© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

„Sprengsatz Bevölkerungsexplosion“
Vor 28 Jahren wurde Manfred Ritter für sein Buch „Sturm auf Europa“ mundtot gemacht. Nun scheint einzutreten, was er prophezeit hat
Moritz Schwarz

Herr Ritter, empfinden Sie Genugtuung?

Manfred Ritter: Natürlich freut sich jeder spontan, wenn er recht behält. Wenn ich aber bedenke, was das für unser Land bedeutet: Nein, ganz bestimmt nicht.  

Mit Ihrem Buch „Sturm auf Europa“ haben Sie vor 28 Jahren die Migrationskrise vorhergesagt. Warum wollte man Ihre Botschaft damals nicht hören? 

Ritter: Meine Gegner hatten wohl schnell erkannt, daß sie meinem wichtigsten Argument – der Gefahr einer Völkerwanderung aufgrund der Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt – keine überzeugenden Argumente entgegensetzen konnten. Deshalb mußten sie verhindern, daß ein Thema mit solcher politischer Sprengkraft in der Migrationsdebatte eine dominierende Rolle einnehmen würde.   

Laut „Spiegel“ wurden Sie „wegen ausländerfeindlicher Äußerungen strafversetzt“.

Ritter: Beamtenrechtlich gibt es keine „Strafversetzung“ und persönlich hat sie mir nicht geschadet. Dennoch hatte der Spiegel im volkstümlichen Sinne recht. Die CSU knickte angesichts der Angriffe gegen mich ein und offenbarte so, daß scharfe Kritik am Asylmißbrauch selbst in Bayern für einen Beamten zu negativen Konsequenzen führen kann. 

Aufgebracht hatte die Kampagne die „taz“. 

Ritter: Und viele Medien, bis hin zu Radio und Fernsehen, folgten ihr brav. Andererseits, ohne die taz wäre mein Buch vielleicht relativ unbeachtet geblieben. Die Kampagne hat aber auch zur Ausgrenzung geführt. So haben manche Buchhandlungen mein Buch boykottiert: Leser schrieben mir,  sie seien mit der falschen Behauptung, es sei vergriffen, weggeschickt worden. Heute erlebe ich ähnliches: Inzwischen gibt es eine Neuauflage – doch diese gilt bei Amazon als „zur Zeit nicht verfügbar“. 

Wieso wurde Ihnen Ausländerfeindlichkeit unterstellt?

Ritter: Das wurde konstruiert, so wie wir das heute auch immer wieder erleben. Etwa wurde mir vorgeworfen, Einwanderer mit „einem Heuschreckenschwarm“ verglichen zu haben, „der überall, wo er durchzieht, eine Wüste hinterläßt“. Tatsächlich bezog sich dieser Satz auf die Zerstörung der Umwelt durch die Bevölkerungsexplosion. Es ging also überhaupt nicht um die Migranten.  

Also „Lügenpresse“?

Ritter: Nicht bei jenen, die das Buch nur aufgrund des irreführenden taz-Artikels verurteilt haben, ohne es selbst gelesen zu haben. Da war es wohl eher ein Fall von Vorverurteilung und „Einer schreibt falsch vom anderen ab“ statt eigener Recherche. Bei der taz allerdings bin ich davon überzeugt, daß sie den „Heuschrecken“-Satz absichtlich zusammenhanglos zitiert hat, um den Eindruck zu erwecken, er würde sich auf die Migranten beziehen.  

Sie sagen, die eigentliche Dimension des Problems der Massenmigration wird verkannt, auch von der Rechten. Inwiefern?

Ritter: Ja, denn die wahre Ursache ist die Überbevölkerung in der Dritten Welt.

Aber das ist doch klar. 

