© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Programmatisch abrüsten
Front National: Frankreichs Rechtspartei sucht den Neustart – doch vieles bleibt beim alten
Friedrich-Thorsten Müller

Ein weiträumig mit Gittern abgesperrtes Kongreßzentrum erwartet den zweitägigen Parteitag des Front National (FN), geschützt durch ein allerdings eher überschaubares Polizeiaufgebot. Der Grund dafür ist einfach. Die in Deutschland bei einem „rechten“ Parteitag obligatorischen Demonstranten fehlen zumindest bei Ankunft und Abreise der Parteitagsbesucher gänzlich, so daß die 1.500 Besucher bei leichtem Nieselregen eher entspannt und ausgelassen zum 16. Kongreß des Front National strömen können. 

Doch die Ruhe ist trügerisch. Es brodelt unter den Mitgliedern. In einer Partei, die viel Wert auf die Familie legt, läßt der Ausschluß Jean-Marie Le Pens von der Parteitagsteilnahme die Mitglieder nicht kalt, zumal sich langjährige Aktivisten der Verdienste des Seniors sehr wohl bewußt sind. Darüber kann auch die 80prozentige Zustimmung zur Satzungsänderung mit der Abschaffung des Amtes des Ehrenpräsidenten, das er bis zu diesem Parteitag juristisch unanfechtbar innehatte, nicht hinwegtäuschen.

Namensänderung – starke Vorbehalte bei der Basis

Auch die von Marine Le Pen favorisierte, bisher ohne konkreten Vorschlag im Raum stehende Namensänderung ist umstritten. Lediglich 52 Prozent der im Vorfeld befragten Mitglieder hatten sich für diesen Schritt ausgesprochen. Langjährige Aktive, wie die Regionalratsabgeordnete Marie de Kervéréguin, äußern im persönlichen Gespräch, daß dies an der Stigmatisierung von FN-Politikern nichts ändern würde. Dagegen befürchtet sie bei oberflächlich interessierten Bürgern einen Verlust an Bekanntheit und beträchtliche Umstellungskosten.

Wenn diese Sorgen und Vorbehalte auf dem Parteitag trotzdem nicht offen zutage treten, so ist dies vor allem einer geschickten Parteitagsregie zu verdanken. 

Obwohl von der Satzung über die Kerninhalte der Programmatik bis hin zum Parteinamen so ziemlich alles hinterfragt wird, was den Front National ausmacht, ist doch keine Aussprache mit Wortmeldungen aus dem Plenum vorgesehen. Lediglich Dialog-Workshops am Rande des Parteitags werden angeboten. Die Meinung der Mitglieder sieht die Parteitagsregie mit einer im Vorfeld durchgeführten Meinungsumfrage mit 80 Fragen ausreichend gewürdigt. Dies sehen durchaus auch die Parteitagsgäste so, die sich durchweg positiv über die neue Basisdemokratie im Front National äußern.

Die Ergebnisse werden nach Themen von Referenten aus der Parteiführung, wie Sébastien Chenu oder dem EU-Parlamentarier Gilles Lebreton, vorgestellt. Mit den meisten Ergebnissen dieser Befragung scheint die Parteiführung auch gut leben zu können. So steht eine Mehrheit von 70 Prozent der Mitglieder hinter dem Vorschlag, die Forderung nach der Todesstrafe durch „echtes Lebenslänglich ohne Begnadigungschance“ zu ersetzten. Dies ist eine spürbare „programmatische Abrüstung“, die sonst allerdings nur für die wenigsten Themengebiete gilt. 

