© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Der Flaneur
Streik im Stammlokal
Paul Leonhard

Matthias sieht man die schlechte Laune schon von weitem an. Nichts sei los in diesem Kaff. Stammkneipe? Nö, die werde doch bestreikt. Wegen der Schwarzhaarigen. Weil diese, seit ihr die Wirtin die Schlüsselgewalt übertragen hat, den Laden nach eigenem Gutdünken zusperrt. Meist weit vor der eigentlichen Schließzeit. Und nur, weil sie endlich einen Freund gefunden hat. Dieser lungert fortan ab 20 Uhr vor dem Tresen herum, schaut böse, wenn einer die nächste Runde bestellt, weil er mit ihr heim will. Dabei bringen die an den diversen Stammtischen auf ein Feierabendbier Versammelten in der Nebensaison doch die Umsätze.

Als wir die Kneipentür quietschend öffnen, ist der ganze Laden voller Streikbrecher.

Was nützt der Streik, wenn er nichts ändert? Die anderen Kneipen haben zwar länger auf, sind aber eben nicht unsere, sind voller blöder Leute, haben die falschen Biersorten, von der Küche ganz zu schweigen. An jeder gibt es etwas auszusetzen, auch wenn die Schließzeiten stimmen.

Die ganze Stammtischgemeinschaft läuft wie Falschgeld durch die Gegend, hadert mit ihrem Schicksal und klagt gegenseitig ihr Schicksal. Ein Streik verbindet. Selbst die Ehefrauen werden unruhig, wenn ihre Männer nun mißmutig zu Hause hocken.

Vielleicht sollte man eine Petition aufsetzen und der Wirtin übergeben, meint ein Ruheständler, der früher Anwalt war. Denn das gehe eigentlich überhaupt nicht, vor der Schließzeit schließen. Klar ist allen, eine Lösung muß her.

Matthias läßt sich an diesem Abend dann doch überreden, auf ein Bierchen ins alte Lokal zu gehen. Ein einziges sei ja nur ein Versuch, kein Streikbruch. Als sich die Tür quietschend öffnet, ist der ganze Laden voller Streikbrecher. Lachend begrüßen sie uns, heben die Gläser. Die Wirtin selbst steht hinter dem Ausschank. Zwei neue fesche Bedienungen erkundigen sich nach unseren Wünschen. Es sei alles wieder gut, ruft Achim. Die Schwarzhaarige sei seit gestern weg. Sie habe gekündigt, weil es zuwenig Trinkgeld gab.