Ritter: Im Sinne von bekannt, ja. Im Sinne von bewußt, nein! Das glauben Sie nicht? Erstens: Obwohl dies also das zentrale Problem ist, wird kaum darüber debattiert! Nehmen Sie zum Vergleich das Thema Klima. Ich sage – mal abgesehen davon, ob die Klimatheorie überhaupt stimmt –, die Bevölkerungsexplosion ist in ihren Auswirkungen weit gefährlicher als eine Klimaerwärmung. Und nun vergleichen Sie: Wieviel diskutiert die Politik über Klima und wieviel über Überbevölkerung? Na? Zweitens: Wäre es „klar“, wie Sie sagen, daß Überbevölkerung das Problem ist – warum steht sie dann bei der Diskussion über die „Beseitigung der Fluchtursachen“ nicht im Mittelpunkt? Statt dessen diskutiert man über die Hebung menschenrechtlicher und sozialer Standards. Schön und gut, nur vergißt man dabei, daß dies ohne Bekämpfung der Überbevölkerung nicht gelingen kann. Und leider hat auch die politische Rechte die Bedeutung dieser Ursache nicht erkannt, und vernachlässigt dieses Thema.

Warum soll die Bevölkerungsexplosion ein größeres Problem als etwa das Klima sein? 

Ritter: Weil wir mit einem Klimawandel trotz allem klarkommen könnten, mit massiver Überbevölkerung dagegen nicht. Übrigens: Die linke Seite weiß, daß es in Sachen Einwanderungspolitik einen noch größeren politischen Stimmungsumschwung im Volk geben würde, würde das Gefahrenpotential der Bevölkerungsexplosion ins Bewußtsein dringen. Deshalb rückt man lieber das Klima in den Fokus. Ich hoffe nur, daß die Wiederauflage meines Buches dazu beiträgt, dieses Thema zu diskutieren. 

Allerdings sind Sie kein Demograph. Was qualifiziert Sie überhaupt für das Thema?

Ritter: Ich war in den achtziger Jahren als Landesanwalt am Verwaltungsgericht Ansbach mit Asylprozessen befaßt und hatte so Einblick in die Migrationspraxis. Schon damals wurde das Asylrecht als Einfallstor für illegale Einwanderung mißbraucht, um der Armut in der Heimat zu entkommen. Deshalb hatte ich mich intensiv mit der Thematik und ihren globalen Hintergründen beschäftigt. Schließlich habe ich dazu Gastkommentare in überregionalen Zeitungen publiziert – allein in der Welt waren es etwa ein Dutzend. Dies hatte zur Folge, daß sich auch andere Zeitungen ausführlicher mit dem Mißbrauch des Asylrechts befaßt haben. Deshalb hatte die Kampagne gegen mein Buch auch das Ziel, meinen Einfluß auf die Asyldebatte in den Medien zu unterbinden.  

Dennoch, Sie sind kein Fachmann. Fürchten Sie nicht, Daten falsch zu beurteilen?  

Ritter: Nein, denn die Bevölkerungsexplosion in dicht besiedelten Ländern überfordert zweifellos deren Ressourcen. Sie führt zumindest in Ländern ohne wertvolle Bodenschätze fast immer zur Verarmung großer Bevölkerungsteile. Oft folgen Bürgerkrieg und Flüchtlingsströme. Dies kann jeder selbst überprüfen, wenn er sich mit den historischen Beispielen befaßt.

Aber Zahlen können trügen, etwa hat man nach 1945 „ausgerechnet“, der Wiederaufbau brauche Jahrzehnte. Könnte der Fortschritt nicht auch Ihre Vorhersagen schnell obsolet machen?  

Ritter: Natürlich kann niemand absolut zuverlässige Prognosen abgeben. Aber beim derzeitigen Wachstum der Weltbevölkerung müßten schon wahre Wunder geschehen, damit sich dieses Problem „von alleine“ löst. Die Natur würde natürlich „Lösungen“ finden – allerdings in der Form von Hungerkatastrophen und Kriegen. Zwar hat die Wissenschaft unsere Gestaltungsmöglichkeiten gewaltig vergrößert, wir nutzen sie jedoch vor allem, um den Planeten zu plündern – ohne Rücksicht auf unsere Nachkommen. So werden dem steigenden Ressourcenbedarf einer explodierenden Menschheit immer weniger Reserven gegenüberstehen. Landwirtschaftliche Produktionssteigerung wird oft mit Zerstörung der Agrarflächen bezahlt, und die Überfischung der Meere droht auch diese Nahrungsquelle in selbstmörderischer Weise zu schädigen. 

