© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Die kleinste Sorge war das Mönchsgezänk
Marianne Sammer erkennt in der Reformation weniger einen theologischen Bruch als eine Zuspitzung politischer und juristischer Konflikte im Reich
Wilhelm Brauneder

Die bewußt „recht andere Geschichte der Frühreformation“ wurzelt in der Frage: „Wie konnte die Reformation innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen November 1517 und den Monaten nach dem Wormser Reichstag 1521 greifen und dem Reich auf Dauer ein neues Gesicht geben?“ Man hat sich daran zu erinnern, daß für die Zeitgenossen „Reformation“ einen viel weiteren Begriff bezeichnete: Es ging um die „Reformation“ der Reichsverfassung, auch um das Rechtswesen, Gesetzgebungsakte bezeichneten sich ausdrücklich als Landrechts- oder Stadtrechts-„Reformation“. 

In diese Zusammenhänge ist die Darstellung der Kirchenhistorikerin Marianne Sammers eingebunden. Der Blick fällt auf die weitere Entwicklung sozusagen von vorne, als selbst für die römische Kurie Luthers Aktionen, wie Ähnliches zuvor, einfach als rixae monarchiales galten, als „Mönchsgezänk“. Den Einstieg bildet eine ausführliche Darstellung des Ablaßwesens, in seiner moderaten Form für alle Beteiligten eine normale Angelegenheit, aber zufolge der Auswüchse für Luther bekanntlich der Stein des Anstoßes für seine „95 Thesen“, verschickt an vermutlich mehrere Bischöfe 1517; der „Thesenanschlag“ an der Universitätskirche zu Wittenberg sei eine auf Melanchthon zurückgehende Legende. 

Reformation als normaler Teil der Reichsgeschichte

Diese brachten Luther in Rom die Anklage wegen Häresie ein. Nicht nur dieser als Professor an der erst 1502 gegründeten Universität Wittenberg, auch sein Arbeitgeber, deren Gründer Kurfürst Friedrich III., sahen darin einen mißbräuchlichen „Schauprozeß“. Die moderaten Wendungen im Verlauf und in der Folge des Prozesses führt Sammer, zu Recht, auf Zwänge der Reichspolitik und der ständischen Reichskonstruktion zurück: Rücksichten in Hinblick auf die bevorstehende Wahl Karls zum römischen König, die Wahrung des Landfriedens durch das ständische Reichsregiment, das Unterlassen der Durchführung der Reichsacht aufgrund des „Wormser Edikts“ von 1524, zu Recht als Urteil eingestuft, außer in den Erbländern der Habsburger und in Bayern. Die letztendlich „stillschweigende Aussetzung der Reichsacht“ über „Luther und seinen Kurfürsten“ habe Vorläufer, bei denen es um die forcierte „Libertät“ der Reichsfürsten ging, im Zusammenhang damit um die Wahrung des Landfriedens, als deren Instrument auch das jus reformandi mit dem Ausweisungsrecht Andersgläubiger zählte. 

Zur Verdeutlichung der These, die Reformation sei „für den Historiker Teil der Reichsgeschichte“, von Sammer als „Segment“ daraus herausgegriffen, dienen einige weitere Abschnitte. „Die Kaiserwahl“ zeigt die massiven, finanziell zum Teil hoch unterstützten Interessen von Papst, Reichsfürsten und insbesondere Kurfürsten, darunter auch potentielle Kandidaten wie König Franz von Frankreich, was Abneigungen gegen Rom mit verständlich macht. „Weg von Rom! – Die Städte“ liefert dazu weiteres Material, aber auf einer ganz anderen Ebene: im wesentlichen die kirchlichen Privilegien in Aushöhlung städtischer Regierung und insbesondere Finanzhoheit. Anzufügen wären auch Verletzungen des Kanonischen Rechts etwa durch den Weinausschank von Klerikern, insbesondere Orden, wie in Wien, ursächlich für die Klage „Warum schweigen die Päpste, die das wissen“. 

Auch der „Ämterhandel“, ein als rechtmäßig und gebräuchlich betrachtetes Geschäft, wurde ähnlich wie das Ablaßwesen mißbraucht. „Reichsreform“ und „Kirchenregiment“ belegen das eingangs zum Begriff „Reformation“ Gesagte: Veränderungen stellten für das beginnende 16. Jahrhundert keine neuen Themen dar, auch gab es entsprechende Anknüpfungsmöglichkeiten wie etwa das vorreformatorische Kirchenregiment der Landesfürsten oder das Eigenkirchenwesen mit ihren weltlichen Zugriffen auf die Kirchenorganisationen, auch die Zurückdrängung des Kanonischen Rechts wie etwa im Erbrecht.

Alles in allem ein Büchlein (positiv gemeint), das die Haupterscheinungen auf den Punkt bringt, notwendige Zusammenhänge betont und vor allem die Sicht der Zeitgenossen erkennen läßt. Daß dies in einem flüssigen Stil geschieht stellt ein weiteres Verdienst dar.

Marianne Sammer: Mönchsgezänk. Reformation vor Luther? Karolinger Verlag, Wien 2017, gebunden, 152 Seiten, 19,90 Euro





Prof. Dr. Wilhelm Brauneder lehrte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und war von 1996 bis 1999 Dritter Präsident des Nationalrats.