© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Die Truppe wird eiskalt geduscht
Bundeswehr: Ursula von der Leyen bleibt Verteidigungsministerin / Der aktuelle Bericht über die Einsatzbereitschaft ist verheerend für sie
Peter Möller

In der Bundeswehr hat die Hoffnung einen Namen: Brüssel. Wenn in zwei Jahren Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg aus dem Amt scheidet, könnte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen aus dem Berliner Bendlerblock an die Spitze des Militärbündnisses wechseln, wird in Brüssel und Berlin gleichermaßen spekuliert. Der Posten scheint wie geschaffen für die ambitionierte CDU-Politikerin, die jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz wieder unter Beweis gestellt hat, wie sehr ihr das internationale politische Parkett liegt.

Zugeständnisse beim Traditionserlaß

Vermutlich war es kein Zufall, daß die Spekulationen über eine Anschlußverwendung für die CDU-Politikerin an der Nato-Spitze bekannt wurden, kurz bevor von der Leyen von ihrer Partei erneut für das Amt der Verteidigungsministerin für die Neuauflage der Großen Koalition nominiert wurde. 

Denn diese Nachricht dürfte für viele in der Bundeswehr wie eine kalte Dusche gewirkt haben. Das Verhältnis der Ministerin zur Truppe gilt spätestens seit dem vergangenen Jahr als zerrüttet. Von der Leyen wird vorgeworfen, sich bei mehreren vermeintlichen oder tatsächlichen Skandalen vor allem darum gekümmert zu haben, unbeschadet aus der Affäre zu kommen, anstatt sich schützend vor ihre Soldaten zu stellen. Auch die von ihr angeordnete Durchsuchung aller Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien im Zuge des Terrorverdachts gegen mehrere Bundeswehrsoldaten hat ihren Rückhalt in der Bundeswehr nachhaltig beschädigt.

Von der Leyen zeichnet dennoch ein positives Bild von ihrem Verhältnis zur Truppe: „Wir haben rumpelige Zeiten gehabt. Wir haben aber auch sehr gute Erfahrungen miteinander gemacht“, sagte sie dem Göttinger Tageblatt. Sie habe sich bewußt für die Truppe entschieden, weil diese ihr ans Herz gewachsen sei. Die Frage, ob sie bis zu den nächsten Wahlen im Amt bleiben will oder möglicherweise doch nach Brüssel wechseln möchte, versuchte sie bei dieser Gelegenheit zu umschiffen. „Ich habe in der vergangenen Legislaturperiode viele Reformen angestoßen, und die möchte ich jetzt auch weiter nach vorne treiben. Der Anfang ist gemacht. Es geht in die richtige Richtung. Jetzt braucht es Durchhaltevermögen, Zeit und Geld.“

Mit ihrer Einschätzung, daß es mit der Bundeswehr wieder in die richtige Richtung gehe, dürfte von der Leyen indes ziemlich allein stehen. Nachdem die Ministerin dem Bundestag in der vergangenen Woche mit reichlich Verspätung den Bericht über die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme der Bundeswehr vorlegen mußte, ist die Diskussion über ihre Amtsführung und den Zustand der deutschen Streitkräfte wieder voll entbrannt. Denn die Zahlen, die das Verteidigungsministerium über die aktuelle Materiallage in der 106 Seiten umfassenden Übersicht präsentiert, sind katastrophal. Das wird vor allem beim schweren Gerät deutlich: Demnach standen dem Heer im vergangenen Jahr von den 244 Leopard-2-Kampfpanzern lediglich durchschnittlich 176 Stück zur Verfügung. Die übrigen befanden sich entweder in der Instandsetzung oder waren eingelagert. Tatsächlich einsatzfähig waren von den 176 bereitstehenden Leoparden im Durchschnitt sogar nur 105 Panzer. Auf die einzelnen Panzereinheiten heruntergebrochen, wird die Dramatik der Situation besonders deutlich. So benötigt die Panzerlehrbrigade 9 in Munster von 2018 bis 2020 allein 44 einsatzfähige Kampfpanzer für die deutsche Beteiligung an der schnellen Eingreiftruppe der Nato für Osteuropa. 

Davon kann derzeit keine Rede sein. Ende Januar verfügte die Einheit über gerade einmal neun einsatzbereite Leopard-2-Panzer. Die fehlenden Panzer müssen nun aus anderen Panzerbataillonen abgezogen werden. Auch für die Luftwaffe und die Marine listet der Bericht des Ministeriums eine ähnlich verheerende Bilanz der Einsatzbereitschaft auf. Entsprechend deutlich fiel nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses in der vergangenen Woche die Kritik der Opposition aus, die den Druck auf von der Leyen erhöhte.

An einer anderen Front deutet sich für die Ministerin dagegen eine Beruhigung der Lage an. Im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Bundeswehr-Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien hatte von der Leyen eine Überarbeitung des aus dem Jahr 1982 stammenden Traditionserlasses angeordnet. Seit Ende Februar liegt nun dessen Endfassung vor. Gegenüber dem Ende vergangenen Jahres präsentierten ersten Entwurf gibt es dabei einige interessante Korrekturen, die bei der Truppe auf Wohlwollen stoßen dürften. So ist insbesondere die Bewertung der Streitkräfte bis zum Ende des Kaiserreiches sowie die Einschätzung der Nationalen Volksarmee der DDR verändert worden. Während für die NVA jetzt „grundsätzlich“ die Möglichkeit zugestanden wird, einzelne ihrer Angehöriger in „das Traditionsgut der Bundeswehr“ aufzunehmen, wird den deutschen Streitkräften bis 1918 attestiert, sie hätten „zahlreiche fortschrittliche und richtungsweisende Verfahren, Strukturen und Prinzipien“ entwickelt, „die noch heute Bedeutung haben, etwa die moderne Stabsarbeit, das Führen mit Auftrag, das Führen von vorne oder das Generalstabswesen“. Für eine Armee, die sich bis heute aus historischen Gründen ziert, ihren Generalinspekteur zum Generalstabschef zu machen, ist das durchaus eine bemerkenswerte Einschätzung.