© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

„Nazis“, weil sie helfen wollen
Tafel in Essen: Die Debatte um den Aufnahmestopp für Ausländer eskaliert
Björn Harms

Nachdem Unbekannte in der Nacht zum Sonntag Fahrzeuge und Türen der Essener Tafel mit Parolen wie „Nazis“ und „Fuck Nazis“ beschmiert hatten, platzte dem Chef der Einrichtung, Jörg Sartor, der Kragen. „Ich habe keinen Bock mehr, man verliert einfach die Lust! Ich bin kurz davor hinzuschmeißen“, sagte Sartor der Bild-Zeitung. „Wenn mich die Leute doof finden, ist das okay. Aber es ist eine Schweinerei, unsere Freiwilligen zu diffamieren.“ Zuvor hatte es laut der Polizei Aufrufe aus dem linksradikalen Spektrum zu „Aktionen“ gegen die Tafel gegeben. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen. 

Am vergangenen Donnerstag hatte ein Beschluß der Essener Tafel bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. „Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 Prozent angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zur Zeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen“, hatte der Verein auf seiner Internetseite angekündigt. „Wir wollen, daß auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt“, führte Sartor in der WAZ aus. Vor der Asylkrise 2015 habe der Anteil nichtdeutscher Kunden bei 35 Prozent gelegen. „Unter ihnen viele, die schon seit Jahrzehnten hier leben und nur keinen deutschen Paß haben“, erklärte Sartor. 

In den vergangenen zwei Jahren seien jedoch die älteren Tafel-Nutzerinnen und alleinerziehenden Mütter einem schleichenden Verdrängungsprozeß zum Opfer gefallen. Das habe auch an den langen Warteschlangen gelegen. „An Aufnahmetagen standen bis zu 120 Leute vor der Tür – darunter viele ausländische Männer. Da stellt sich die ältere deutsche Dame oder die alleinerziehende Mutter nicht hin“, so der 61jährige. Gleichzeitig habe er einen „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ beobachtet. „Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange.“ Mit den Nutzern der Essener Tafel habe er über den Aufnahmestopp gesprochen. „Die Ausländer reagieren bislang verständnisvoll auf die Maßnahme. Man muß es ihnen nur vernünftig erklären.“ Umgesetzt werden soll die im Dezember beschlossene Beschränkung auf Deutsche „so lange, bis die Waage wieder ausgeglichen ist“.

Wagenknecht springt Tafel-Chef bei

Das gefällt nicht jedem. Nach Bekanntwerden des Beschlusses hagelte es Kritik. „Eine Gruppe pauschal auszuschließen, paßt nicht zu den Grundwerten einer solidarischen Gemeinschaft“, mahnte die geschäftsführende Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD). „Bedürftigkeit muß das Maß sein, nicht der Paß.“ Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) äußerte sich ähnlich. „Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen keine Staatsangehörigkeiten“, kritisierte er. Es müßten andere Kriterien gefunden werden, den großen Andrang zu bewältigen. „Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Essen nur für Deutsche. Migranten ausgeschlossen“, twitterte die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, Sawsan Chebli (SPD).

 Fakt ist aber: Es werden lediglich keine ausländischen Neukunden mehr aufgenommen. Noch immer ist der Großteil der Besucher nichtdeutscher Herkunft. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, warnte hingegen vor einem überstürzten Urteil. Die Bundesregierung habe 2015 entschieden, „sehr viel Menschen aufzunehmen, und sie hat sich in keiner Weise darum gekümmert, wie die Folgen jetzt so zu gestalten sind, daß sie nicht zu Lasten der Ärmsten gehen und der Ärmeren“. Sie fände es besser, „statt daß jetzt auch von seiten der Bundesregierung die Essener Tafel gescholten wird, daß man vielleicht mal darüber nachdenkt, warum so viele Rentnerinnen und Rentner heute bei der Tafel essen müssen“, sagte sie dem Deutschlandfunk. 

Auch Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) signalisierte Verständnis. „Ich finde die Entscheidung des Vorstands einer Begrenzung nachvollziehbar und respektiere sie.“ Der Essener AfD-Lokalpolitiker Guido Reil, Mitglied im Bundesvorstand der Partei, verteidigte Sartor. Dieser sei „kein böser Rechter oder Ausländerfeind, sondern ein feiner Kerl, dem es um die Menschen geht, die wirklich Hilfe brauchen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Sartor zeigt sich entschlossen: „Im Moment macht mir Berlin die Hölle heiß, der Bundesverband. Ich soll das zurücknehmen, wegen der Sponsoren und so. Die können mich mal gern haben. Das ist ein Vorstandsbeschluß aus dem Dezember, nachdem wir lange Monate drüber geredet haben.“ 

Erneut verteidigte er sein Vorgehen. „Ich streichele die Sache nicht gesund.“ Niemand habe „Ausländer raus“ gesagt. Man habe nur „im Moment, und nur im Moment, keine weiteren Plätze für Ausländer“. Deshalb lache er sich „kaputt über das ganze Theater“. Nach den jüngsten Attacken auf die Einrichtung scheint sich das geändert zu haben. Doch Sartor gibt sich weiterhin trotzig. Noch am Montag kündigte er an, die diffamierenden Schriftzüge nicht von den Fahrzeugen entfernen zu lassen. „Die Lkw sollen durch die Stadt fahren“, so der Tafel-Chef. „Das sollen alle sehen.“