© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

„Ich versuche, meinen Teil zu leisten“
Der Medienanwalt Christian Stahl setzt sich für die Meinungsfreiheit ein und kämpft dafür gegen Facebook
Boris T. Kaiser

Seit Jahren werden Inhalte und Nutzer in den sozialen Netzwerken gesperrt, ohne daß diese gegen geltendes Recht verstoßen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) des Sozialdemokraten Heiko Maas hat die Situation noch einmal verschärft. Eine Möglichkeit sich zu wehren, gab es für die Betroffenen aufgrund der komplizierten juristischen Lage bisher kaum. Dies soll sich jetzt ändern. 

Der Regensburger Anwalt Christian Stahl will mit seinem Projekt „facebook-sperre.de“ gegen ungerechtfertigte Sperrungen und Löschungen durch die global agierenden Konzerne zu Felde ziehen. 

Hinter vielen Löschungen sieht Stahl ganz klar einen politischen Willen. Er meint damit, wie er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betont, „nicht nur die staatliche Politik, sondern auch ganz stark die Firmenpolitik von Facebook“. Er verweist auf Aussagen von Mark Zuckerberg, der von einem „schönen Umfeld für Muslime“ sprach. Stahl formuliert es etwas anders: „Moslems sollen Facebook nutzen können, ohne Kritik an ihrer Religion ertragen zu müssen.“

Auch mit Blick auf seine Mandatsanfragen sagt er: „Es ist ganz klar, daß jeder, der sich mit dem Islam als Religion oder als Ideologie kritisch auseinandersetzt, sehr stark von Sperren und Löschungen betroffen ist.“ Man merkt dem gläubigen Christen an, daß ihm das politisch verordnete Wegschauen, wenn es um die Gefahren durch den Islam geht, schwer im Magen liegt. Aus Sorge um seine Familie, aus Sorge um sein Land und die Fortschreibung von dessen Geschichte. 

Wie sehr Stahl die Historie am Herzen liegt, merkt man, wenn man mit ihm durch Regensburg geht. Da wird aus dem Juristen ein Fremdenführer und Geschichtslehrer. Kaum ein Platz, kaum eine Ecke, kaum ein Haus, in der geschichtsträchtigen Stadt, zu dem der Mann mit dem Bart und dem Hut keine Anekdote einfällt. Wenn er sie erzählt, bekommen seine Augen den Glanz seines Bartes im Licht der bayerischen Wintersonne beim Blick hinauf zu den Spitzen des Regensburger Doms. 

Nicht zuletzt diese Liebe zur und Verantwortung vor der Historie scheint Triebfeder seines Einsatzes zu sein. Fragt man ihn nach seiner Sicht auf die Fortschreibung der Geschichte, sagt er: „Als gläubiger Mensch befürchtet man das Schlimmste, aber hofft auf das Beste und vertraut auf Gott; und natürlich auf den eigenen Einsatz. Es liegt letzten Endes an uns, an unserer Generation, was wir der Nächsten hinterlaßen; und dafür muß man sich Einsetzen. Ich versuche, meinen Teil dafür zu leisten, indem ich für die Meinungsfreiheit kämpfe, damit wir überhaupt Diskussionen darüber führen können, wie Deutschland denn in zehn, zwanzig, hundert Jahren außehen soll.“ 

Sein Projekt stößt auch auf internationales Interesse. Der libanesisch-deutsche Journalist Imad Karim dreht gerade  einen Beitrag für den russischen Staatssender Russia Today. Zwei Wochen zuvor war das japanische Fernsehen da. 

