© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Die Beruhigungspille
CDU-Parteitag: Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Generalsekretärin gewählt
Jörg Kürschner

Mit taktisch geschickten Personalentscheidungen hat CDU-Chefin Angela Merkel auf dem Sonderparteitag ihre Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin installiert und für eine fast 100prozentige Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der SPD gesorgt. Nach vernichtender Kritik am Koalitionsvertrag und an der Ressortverteilung erwies sich die CDU erneut als handzahmer Kanzlerwahlverein, der zuallererst am Einzug in der Regierungszentrale interessiert ist. Trotz der vielfach beklagten „sozialdemokratischen Handschrift“ im Koalitionsvertrag und des Verlusts des Bundesfinanzministeriums stimmten nur 27 Delegierte gegen den Vertrag, 975 dafür. Damit ist die Regierungsbildung Mitte März möglich, die Zustimmung der rund 463.000 SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag vorausgesetzt.

Erhebliche Kritik an der Vereinbarung gab es bei der für CDU-Maßstäbe lebhaften Aussprache. „Die CDU hat das Profil eines abgefahrenen Reifens“, stellte Eugen Abler aus Baden-Württemberg fest. Merkel habe die Christdemokraten nach links geführt, das C im Parteinamen verraten mit der Folge einer „neuzeitlichen Dekadenz“. Das Vakuum fülle jetzt die AfD. Der Euro-kritische Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch zeigte sich empört über die Bereitschaft der möglichen Koalitionäre, der EU großzügige höhere Zahlungen in Aussicht zu stellen, und plädierte für die Bildung einer Minderheitsregierung. Der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Werner Michael Bahlsen, verwies auf einen einstimmigen Präsidiumsbeschluß, den Koalitionsvertrag mangels ordnungspolitischer Konturen abzulehnen.

Apropos AfD: Während der Aussprache über den rund einstündigen Rechenschaftsbericht Merkels gab es kaum einen Redner, der nicht ausführlich auf die Partei rechts der Union einging. Mit Schärfe äußerte sich der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn, diese Beruhigungspille für die letzten Konservativen in der CDU. Er wolle sich nicht abfinden mit der Existenz der AfD, die Rassismus und die Leugnung des Holocausts in die Parlamente bringe. „Überflüssig machen“, „keine Koalition“, rief der 37jährige aus. Donnernder Applaus der Basis war ihm sicher.

Nachdenklich wirkte Merkel, als mehrere sächsische und sachsen-anhaltische Delegierte das Fehlen eines Kabinettsmitglieds aus Ostdeutschland beklagten. Dies sei nicht akzeptabel, echauffierte sich der Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel. Merkel hatte tags zuvor die Liste der CDU-Minister bekanntgegeben, die bei einer Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag in das IV. Kabinett berufen werden sollen. Neben dem Saarländer Altmaier und dem Münsterländer Spahn sind dies die bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2016 gescheiterte Julia Klöckner als Landwirtschaftsministerin sowie der Hesse Helge Braun, künftig Kanzleramtschef. Ursula von der Leyen soll trotz ihrer Unbeliebtheit bei der Bundeswehr Verteidigungsministerin bleiben. Die eigentliche Überraschung ist die 47jährige, aus dem Tecklenburger Land stammende Anja Karliczek, die dem Bundestag seit 2013 angehört, als Diplom-Kauffrau im familien­eigenen Hotelbetrieb arbeitete und künftig das Bildungsressort verantworten soll. Geopfert wurden von Merkel langjährige Vertraute, Hermann Gröhe und Thomas de Maizière. Ersterer erfuhr an seinem 57. Geburtstag, daß er das Gesundheitsressort seinem Gegenspieler Spahn überlassen muß. Letzterer, ein versierter Jurist, muß das Innenministerium an CSU-Chef Horst Seehofer abtreten, dem er als Nichtjuristen indirekt die Eignung absprach.

Der eigentliche Star des Parteitags aber war Annegret Kramp-Karrenbauer, die Merkel zur neuen Generalsekretärin berufen hat. Mit einer erfrischend engagierten Bewerbungsrede erreichte die bisherige saarländische Ministerpräsidentin die Delegierten, die nach den vielen narkotisierenden Merkel-Ansprachen wie befreit wirkten. Jubel, Euphorie brach auf, da AKK, so die innerparteiliche Kurzform, ihnen mehr Mitsprache versprach, etwa bei der Erarbeitung des neuen Grundsatzprogramms. Die frisch Gewählte will Sachfragen lösen statt Debatten über eine konservative Linie zu führen. Ihr Wahlergebnis von 98,9 Prozent freute auch ihre Förderin Merkel, die sich mit ihr Arm in Arm präsentierte. Ein Bild, das wohl unfreiwillig den Wandel der CDU dokumentiert. Und vielleicht die Zukunft. Denn die „Mini-Merkel“, von der im Berliner Tagungsort „Station“ oft geredet wurde, könnte Nachfolgerin im Kanzleramt werden, das Merkel seit 2005 besetzt hält.

Dank einer geschickten Parteitagsregie gelang es Kramp-Karrenbauer mit ihrer leidenschaftlichen Aufbruchsrede, die ernüchternde Bilanz Merkels fast vergessen zu machen. „Wir haben hart gerungen, wir mußten Kompromisse eingehen, aber wir haben auch viel durchgesetzt“, rechtfertigte sie ihre Verhandlungsstrategie mit der SPD. An der Besetzung des Finanzministeriums habe man die Koalitionsverhandlungen nicht scheitern lassen können. Pflichtschuldigster Beifall begleitet ihre geschäftsmäßig vorgetragene Rede, starker Applaus brandet nur auf, als sie die Verdienste Gröhes und de Maizières würdigt. Mangels inhaltlicher Positionen bedient sich die Parteichefin eines Tricks, um dem Bedürfnis der Delegierten nach Sachaussagen entgegenzukommen. Flugs erklärte Merkel in unausgesprochener Abgrenzung zur SPD und FDP die Bereitschaft, Deutschland stabil zu regieren, zum Markenkern ihrer Partei. In der Tat, in der Bundesrepublik hat die CDU 49 Jahre den Kanzler gestellt, die SPD 20 Jahre.