© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Disziplin ist gefordert
AfD: Für das Ziel Regierungsleitung müssen Extratouren ein Ende haben
Karlheinz Weissmann

Kein Tag ohne Meldung über die AfD. Nicht weil sie zu diesem oder jenem Thema auf dieser oder jener parlamentarischen Ebene dieses oder jenes vorgeschlagen, zur Diskussion gestellt oder durchgesetzt hat. Sondern weil irgend etwas vorgefallen ist, das irgendwem aus den tonangebenden Kreisen irgendwie nennenswert erscheint. Manchmal geht es nur darum, der Genugtuung Ausdruck zu geben, daß die eigenen finsteren Erwartungen bestätigt wurden, aber häufiger ist der wohlige Grusel.

In die erste Kategorie gehört zum Beispiel die Art und Weise, wie der Rücktritt André Poggenburgs von allen Leitungsämtern kommentiert wurde, in die zweite gehören die Berichte über den Landesvorsitzenden Brandenburgs, Andreas Kalbitz, der in einem früheren Leben einen obskuren Jugendbund besucht hat, über die Visite einiger Hinterbänkler des Bundestages in Syrien und dann selbstverständlich die Erwägung des Verfassungsschutzes, die Partei unter Beobachtung zu stellen.

Im Normalfall steht der empörte Tonfall der Medien in keinem Verhältnis zur Sache. Aber darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, daß die AfD regelmäßig Angriffsflächen bietet, und zwar aus Ungeschick, nicht beabsichtigt, nicht als Ergebnis eines wie immer gearteten Kalküls.

Daß man den Gegner bewußt provoziert, gehört zur politischen Auseinandersetzung. Vor allem für den Schwächeren kann die Provokation Mittel der Wahl sein: Kieselsteine in Davids Schleuder. Aber dazu muß er das Terrain sorgfältig sondieren, die Reaktion seines Gegners halbwegs sicher bestimmen und – ausschlaggebend – die Stimmung des Publikums einschätzen können; Interessiertheit ist das mindeste, Wohlwollen wünschenswert, Sympathie das beste, was passieren kann. 

Symbolpolitik, die nichts davon im Blick hat, sich selbst genug ist, weil jemand seinem Herzen Luft machen oder eine steile Geste ausprobieren oder einfach nur ein Zeichen für die Nachwelt setzen möchte, ist keine Politik.

Das heißt nicht, vitalen Subkulturen oder Aktivisten oder Zirkeln, die ideologische Sonderinteressen pflegen, per se das Existenzrecht abzusprechen. Aber es heißt, daß sie keinen bestimmenden Einfluß auf das Leben einer Partei nehmen dürfen, die die drittstärkste Fraktion des Bundestages stellt und schon aus diesem Grund sehr ernsthaft, nicht spielerisch mit politischen Fragen umgehen muß.

Partei leitet sich ab vom lateinischen „pars“ für „Teil“. Max Weber hat das Wesen von Parteien deshalb dahingehend bestimmt, daß sie begrifflich nur innerhalb eines Verbandes möglich seien, „dessen Leitung sie beeinflussen oder erobern wollen“. Dem Ziel der Beeinflussung und schließlich Eroberung dieser Leitung ist alles andere unterzuordnen. Das heißt im konkreten Fall, daß die AfD das tun muß, was sie diesem Ziel näherbringt, und das lassen muß, was sie davon abhält.

Wer diese Auffassung nicht teilt, sondern die Partei als therapeutische Einrichtung betrachtet oder als Ort, an dem wahre teutsche Männer ihre reine Gesinnung pflegen, sollte sich etwas anderes suchen. Wahrscheinlich wird er aber den Ausgang nicht selbst finden, weshalb man ihm helfen sollte, was wiederum voraussetzt, daß es jenseits von „Flügel“ und Leuten, die eigentlich eine CDU 2.0 oder FDP 2.0 wünschen, ein organisierendes Zentrum geben muß, das die notwendige Entwicklung vorantreibt.

In concreto: Es sollte die Programmatik und deren theoretische Grundlegung so präzise gefaßt werden, daß Abweichungen schnell zu bestimmen und zügig zu ahnden sind. Das Wort „Parteisoldat“ hat zwar einen Beigeschmack, aber unbestreitbar sind Disziplin und Korpsgeist wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg der Partei, Disziplinlosigkeit und Untreue sind sichere Voraussetzungen des Scheiterns. Streitereien in den eigenen Reihen wirken auch auf Wähler abschreckend und mindern die Anziehungskraft, die die Partei entfalten kann, entfalten muß, um den Horror ihrer Feinde Wirklichkeit werden zu lassen: die Verankerung in der Mitte der Gesellschaft.

Den östlichen Landesverbänden kommt in der Partei ein besonderes Gewicht zu, das haben sie nicht nur dem rebellischen Ortsgeist, sondern auch dem Einsatz ihrer Mitglieder und Funktionäre zu verdanken. Aber wenn es nicht gelingt, die Alternative für Deutschland zügig stärker in den alten Bundesländern zu verankern, wird sie das nächste Etappenziel verfehlen. Dieses Etappenziel ist die Organisation als „Volkspartei neuen Typs“. In die müssen die Hauptströmungen – Volkskonservative, Hayekianer, Deutschradikale, Sozialpatrioten – eingeschmolzen werden. Das dürfte in Teilen ein schmerzhafter Prozeß werden und auch zu Verlusten führen. Aber ohne ein höheres Maß an innerer Homogenität wird die Partei auf die Dauer keinen Erfolg haben und spätestens dann, wenn es um die Frage der Regierungsbeteiligung geht, auseinanderbrechen oder größere Abspaltungen erleben.

Selbstverständlich ist die Regierungsbeteiligung – genauer: die Regierungsführung – das Endziel, um das es sich handelt. Wenn die AfD den Weg dahin beschreitet, dann hat sie die Auseinandersetzung, auch die scharfe Auseinandersetzung, mit dem politischen Gegner zu führen, aber es muß ein Ende haben mit den Extratouren und der Neigung, aus der Reihe zu tanzen. Wie die Bibel sagt: „wenn ein Haus mit sich uneins ist, kann es nicht bestehen“ (Markus 3.25); oder wie es der Klassiker sagt: „Seid einig – einig – einig!“ (Friedrich Schiller).