch erklärt, daß Verlage aus dem rechten Spektrum ebenso in Leipzig ausstellen dürften wie alle anderen Kunden auch, schließlich sei die Buchmesse der Meinungsfreiheit verpflichtet. So weit, so gut. Er fügt jedoch hinzu: „Wenn uns aber Dinge auffallen oder gemeldet werden, dann werden wir natürlich darauf reagieren. Wir haben ein Hausrecht und werden es einsetzen, um Bücher zu entfernen oder um Veranstaltungen abzubrechen, die aus dem Ruder laufen.“

Das war hübsch perfide. Hätte Zille gesagt, die Messeleitung werde jedem Versuch, eine Veranstaltung zu sabotieren, qua Hausrecht konsequent unterbinden, wäre er seinem Amt und der Meinungsfreiheit gerecht geworden. So aber hatte er linken Störern signalisiert, sie müßten die Dinge nur in die Hand nehmen und dafür sorgen, daß die Veranstaltungen bestimmter Verlage wirklich aus dem Ruder laufen.

Tatsächlich kündigten „Antifaschist_innen“ an, „den Rechten praktisch“ klarmachen zu wollen, „daß sie in Zukunft besser auf ihre Meinungsäußerungen verzichten“. An den zivilisierten Ablauf von Veranstaltungen ist unter diesen Umständen um so weniger zu denken, als die Messeleitung durch die konzentrierte Plazierung bestimmter Verlage mögliche Attacken noch erleichtert hat. Die Frage war, ob man sich dem aussetzen wollte. Diese Zeitung hat das verneint und ihre Teilnahme abgesagt.

Die „Verlage gegen Rechts“ ließen sich danach triumphierend vernehmen: „Uns geht es nicht um ein Verbot, sondern um Widerstand. (...) Daß dies zu einer Absage der JUNGEN FREIHEIT geführt hat, werten wir als vollen Erfolg.“ Das Bündnis darf sich als Stoßtrupp einer größeren Bewegung fühlen. Der Deutsche Schriftstellerverband hat den Link geteilt und sich die Aussage zu eigen gemacht. Der Verband hatte schon nach der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017 zusammen mit dem PEN gefordert, „für die Zukunft Strategien (zu) entwickeln, die verhindern, daß die rechte Szene die Schlagzeilen bestimmt“.

In dieselbe Kerbe schlug ein Aufruf des Dresdner Literaturbüros, der unter anderem von den Schriftstellern Marcel Beyer,  Durs Grünbein, Ingo Schulze unterschrieben wurde („Die Nähe zur Macht suchen“, JF 52/17). Die Unterzeichner bestritten dem rechten Meinungslager mehr oder weniger das Recht, sich auf Meinungsfreiheit zu berufen und forderten: „Wer sich glaubhaft für eine offene Gesellschaft und ein demokratisches Miteinander einsetzen will, tritt demokratiefeindlichen, antipluralistischen und rassistischen Ideologien entgegen.“

Begriffe wie völkisch, demokratie-feindlich, rechtspopulistisch, sind zwar inhaltsleer, besitzen aber, weil eine mediale und administrative Wucht dahintersteht, ein enormes Stigmatisierungspotential. Wer es abruft, muß sich darüber im klaren sein, daß er schnöde Denunziation betreibt.

Heinrich Heine kannte seine Pappenheimer. Im Aufsatz „Über den Denunzianten“ widmete er sich dem Literaturkritiker Wolfgang Menzel, der die Vormärz-Autoren des „Jungen Deutschland“ anschwärzte, bis 1835 der Bundestag ihre Schriften verbot, weil sie „die bestehenden socialen Verhältnisse herabwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit (...) zerstören“. Den Appell des Intellektuellen an die Macht, den Andersdenkenden in den Staub zu treten, nannte Heine „feige“. Auch sei Menzel „durch dieses unreinliche Tagwerk (...) selber so schmierig und anrüchig geworden, daß man am Ende seine Nähe nicht mehr ertragen konnte“.

Feige und schmierig sind auch die aktuellen Praktiken. Offenbar kann kein politisches System darauf verzichten, diese Eigenschaften abzurufen und in Dienst zu nehmen. Im Jahr 1991 wurde bei Rowohlt „Das Protokoll eines Tribunals“ veröffentlicht. Es dokumentierte das Scherbengericht, das 1979 der DDR-Schriftstellerverband über neun Autoren – darunter Stefan Heym und Erich Loest – veranstaltet hatte. Sie seien „kaputte Typen“, die Schützenhilfe im „ideologischen Kampf gegen den Sozialismus“ leisteten und dem „Gegner Munition für seine Angriffe“ lieferten. Sie betrieben „Hetze“ und befeuerten den „Haß“. Auch dieses Vokabular war so inhaltsleer wie sozial vernichtend. 

