© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Weit mehr als Weltkulturerbe
Unesco: Die UN-Organisation genießt einen guten Ruf. Zu Recht? Auf ihrer linken Agenda stehen Inklusion, Gender Mainstreaming und globale Migration
Hinrich Rohbohm

Ihr Einfluß wird in der Öffentlichkeit oft unterschätzt. Doch in den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Bildung und Erziehung erarbeitet die Unesco Richtlinien, die möglichst für alle ihrer 195 Mitgliedstaaten gelten sollen. Inklusion, Einheitsschulen, Migration oder Weltkulturerbe: Die Regierungen zahlreicher Nationen berufen sich bei ihren Entscheidungen nicht selten auf die Vorgaben dieser bei den Vereinten Nationen angesiedelten Weltorganisation.

Eine Organisation, die seit den siebziger Jahren mit fragwürdigen Beschlüssen und Resolutionen ins Gerede gekommen ist. Kritiker werfen ihr seitdem vor, eine linke Agenda zu verfolgen. Hinzu kommen Vorwürfe, sie lasse sich für die Durchsetzung antisemitischer und antiisraelischer Positionen instrumentalisieren.

Sowohl von Israel als betroffener Nation als auch aus den USA kommt diesbezügliche Kritik. Im Oktober vorigen Jahres war es ein regelrechter Paukenschlag, als die Supermacht ihren Austritt aus der Unesco bekanntgab. Es ist der finale Schritt der Amerikaner eines seit 2011 andauernden Rückzugsprozesses aus dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen.

Die USA und Israel wollen zum Jahresende austreten

Damals hatte die Unesco-Generalkonferenz mit Unterstützung Rußlands und Chinas und gegen die Stimmen Israels sowie der USA beschlossen, Palästina „als Staat“ die Mitgliedsaufnahme zu ermöglichen. Ein Akt, hinter dem reichlich Sprengstoff steckt. Denn die Anerkennung Palästinas als Staat ist ein Politikum. Und ein Schlag ins Gesicht Israels. Schließlich war es in Gremien der Unesco in der Vergangenheit schon öfters zu antisemitischen und antiisraelischen Kampagnen gekommen. Die USA stellten daraufhin ihre Beitragszahlungen an die Organisation – immerhin 22 Prozent des Gesamthaushalts – ein.

Die Aufnahme Palästinas würde „die internationalen Bemühungen für einen gerechten und dauerhaften Frieden in Nahost“ gefährden, argumentierten die Amerikaner. Die Unesco reagierte darauf in einer Art und Weise, wie man es eigentlich nur von totalitären Staaten gewohnt ist. Sie entzog den USA und auch Israel das Stimmrecht.

Als die Unesco am 7. Juli vorigen Jahres die Altstadt von Hebron auch noch zum palästinensischen Weltkulturerbe erklärte, verschärfte sich der Konflikt. Der Beschluß war nach einem entsprechenden Resolutionsantrag arabischer Mitgliedstaaten erfolgt, die Altstadt von Hebron und die Patriarchengräber auf die Weltkulturerbeliste zu setzen. Doch mit dem Beschluß, die Patriarchengräber seien ausschließlich palästinensisches Erbe, wird nach Auffassung Israels gleichzeitig die jüdische Geschichte von Hebron ausgeblendet. Die Folge: Sowohl die USA als auch Israel haben ihren Austritt aus der Unesco mit Wirkung zum Ende des Jahres 2018 hin angekündigt, weil die Organisation zunehmend antiisraelische Positionen vertrete.

Die USA hatten diesen Schritt schon einmal vollzogen. Unter dem damaligen Präsidenten Ronald Reagan kündigten die Amerikaner am 19. Dezember 1983 ihre Mitgliedschaft auf, weil die Unesco „linksgerichtet politisiert“ sei.

Gegründet im November 1945, zählt sie zu den ältesten Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Über 2.000 Mitarbeiter sind für sie in ihrem Hauptquartier in Paris beschäftigt, das sich, nur wenige hundert Meter vom Eiffelturm entfernt, am Rande des Champ de Mars befindet.


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Eine steinerne Mauer umgibt das Gelände. Darauf thront ein weißer Metallzaun. Sicherheitsschleusen an den Eingängen. Taschen, Jacken und Rucksäcke werden vor dem Betreten des Gebäudes vom Sicherheitspersonal durchleuchtet. Nur Mitarbeiter und Konferenzteilnehmer erhalten Zutritt zu den Büros. „Seit einem halben Jahr existieren erhöhte Sicherheitsanforderungen. Akkreditierungen für Journalisten sind seitdem nicht möglich“, erklärt ein Mitarbeiter am Eingang. Nur wenige Räume sind zugänglich.