Mehr denn je stellt sich die Partei als antikapitalistische, wohlfahrtsstaatsselige Kraft auf. 74 Prozent der nach letztem Stand 30.000 an der Befragung teilnehmenden Mitglieder sprachen sich für eine Rückkehr zur Rente mit 60 Jahren aus. Eine relative Mehrheit von 47 zu 39 Prozent will auch die 35-Stunden-Woche beibehalten. Darüber hinaus bleibt die EU-Feindlichkeit stark ausgeprägt, auch wenn der schärfste Europagegner, der langjährige Chefstratege Florian Philippot, die Partei verlassen hat und die „Internationale der Patrioten“ sowie der „Kampf gegen die Globalisten“ die Idee der Stunde ist. Immerhin 82 Prozent der Mitglieder wollen die Schengen-Vereinbarung aufkündigen und wieder nationale Grenzen errichten. Ganze 90 Prozent sprachen sich für ein Referendum über den Verbleib in der EU aus. Vor allem fordern aber 98 Prozent der Parteimitglieder eine „drastische Begrenzung der Einwanderung“ auf einen „nicht weiter reduzierbaren Sockel“.

Marine Le Pen geißelt Globalisierung

Für alle, die nach der Präsentation dieser doch deutlichen Positionierungen in Sorge waren, daß das Projekt „Entteufelung des Front National“ Schaden nehmen könnte, war die als überraschender Höhepunkt des ersten Tages angesetzte Rede des früheren Trump-Chefstrategen Steve Bannon Balsam auf die Seele. In einer hemdsärmeligen, in zerknitterter Hose und Parka frei vorgetragenen Rede ermunterte er die begeisterten FN-Aktivisten, zu ihrer Programmatik zu stehen und die Beschimpfung als Rassisten, „wie eine Auszeichnung“ zu tragen. 

„Die Geschichte ist auf unserer Seite, darum fürchten sie uns so“, sagte er mit dem jüngsten Wahlerfolg der EU-feindlichen Lega in Italien im Rücken. Schließlich gehe es in Wahrheit nicht um Rassismus, sondern darum, der Staatsbürgerschaft wieder ihren Wert zurückzugeben, daß sie mit Privilegien verbunden werde, „was nichts mit Rasse, Sexualität oder sonst was“ zu tun habe.

Etwas weniger spektakulär verlief die Bekanntgabe der ebenfalls im Vorfeld per Mitgliederentscheid gewählten neuen Vorstands- und Nationalratsmitglieder. Nachdem schon am Vortag die Wiederwahl Le Pens mit 100 Prozent der gültigen Stimmen zur Parteivorsitzenden mitgeteilt worden war, wurden auch die übrigen fünf Mitglieder des bisherigen Parteivorstandes in ihren Ämtern bestätigt und lediglich durch zwei zusätzliche Mitglieder ergänzt. Beim 120köpfigen „Nationalen Rat“, der das bisherige „Zentralkomitee“ ersetzt, gab es dagegen deutliche Veränderungen. Die Regionalratsabgeordnete de Kervéréguin zeigte sich „überrascht“, wie viele verdiente Mitglieder nicht mehr in das Gremium gewählt worden seien.

In einer nahezu perfekten Dramaturgie folgte dann – eingeleitet durch ein auf die Großleinwand übertragenes Grußwort des Lega-Nord-Chefs Matteo Salvini – die 75minütige Abschlußrede der alten und neuen Vorsitzenden  Marine Le Pen. Sie appellierte, in der Politik immer erst die Frage zu stellen, „ist es gut für Frankreich, ist es gut für die Franzosen“. Sie geißelte die Globalisierung, beschwor, Europa gegen die globalen Migrantenströme zu schützen und zu begreifen, daß wir uns „in einem Kampf des seßhaften Kain gegen den Nomaden Abel“ befinden. 

Erst ganz zum Schluß offenbarte sie dann den von ihr vorgeschlagenen neuen Parteinamen – „Rassemblement national“ – der „natürlich weiterhin den Begriff national“ in sich tragen werde. Außerdem versicherte sie, selbstverständlich die stilisierte Flamme als Symbol beibehalten zu wollen. Der Applaus für diese Ankündigungen war sicher nicht der größte auf diesem Parteitag, aber vermutlich groß genug, um dieses Projekt durch die laufende Mitgliederbefragung zu tragen.