Das Vergehen der Delinquenten: Sie hatten in einem Brief an den Staats- und Parteichef Honecker einen „öffentlichen Meinungsstreit“ angemahnt sowie gegen die Zensur und deren Koppelung mit Strafgesetzen protestiert. Weil es in der DDR statt eines öffentlichen nur einen Verlautbarungsraum der Staatspartei gab, benutzten sie die Öffentlichkeit im Westen, um Öffentlichkeit im Osten herzustellen.

Mit der Völkerwanderung ist alles ins Rutschen geraten

Als nach der Wiedervereinigung das Versammlungsprotokoll veröffentlicht wurde, waren manche Debattenbeiträger peinlich berührt. Den Einwand vorwegnehmend, Verfolgungen von Autoren gebe es auch im Westen, schrieb Fritz J. Raddatz in der Zeit, tatsächlich müsse man „vor der eigenen Tür kehren. Nur: Das geschieht und ist stets geschehen. Da liegt der Unterschied. Und es gibt noch einen (...): Man kennt, bislang, keinen Beleg dafür, daß westliche Schriftsteller die eigenen Kollegen drangsalierten, sich – über die zum Metier gehörende Häme hinaus – beteiligten an Unrecht, die Hand reichten zur ‘Maßnahme’.“ 

Die Unterschiede, auf die Raddatz soviel Wert legte, sind längst eingeebnet. Es braucht heute nicht einmal mehr staatliche Vorgaben oder behördlichen Druck, um Kulturschaffende und Funktionäre des Kulturbetriebs zu veranlassen, als Anschwärzer tätig zu werden, Beihilfe zur „Maßnahme“ zu leisten und den öffentlichen Raum als angstfreien Ort des Austauschs zu zerstören. Den Zwang, der früher von außen kam, haben sie verinnerlicht.

So haben eine Woche vor Beginn der Buchmesse Studenten und Beschäftigte der Literaturinstitute in Leipzig, Hildesheim, Wien und dem schweizerischen Biel einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die Teilnahme rechter Verlage kritisieren und der Messeleitung vorwerfen, „eine Mitverantwortung für die Normalisierung rassistischer und sexistischer Positionen im Parlament und auf der Straße“ zu tragen. „Wir wünschen uns die Leipziger Buchmesse als einen Ort der Vielfalt – deshalb darf dort kein Raum für jene sein, die die Vielfalt bekämpfen wollen“, heißt es weiter. Neue Benns, Brechts oder wenigstens ein deutschsprachiger Houellebecq kündigen sich hier bestimmt nicht an, so daß sich die Frage stellt, warum der Steuerzahler weiterhin Einrichtungen unterhalten soll, in denen schmieriger Opportunismus und Feigheit gepflegt und in der Konsequenz künstlerisches Mittelmaß herangezüchtet werden.

Woher aber kommen die Erwartung und die Furcht, daß die „rechte Szene“ erneut „die Schlagzeilen“ bestimmen könnte? Eine Berechnung hat ergeben, daß sich unter den 2.000 Ausstellern selbst im weitesten Sinne ganze 0,15 Prozent als „rechts“ verorten lassen. Warum trauen die übrigen 99,85 Prozent – übrigens ein gängiges DDR-Wahlergebnis – sich nicht zu, mit ihnen friedlich-schiedlich fertigzuwerden, am einfachsten durch Ignoranz? 

Weil spätestens mit der 2015 einsetzenden Völkerwanderung alles ins Rutschen geraten ist. „Nord und West und Süd zersplittern/ Throne bersten, Reiche zittern“, heißt es bei Goethe im „West-östlichen Divan“. Die Kultur- und Literatenszene weiß, daß ihre Utopien und Leitbilder von der Realität erbarmungslos zermalmt, zermahlen werden und sich bestätigt, was die Rechte ihnen nicht nur prophezeit, sondern auch exakt vorgerechnet hat. Die anderthalb Promille sind der schmerzende Stachel in ihrem Fleisch. Die Furcht treibt sie um, im nächsten Moment als widerlegt dazustehen und Ansehen, Pfründe, Selbstachtung zu verlieren. Wenigstens im kleinen Kulturbetriebsladen soll, solange es irgendwie geht, alles beim alten und der Widerspruch ausgesperrt bleiben.