Angeblich pendelt sich die Weltbevölkerung um 2100 bei circa elf Milliarden ein, so etwa der Demograph Hans Rosling. 

Ritter: Das ist reine Spekulation. Auch die Frage, wieviel Menschen auf unserem Planeten ohne Hunger leben können, hängt von vielen nicht kalkulierbaren Faktoren ab. Das ist ähnlich wie bei einem Rettungsboot: Wie viele Menschen kann es tatsächlich aufnehmen? Wesentlich mehr bei ruhiger See. Schlägt dann aber das Wetter um, sinkt es. Um die Überlebenschancen der Insassen zu sichern, dürfen Sie es auf keinen Fall überladen! Wenn Sie auch noch viel Wasser und Nahrung  mitnehmen müssen, passen noch weniger hinein. Die Weltbevölkerung ist seit 1900 von 1,6 Milliarden auf über sieben Milliarden gestiegen. Die Gefahr, daß das „Raumschiff Erde“ irgendwann „überladen“ ist, wird daher immer größer. Dies könnte in den nächsten Jahrzehnten in einer gigantischen Tragödie enden. 

Wie würden Sie die zentrale These Ihres Buches zusammenfassen?

Ritter: Angesichts des drohenden Ausmaßes der Einwanderung geht es längst nicht mehr um die alte Überfremdungsdebatte – die sich als „rassistisch“ diskriminieren läßt –, sondern um die viel existentiellere Frage eines menschenwürdigen Überlebens der Europäer. Bereits 1990, im Erscheinungsjahr meines Buches, hätte Europa bei völliger Grenzöffnung für Armutsflüchtlinge der Zusammenbruch seiner Wirtschafts- und Sozialsysteme gedroht! 

Die etablierten Parteien wollen das Problem durch eine solidarische, internationale Verteilung der Einwanderer lösen. Warum soll das nicht funktionieren?  

Ritter: Dies scheitert bereits an der politischen Realität. Denn die meisten Staaten werden sich weigern, dabei mitzumachen – weil sie nicht gemeinsam mit den Einwanderern verarmen wollen. Vor allem aber ist der Bevölkerungszuwachs viel zu groß. Die Weltbevölkerung nimmt jedes Jahr um etwa achtzig Millionen Menschen zu – etwa die Einwohnerzahl Deutschlands. Dies veranschaulicht übrigens nicht nur die Größe des Problems, sondern auch wie relativ klein Deutschland im Weltmaßstab ist. Nun stellen Sie sich vor, Deutschland würde auch nur diesen Bevölkerungsüberschuß eines einzigen Jahres aufnehmen: Abgesehen vom Zusammenbruch unseres Wohlstands, unserer Gesellschaft und unserer Demokratie würden wir quasi „verschwinden“, wenn jeder zweite ein Einwanderer wäre. Und wofür? Nach nur zwölf Monaten hätten die Herkunftsländer ihre alte Bevölkerungszahl schon wieder erreicht! Selbst wenn jedes Jahr nur diese achtzig Millionen Menschen in die Industriestaaten der Welt abwanderten, würden die meisten dieser oft bereits selbst überbevölkerten Länder in wenigen Jahren zusammenbrechen – ohne daß dadurch die Probleme der Herkunftsländer gelöst würden. Solidarität durch gemeinsame Verarmung – das nutzt niemandem.  

Warum wird das Problem auch international weitgehend ignoriert?