Ein Ausstellungsbereich der Organisation darf betreten werden. Er könnte von seiner Aufmachung her auch als Parteizentrale der Grünen durchgehen. Werbetafeln für Frieden und Dialog, für den Planeten und die Ozeane. Pullover mit der Aufschrift „Peace“ werden zum Verkauf angeboten, von der Unesco herausgegebene Bücher, die für globale Freizügigkeit, Migration und regionale Integration werben, angepriesen.

Besonders die von der Unesco selbst publizierten Werke geben Einblicke in die Gedankenwelt ihrer Funktionsträger. Für „Migration ohne Grenzen“ plädiert da beispielsweise ein Buch. Ein anderes beschäftigt sich mit „Rassismus und Diskriminierungen“ im Fußball. „Wege in eine gerechtere Welt“, „Bioethik“, ökologisch angelegte Gärten, Kinder in einer multikulturellen Gesellschaft sowie Bücher über „The Green Belt Movement“, eine Nichtregierungsorganisation für Umweltschutz, sind dabei. Letztere wurde von der kenianischen „Umwelt- und Frauenaktivistin“ Wangari Muta Maathai ins Leben gerufen, die sich in Sachen „globale Erwärmung und Klimagerechtigkeit“ engagierte und 2004 von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Petra-Kelly-Preis ausgezeichnet wurde. Das Club-of-Rome-Mitglied wurde für das Bündnis der National Rainbow Coalition ins kenianische Parlament gewählt.

Im Bildungsbereich müsse die Inklusion verbindlich eingefordert, die Schulen zu Einheitsschulen umgeformt werden, ist da in diversen Unesco-Publikationen zu lesen. Diese Schriften übernehmen nicht selten die bildungspolitische Gleichheitsideologie der ebenfalls in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Unterdessen bildet sich vor dem Eingang der Unesco eine kleine Schlange. Wartende Mitarbeiter und Konferenzteilnehmer. Wir befragen sie über die einseitige politische Ausrichtung der Unesco seit den siebziger Jahren, wollen wissen, wie es dazu kommen konnte. Nicht jeder ist von den Fragen begeistert, viele winken ab. Einige stehen dennoch Rede und Antwort. „Die Unesco war ursprünglich von den USA dominiert“, erzählt einer. Damals seien noch deutlich weniger Staaten Mitglied der Weltorganisation gewesen. „Afrika existierte da praktisch noch nicht.“ Das änderte sich mit der Entkolonialisierung in den Ländern der Dritten Welt. „Gerade in Afrika entstanden ja viele Nationen aus den Befreiungsbewegungen“, erklärt ein Mitarbeiter gegenüber der JF. Diese seien in der Regel marxistisch ausgerichtet gewesen. „Als ihre Anführer später dann Staatschefs wurden, hatten viele von ihnen eine prosowjetische Position eingenommen“, und die westlichen Industrieländer gerieten in die Minderheit. 

Daraus entstand ein Konflikt, der bis heute die Funktionsweise der Unesco bestimmt. „Die westlichen Industrieländer zahlten die meisten Beiträge, aber die oftmals der Sowjetunion zugewandten Drittländer hatten die Mehrheit der Mandate.“ Mit ein Grund dafür, daß Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan schon mal ihre Geldzahlungen an die Organisation einstellten. In den neunziger Jahren kamen zudem einige wiedergebildete Staaten Osteuropas sowie die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken hervorgegangenen unabhängigen Länder hinzu, was den politischen Einfluß der westlichen Industrieländer innerhalb der Generalkonferenz, des obersten Kontroll- und Entscheidungsgremiums der Unesco, weiter minderte. Denn dort hat jeder Staat eine Stimme.


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Entsprechend bescheiden gestalten sich für den Westen daher auch die Machtverhältnisse im Exekutivrat der Organisation. Nur neun von 58 Plätzen sind Nordamerika und Westeuropa vorbehalten. Das entspricht einem prozentualen Anteil von 15,5 Prozent. Zum Vergleich: Allein die USA, Großbritannien und Deutschland zahlten bisher zusammen mehr als ein Drittel der von den Staaten zu entrichtenden Beiträge. Hinzu kommt, daß lediglich 30 Länder den Zahlungsaufforderungen überhaupt nachkommen.

