© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Sie sitzen in der Falle
Polemik: Was die Verfolgung weißer Farmer in Südafrika mit einem ARD-Propagandafilm zu tun hat
Thorsten Hinz

Arme ARD-Filmfamilie Schneider! Sind mit knapper Not dem faschistischen AfD-Deutschland entronnen, haben den „Aufbruch ins Ungewisse“ gewagt und gehofft, in einer boomenden Willkommensrepublik Südafrika anzukommen (JF 7/18). Um jetzt zu erleben, daß die schwarze Bevölkerungsmehrheit und ihre parlamentarischen Vertreter Rasse keineswegs für ein soziales Konstrukt, sondern für eine Tatsache halten, die sogar Ungleichheit vor dem Gesetz und Enteignungen rechtfertigt. Wollen den weißen Farmer entschädigungslos ihre Höfe wegnehmen!

Die Enkel Jan van Riebeecks – so hieß der holländische Gründer der Kapkolonie – hätten noch immer nicht begriffen, daß die Schwarzen ihr Land zurückwollten wegen der Würde, donnerte der schwarze Nationalistenführer Julius Malema, Chef der Economic Freedom Fighters, im Parlament von Kapstadt. Die Schneiders sind aus seiner Sicht ebenfalls verkappte Van-Riebeeck-Enkel. Jetzt sitzen sie in der Falle.

Coetzee schildert Gewalt in Südafrika

Wie sie so dumm sein konnten? Jahre, Jahrzehnte hatten sie sich auf die öffentlich-rechtlichen Medien und die „Prantlhausener Allgemeine“ verlassen, statt zu einem guten Buch zu greifen. Zu den Romanen des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee zum Beispiel, der seit 2002 in Australien lebt, seit 2006 als australischer Staatsbürger. Coetzee weiß, warum er seinem Land den Rücken gekehrt hat. Im Roman „Schande“ (S. Fischer Verlag) kann man es nachlesen.

Die Hauptfigur, der Literaturprofessor David Lurie, lebt und arbeitet in Kapstadt. Seine Studenten sind dumm oder desinteressiert und mit dem Kampf gegen den Sexismus der weißen Männer voll ausgelastet. Er ist ein müde gewordener Liberaler, der die Plünderung seines Hauses durch Einbrecher als Reparation für die Apartheid-Leiden wegsteckt.

Er besucht seine Tochter Lucy auf ihrer Farm, wo sie von drei Schwarzen überfallen werden. Das Schicksal der Farmer, die mit Bohrmaschinen, Hackebeilen und kochendem Wasser umgebracht werden, bleibt ihnen erspart, doch etliche Wunden trägt David Lurie davon. Die schlimmste Wunde bereitet es ihm, mit anhören zu müssen, wie die Tochter brutal vergewaltigt wird. Bei der Anzeige reduziert Lucy das Verbrechen auf einen Raubüberfall – mit der einleuchtenden Begründung, die Täter würden „bei dem Zustand, in dem sich die Polizei befindet“, ohnehin unauffindbar bleiben. 

Sie weiß, was die Stunde geschlagen hat. Ihre Farm überschreibt sie dem schwarzen Nachbarn und tritt in dessen Familienverband ein, obwohl der Verdacht besteht, daß er in das Verbrechen eingeweiht war und die Täter kennt. Lucy, die sämtliche Attribute der modernen, unabhängigen, emanzipierten Frau vereint, negiert am Ende alles, was ihr Leben bis dahin ausgemacht und sie als Angehörige der westlichen Zivilisation ausgewiesen hat. Sie vollzieht eine vollständige Regression zu einer atavistischen Lebensform. Das alles hat Coetzee schon vor zwanzig Jahren glasklar gesehen und beschrieben. („Was die Stunde schlägt“ JF 23/08). „Schande“ ist noch drastischer und zugleich subtiler als Houellebecqs Roman „Unterwerfung“.

Wie sollen die Schneiders, die unübersehbar weiß sind, unter diesen Umständen in Südafrika eine Existenz aufbauen? Auch mit dem Wirtschaftsboom wird es absehbar ja bald vorbei sein. Ein Blick ins Nachbarland Simbabwe genügt.

Und was wird aus Nora, der Tochter? Kann die Liebe des türkischstämmigen Batu sie davor bewahren, Lucys Schicksal zu teilen? Batu, der seiner Herkunft wegen nach Deutschland fliehen mußte, könnte geltend machen, ein Verfolgter der Enkel Jan van Riebeecks zu sein. Doch Malema wird sich davon kaum rühren lassen, denn auch die Türken zählen zu den Weißen. Am besten wäre es, die Schneiders und Batu würden einsehen, daß die Öffentlich-Rechtlichen und die „Prantlhausener Allgemeine“ ihnen eine Fata Morgana vorgegaukelt und sie in die Wüste geschickt haben, und kehren nach Deutschland zurück. Bestimmt bereitet der AfD-Kanzler (oder die AfD-Kanzlerin) schon eine Amnestie für alle Verführten vor.