Nicht auf Regeln berufen, die es gar nicht gibt 

Stahl ist eine außergewöhnliche Figur. Schon optisch scheint er irgendwie aus der Zeit gefallen. Wenn er mit seinem schwarzen Mantel und dem grauen Hut mit der schwarzen Krempe durch die altertümlichen Gassen Regensburgs geht, wirkt das auf eindrückliche Weise stimmig. Sein Vollbart mutet, trotz aktuellem Trend zur Gesichtsbehaarung, so gar nicht hipstermäßig an. Man könnte ihn sich als zentrale Figur einer alten Sage oder in einer klassischen tschechischen Märchenverfilmung vorstellen. Nichts an der auf den ersten Blick imposanten Erscheinung scheint zufällig zu sein. Stahl wirkt von Kopf bis Fuß wie ein fleischgewordenes Statement gegen die Moderne und deren Werteverfall. Dessen ist er sich auch  bewußt. 

Werte spielen eine große Rolle im Denken und Handeln von Stahl. Vor dem gemeinsamen Mittagessen im Café „Krauterer“ bekreuzigt er sich. Früher kam er oft hier her, erzählt er. Damals, als der hintere Teil des Lokals noch ein Biergarten und nicht überdacht und das schöne alte Kellergewölbe noch nicht zur Abstellkammer umfunktioniert worden war.

Zu den Werten des Juristen gehören auch die Verfassung und die Meinungsfreiheit. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hält er „für klar verfassungswidrig“. Es ist nach seiner Einschätzung „höchstwahrscheinlich auch europarechtswidrig“. Stahl ist sich sicher: „Es wird fallen.“ 

Das immer wieder vorgebrachte Argument, Facebook könne sich als Privatunternehmen seine Kunden selber aussuchen und habe daher das Recht, die Profilsperrungen vorzunehmen, wie es dem Tech-Giganten paßt, läßt der Anwalt in dieser Form nicht gelten. „Facebook kann sich zwar für die Zukunft seine Kunden aussuchen, aber die Kunden, die Facebook nun mal schon hat, sind Kunden geworden auf der Grundlage der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs), also des Vertrags mit Facebook, und den muß Facebook einhalten“, erklärt der Regensburger. Der entscheidende Punkt sei, „daß das Unternehmen sich auf Verstöße gegen die AGBs beruft, obwohl diese gar nicht vorliegen“. 

Verbindlichkeit. Noch so ein „altmodischer“ Wert, auf dessen Bedeutung der überzeugte Konservative so gänzlich unzeitgeistig pocht. In seiner Medienkanzlei „REPGOW“ bietet er seinen Gästen immer wieder Kaffee an. Er selbst trinkt keinen. „Fastenzeit!“ Sein Büro besteht im wesentlichen aus einem großen Besprechungsraum. Die meiste Arbeit erledigt er von zu Hause aus. Seine Überzeugungen gewähren ihm aber auch in der Freizeit keine Ruhe. „Stand heute habe ich 42 Klageaufträge gegen Facebook“, erklärt Stahl.

Ohne Rechtsschutzversicherung geht nichts

Trotz allem Idealismus, ohne Rechtsschutzversicherung geht auch bei Stahl nichts. Zumindest nicht, wenn es um Auseinandersetzungen mit multinationalen Großkonzernen wie Facebook geht. Zu hoch seien die Kosten, die man erst einmal vorstrecken müsse, bevor es überhaupt zur Sache geht. Die Klagen gegen Facebook müssen in Irland zugestellt und entsprechend übersetzt werden.

Auf seiner Internetseite facebook-sperre.de listet der Anwalt Anbieter auf, die für solche Fälle aufkommen. Viele Versicherungsunternehmen haben Ausschlußklauseln in ihren Verträgen, die sie im Falle eines Falles nutzlos machen.Wer gegen seine Sperrung vorgehen will, sollte nicht nur gut versichert, sondern auch geistesgegenwärtig sein. 

Der Jurist empfiehlt, von der Sperrmeldung, die Facebook betroffenen Nutzern anzeigt, sofort einen Screenshot zu machen. Später sei diese nämlich oft nicht mehr auffindbar, was sowohl eine Klage als auch eine außergerichtliche Einigung schwierig mache. Wer alle Kriterien erfüllt, hat auch in Zeiten des NetzDG noch immer gute Chancen, zu seinem Recht zu kommen. Eine Garantie gibt es laut Stahl vor Gericht, wie auf hoher See, freilich nie.