Der Exekutivrat wirkt als Verbindungsgremium zwischen Generalkonferenz und dem Sekretariat, bereitet die Generalkonferenzen vor, prüft Arbeitsprogramme sowie den Haushaltsplan der Unesco und überwacht das Sekretariat. Der Exekutivrat ist es auch, der den Generaldirektor vorschlägt. Jene Person, die das Sekretariat leitet, das die administrative Arbeit leistet. Was wiederum dazu führt, daß sich die Besetzung des Generaldirektors oftmals als ideologisch belastet erweist.

Die neuen Mehrheitsverhältnisse führten schon 1974 zu einem ersten Eklat, als die Unesco in einer Resolution die PLO anerkannte und gleichzeitig Israel verurteilte. US-Präsident Gerald Ford stellte daraufhin die Zahlungen der Amerikaner vorübergehend ein.

Generaldirektorin aus „sehr linker“ Familie

Mit dem Senegalesen Amadou-Mah­tar M’Bow gelangte 1974 zudem jemand in das Amt des Generaldirektors, der die seit Gründung der Unesco propagierte Informationsfreiheit der Medien in Frage stellte und sie durch eine neue „Weltinformationsordnung“ ersetzen wollte. Diese billigte den einzelnen Mitgliedstaaten das Recht zu, Medien zu kontrollieren und zu zensieren. Eine Absicht, die vielen totalitären Regimen entgegengekommen wäre. Briten und Amerikaner setzten sich auch damals mit der Einstellung ihrer Beitragszahlungen zur Wehr. Was dazu führte, daß eine zweite Wiederwahl von M’Bow 1987 verhindert werden konnte.

2009 sollte mit Irina Bokowa dann die erste Frau das Amt des Generaldirektors übernehmen. Sie war Rußlands klare Favoritin für diese Stellung. Verwunderlich ist das nicht: Bokowa stammt aus einer bulgarischen Nomenklatura-Familie. Ihr Vater, Georgi Bokow, gehörte zur kommunistischen Elite, war von 1968 bis 1976 Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Bulgariens und jahrzehntelang Chefredakteur des KP-Zentralorgans Rabotnichesko Delo. Die Tochter wurde ebenfalls Mitglied der KP, 1976 absolvierte sie das Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen, das unter der Kontrolle des KGB ausgewählte junge Apparatschiks für eine Diplomaten- oder Agentenlaufbahn ausbildete. Der russische Außenminister Sergej Lawrow ist wohl dessen bekanntester Absolvent.

Noch vor der Wende durfte sie ausreisen und in den USA ein Aufbaustudium zur US-Außenpolitik absolvieren. Dieses Privileg war ausschließlich besonders loyalen Kommunisten vorbehalten. 1977 trat sie mit 25 Jahren in den diplomatischen Dienst Bulgariens. Nach dem Umbruch in Osteuropa kümmerte sie sich von 1995 bis 1997 als Vize-Außenministerin um die Beziehungen Bulgariens zur EU, um die Jahreswende 1996/97 war sie kurzzeitig selbst Außenministerin. Ins Kabinett berief sie Premier Schan Widenow. Dieser war ebenfalls KP-Mitglied und Absolvent der Moskauer Kaderschmiede und spitzelte von 1988 bis 1990 als IM „Dunaw“ für die bulgarische Staatssicherheit KDS.

Bis heute gehört Bokowa der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) an, den gewendeten Kommunisten. Zweimal saß sie für die Sozialisten im Parlament in Sofia. 1995 nahm sie als Chefin der bulgarischen Delegation an der vierten UN-Frauenkonferenz in Peking teil – jener berüchtigten Konferenz, auf der das Gender Mainstreaming für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich gemacht wurde. 2016 galt sie zeitweise als Favoritin für das Amt des UN-Generalsekretärs. 

Seit November vorigen Jahres bekleidet nun Audrey Azoulay das Amt des Unesco-Generaldirektors. Die 45jährige zählt sich zum linken Flügel der Sozialistischen Partei Frankreichs, der sie jedoch nicht angehört. Sie selbst sagt über sich, daß sie aus einer Familie stamme, die „sehr links“ sei. Nur knapp konnte sie sich gegen einen Mann durchsetzen, der des Antisemitismus beschuldigt wurde: Hamad bin Abdulasis al-Kawari aus Katar. Einem Land, dem Kritiker vorwerfen, es finanziere den weltweiten Terrorismus.

Foto: Hauptsitz der Unesco in Paris: Westliche Staaten bestreiten den Löwenanteil des Budgets. Aber im Exekutivrat haben Mitgliedstaaten der Region Westeuropa und Nordamerika bloß neun Stimmen