© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Auf Messers Schneide
Koalition: Dem Anfang wohnt kein Zauber inne / Streit um Abtreibungs-Werbeverbot
Jörg Kürschner

In ihrer dritten Großen Koalition muß sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf SPD-Kabinettsmitglieder einstellen, die gegenüber ihrer zerstrittenen Partei unter einem nie erlebten Erfolgsdruck stehen. Nach den Turbulenzen um den zurückgetretenen Parteichef Martin Schulz und dem Ausgang der Mitgliederbefragung ist die parteiinterne Erwartung an die sechs Minister hoch, das sozialdemokratische Profil zu schärfen – gegen die ungeliebte Regierungschefin.

Der Druck war so stark, daß die SPD ihrem Koalitionspartner als Morgengabe eine Abstimmungsniederlage im Bundestag bereiten wollte. Geplant war, das Werbeverbot für Abtreibungen gemeinsam mit der Linken, den Grünen und Teilen der FDP zu kippen. Nicht nur die Sprecherin des konservativen Berliner Kreises, Sylvia Pantel, sprach von einem „eklatanten Vertrauensbruch“. Doch die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer beschwichtigte. Der Gesetzentwurf der SPD stamme aus dem Dezember, also vor Beginn der Koalitions­verhandlungen, rechtfertigte sie den SPD-Plan. Etwas zu vorschnell, denn die Union konnte die SPD schließlich davon überzeugen, ihr Vorhaben aufzugeben. Der öffentliche Eindruck der Spaltung gleich zu Beginn wäre verheerend gewesen.

Als letzte der drei Koalitionsparteien hatte die SPD ihre Kabinettsmitglieder vorgestellt, nüchtern, ja freudlos, ohne Applaus. Große Erwartungen richten sich dabei an Hubertus Heil, der im Arbeits- und Sozialministerium auf Andrea Nahles gefolgt ist, seine jetzige Fraktions- und bald auch Parteichefin. Dieses Ressort gilt in der SPD als Schlüsselressort, besonders geeignet, um SPD-Positionen durchzusetzen. Der 45jährige Niedersachse hält die von Ex-Kanzler Gerhard Schröder initiierte „Agenda 2010“ nach wie vor für richtig, jene Reform des Arbeitsmarkts mit weniger staatlicher dafür aber mehr eigener Verantwortung, die die SPD fast zerrissen hätte. Heil ist in der Politik ein „alter Hase“, hat seiner Partei zweimal als Generalsekretär gedient, war der für Wirtschaft zuständige SPD-Fraktionsvize, so daß eine personelle Erneuerung von ihm nicht ausgeht. Dafür steht vielmehr Franziska Giffey, das neue ostdeutsche Gesicht der SPD. 1978 in Frankfurt an der Oder geborenen, übernimmt sie von Katarina Barley das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Schröder mal als „Gedöns“ bezeichnet hatte. 

Die bisherige Bezirksbürgermeisterin des Problemstadtteils Berlin-Neukölln startet mit viel Vorschußlorbeeren. Der Verwaltungswissenschaftlerin wird bescheinigt, sich Respekt in dem 150-Nationalitätengemisch verschafft zu haben. Drogenhandel, kriminelle arabische Clans und türkische Mafiastrukturen prägen den Stadtteil mit seinen rund 330.000 Einwohnern, den ihr Vorgänger, der legendäre Law-and-Order-Politiker Heinz Buschkowsky, mit harscher Kritik an der Integrationspolitik bis 2015 regiert hatte. 

Maas steht für Angriff      auf die Meinungsfreiheit

Er zog im Wahlkampf 2016 seine Unterstützung für Giffey zurück, nachdem diese eine vom Verfassungsschutz beobachtete Moschee besucht hatte. „Ich stehe für eine klare Trennungslinie. Politischer Islam ist keine Religion, sondern eine Machtideologie“, stellte der Amtsvorgänger klar. Der Konflikt blieb in der medialen Kommentierung der Überraschungskandidatin unerwähnt. 

Giffeys Amtsvorgängerin Barley hat das Justizministerium von Heiko Maas übernommen, der Sigmar Gabriel als neuen Chefdiplomaten abgelöst hat. Der 49jährigen Kölnerin darf man wohl eine Blitzkarriere bescheinigen, da sie dem Bundestag erst seit 2013 angehört. Einser-Juristin, Richterin am Landgericht, Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht – die im Gegensatz zu Maas weniger ideologisch argumentierende Barley gilt im Willy-Brandt-Haus als große politische Hoffnung. Es dürfte interessant sein, wie die Sozialdemokratin mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) klarkommt. Beide „Verfassungsressorts“ sind auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen.  

Maas hat den zuletzt populären Außenminister Gabriel beerbt, der der neuen SPD-Spitze um Nahles und Finanzminister Olaf Scholz nicht teamfähig genug ist. Was aus Gabriel wird, ist derzeit offen. Maas hat dem Justizressort wie sein Vorbild Gustav Heinemann, ein Vorgänger in der ersten Großen Koalition im Kabinett Kiesinger/Brandt (1966 bis 1969), einen starken gesellschaftspolitischen Anstrich gegeben. Dafür steht sein oft irrational wirkender „Kampf gegen Rechts“ sowie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, ein Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit im Netz. Außenpolitisch ist der Saarländer bisher nicht hervorgetreten. 

Neu auf der Berliner Bühne ist Umweltministerin Svenja Schulze. Die 49jährige beerbt ihre Parteifreundin Barbara Hendricks, die ebenfalls aus Nord­rhein-Westfalen stammt und als 65jährige der Verjüngungskur zum Opfer fiel. Bei der Vorstellung der Ministerriege suchte der kommissarische Parteichef Scholz den Eindruck zu zerstreuen, Schulze sei wegen des Regionalproporzes eine Notlösung. Scholz ist als Finanzminister der neue starke Mann im vierten Kabinett Merkels. Kraft Amtes ist er im Grundgesetz mit einem Vetorecht ausgestattet. Als Vizekanzler wird er die Arbeit der SPD-Minister koordinieren. In der Union gilt er als „Mann für schwierige Fälle“. Der 59jährige bisherige Hamburger Bürgermeister wirkt meist spröde und humorlos. 

Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags versuchte Merkel, ihre neuen Regierungsmitglieder aufzumuntern. Sie hoffe, daß die Partner auch eine gewisse Portion Freude am Gestalten mitbringen.