Ritter: Daß eine wirksame Kontrolle des Bevölkerungswachstums möglich ist, hat China bewiesen. Nur dadurch war dessen wirtschaftlicher Aufstieg möglich. In den meisten Dritte-Welt-Staaten ist es der korrupten Führung aber gleichgültig, wenn mit der Bevölkerung auch die Verarmung „explodiert“. Viele hoffen wohl auch, das Problem per Migration zu exportieren. Und in den Industriestaaten, deren Bevölkerung kaum wächst, hält man sich für das Thema nicht zuständig – oder schweigt aus diplomatischen Gründen. Manche halten es auch für politisch unkorrekt, der Dritten Welt Empfehlungen zu geben. So marschieren wir alle sehenden Auges in die Katastrophe. 

Gibt es kein Entkommen?

Ritter: Zuerst müßten Politik und Medien zur Kenntnis nehmen, daß die Bevölkerungsexplosion zum größten Problem der Menschheit geworden ist. Das aber werden sie nicht tun. Wie gesagt: Schon weil das zu einem politischen Umschwung zugunsten rechter Parteien führen würde. Dabei wäre es den Versuch wert, das verantwortungslose Wachstum einzudämmen. Ländern, die nicht bereit sind, alles zur Geburtenkontrolle Nötige zu tun, müßte klargemacht werden, daß wir nicht bereit sind, die daraus erwachsende Last zu tragen. Und notfalls benötigen wir tatsächlich eine „Festung Europa“. 

So ein Sinneswandel ist kaum zu erwarten.

Ritter: Irgendwann könnte das ganz schnell gehen, aber vielleicht ist es dann schon zu spät. Der Grund, warum viele Europäer diese Notwendigkeit nicht begreifen, ist der fast märchenhafte wirtschaftliche Aufstieg von Westeuropa nach 1945. So glauben wir, unser Wohlstand sei auch für die Zukunft gesichert. Das aber ist vollkommen naiv! Tatsächlich ist Europa im Verhältnis zu seinen Rohstoffreserven und Agrarflächen bereits übervölkert. Es verdankt seinen Wohlstand allein dem technischen Aufschwung der Nachkriegszeit, der uns  jahrzehntelang eine Monopolstellung mit hohen Gewinnen verschafft hat. Doch diese Ära geht derzeit historisch zu Ende. Vor allem Asien übernimmt immer mehr der für unseren Wohlstand entscheidenden Industrieproduktion. Die Südeuropäer haben das bereits leidvoll erfahren – und selbst die verhängnisvolle Nullzinspolitik bringt ihnen keinen Aufschwung mehr. Auch ohne große Wirtschaftskrisen dürfte der europäische Wohlstand, wie wir ihn kennen, zu Ende gehen. Wer unter diesen Voraussetzungen auch noch eine Masseneinwanderung zuläßt, steuert in die Katastrophe.       






Manfred Ritter, der Regierungsdirektor a.D. war von 1981 bis 1990 Landesanwalt in Bayern und unter anderem mit Asylverfahren befaßt. Er schrieb Gastbeiträge zu diesem Thema in der Welt, FAZ, dem Münchner und dem Rheinischen Merkur und war mehrfach zu Gast im Fernsehen. 1990 erschien sein Buch „Sturm auf Europa. Asylanten und Armutsflüchtlinge. Droht eine neue Völkerwanderung?“ im Fachverlag Hase und Koehler. Dort ist 2016 eine erweiterte Neuauflage erschienen. 2000 veröffentlichte er zusammen mit dem ehemaligen SPD-Politiker Klaus Zeitler den Band: „Armut durch Globalisierung. Wohlstand durch Regionalisierung“. Geboren wurde der Jurist 1941 in Dresden. 

Foto: Afrikanische Einwanderer in Italien: „Die eigentliche Ursache für den Sturm auf Europa ist die Überbevölkerung. Doch die wahre Dimension dieses Problems wird verkannt – übrigens auch von der politischen Rechten ... Statt dessen reden wir lieber über das Klima. Denn würde dem Volk das Problem wirklich bewußt, gäbe es einen politischen Stimmungsumschwung“

 

weitere Interview-Partner der JF