© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Dem Klimawandel trotzen
Die deutsche Agrarforschung wandelt sich / Gefragt sind an den Standort angepaßte, maximal streßresistente Sorten
Knut Meier

Zumindest nördlich der Mainlinie müssen sich die Deutschen wohl an verregnete Sommer und schneelose Winter gewöhnen. Trockenheit oder wahlweise Stark- und Dauerregen, Ernteausfälle bis 30 Prozent wie 2017, gelten inzwischen als „Realitäten des Klimawandels“, die auf sich global verschärfende Veränderungen der Niederschlags- und Temperaturverteilung einstimmen. In Europa wird demnach die „kalte Jahreszeit“ noch seltener, dafür gibt es im Winter häufiger den Regen, der im Sommer ausbleiben wird.

Massive Auswirkungen auf Kulturpflanzen

Für den Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter vollziehen sich hier überraschungsfreie Szenarien. Denn seit Jahrzehnten, so merkt dessen Geschäftsführer, Carl-Stephan Schäfer, an, würden sich Züchter und Agrarforscher mit Klimaveränderungen und ihren Auswirkungen auf Kulturpflanzen befassen (VDL – Magazin für Agrar, Ernährung, Umwelt, 4/17). Weitblick gehört ohnehin zu den Kernkompetenzen dieses Metiers, denn die Entwicklung einer neuen Pflanzensorte dauert durchschnittlich zehn bis 15 Jahre. Es war also höchste Zeit, als die Bundesregierung 2009 ihr Innovationsprogramm „Züchtung klimaangepaßter Pflanzen“ auflegte, den Ruf der Branche nach mehr Geld erhörte und die Initialzündung für die Etablierung eines üppigen Buketts neuer Forschungsprojekte auslöste. Nur mit Steuergeldern, so betont Schäfer, sei der steigende Forschungsbedarf zu finanzieren, da Pflanzenzüchtung mit einer Quote von über 15 Prozent für Forschung und Entwicklung zu den „forschungsintensivsten Wirtschaftsbereichen in Deutschland“ zähle.

Spitzt man Schäfers Überblick über aktuelle Forschungsziele scharf zu, scheint es unter dem Druck des Klimawandels in diesem Segment der Agrarwissenschaften um nicht weniger zu gehen als um die Erfindung eines pflanzlichen Pendants zur eierlegende Wollmichsau. Ideal wäre demnach eine einzige trockenresistente, kälte- und frosttolerante, standfeste, Überschwemmungen und Schädlingen trotzende, gleichwohl umweltverträgliche, minimalen Input an Pflanzenschutzmitteln benötigende Sorte. Solange bis dieses multifunktionelle Wunder nicht gefunden ist, konzentrieren sich die Wissenschaftler darauf, „standortangepaßte Sorten“ zu züchten, die immerhin jeweils einen Teil dieser hohen Anforderungen erfüllen. Im Mittelpunkt steht dabei die Züchtung auf Trockenstreßtoleranz. Da deutsche Züchtungsfirmen hier seit langem führend sind und internationale Märkte mit trockenheitsbewährten Sorten bedienen, verfügten sie über ein großes „Know-how“, das nun auch dem Aufbau leistungsstarker Züchtungen im globalen Süden zugute komme.

Molekulargenetik erklärt biologische Prozesse

Ausgeprägtes Wurzelsystem und effizienter Wasserhaushalt in der Pflanze entscheiden über die optimale Nutzung geringer Wasserreserven im Boden. Dieses System rückt daher immer stärker in den Brennpunkt einer erst am Anfang stehenden Forschung. Entsprechend an Bedeutung gewinnt die markergestützte Selektion zur Identifikation von Sorten, die mit wechselndem Wasserangebot gut zurechtkommen. Womit wiederum die Molekulargenetik, die biologische Prozesse aufklärt, wie sie bei Trockenheit in den Wurzeln ablaufen, zur Schlüsseldisziplin der Sortenforschung aufgerückt ist. Aufwendige Trockenstressversuche mit spärlicher künstlicher Bewässerung und Abschirmung gegen Regen sollen dazu führen, streßresistente Genotypen zu selektieren. 

Auch ein anderes Feld der Resistenzzüchtung expandiert klimabedingt. Höhere herbstliche und winterliche Temperaturen begünstigen von Insekten übertragene Viren. Etwa das Gelbverzwergungsvirus (Barley yellow dwarf virus) oder das Weizenverzwergungsvirus (Wheat dwarf virus). Ersteres wird durch die Blattlaus, zweiteres durch Zwergzikaden übertragen. Beide Viren verursachen an Gerste und Weizen ähnliche Symptome, wie Verzwergung, Blattvergilbung, verringerte Winterhärte, die Ertragseinbußen nach sich ziehen. Wie sie ebenfalls ins Haus stünden, falls tierische Schaderreger wie Maiszünsler und Mais­wurzelbohrer, die temperaturbedingt zunehmen, nicht mittels resistenter Neuzüchtungen eingedämmt werden können. Wie Schäfer prognostiziert, dürfte dies bei stetigen Investitionen in die Forschungsinfrastruktur den mit ihren streßtoleranten Sorten „Grundsteine einer produktiven Landwirtschaft“ liefernden deutschen Agrarwissenschaftlern aber gelingen.

Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter:  www.die-pflanzenzuechter.de

Bundesforschungsprogramm „PLANT 2030“:  www.pflanzenforschung.de