© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Grüße aus Moskau
Sinvoll oder sinnfrei?
Thomas Fasbender

Jetzt hat auch Rußland seinen „Burning Man“. Wem das nichts sagt: Der „Burning Man“ ist ein alljährlich im September stattfindendes Festival in der Wüste von Nevada, wobei als Höhepunkt eine riesige hölzerne Statue in Flammen aufgeht. In den vergangenen Jahren ragte sie über 30 Meter hoch.

 Das russische Pendant brennt erst zum Abschluß des Karnevals, am Ende der Butterwoche vor der siebenwöchigen Fastenzeit. Der Schauplatz ist ähnlich abgelegen, gut drei Autostunden südwestlich von Moskau im Gouvernement Kaluga. Dort, unweit des Dorfs Nikola-Leniwez, wo die Ugra sich durch eine russische Bilderbuchlandschaft windet, existiert schon drei Jahrzehnte eine Kolonie Moskauer Künstler und Architekten. 

Seit 2006 ist Nikola-Leniwez jeweils im Juli der Austragungsort des bedeutendsten russischen Festivals für Landschaftskunst und Architektur. Der mit 650 Hektar größte Kunst-Park Europas, malerisch inmitten eines Unesco-Biosphärenreservats gelegen, zieht auch außerhalb der Festivalzeit Besucher an. Umgeben von Sonnenblumen- und Weizenfeldern bezeugen über 30 Objekte architektonischer Kunst, sinnvolle und sinnfreie, die Kreativität der Szene.

Die sakral anmutende Silhouette der aufgetürmten Astbündel läßt Kritiker zürnen.

Nur folgerichtig also, daß am vergangenen Wochenende keine menschliche Statue, sondern ein 30 Meter hoher, an eine Kathedrale oder stalinistische Zuckerbäckergebäude erinnernder Scheiterhaufen in Flammen aufging. Folgerichtig auch, daß der Initiator des architektonischen Brandopfers, Nikolai Polisskij, der dem Festival seit den frühen Tagen als Impulsgeber dient, der Aktion den Namen „Aufflammende Gotik“ gab. Die Assoziation liegt nahe; wie Flammen streben die gotischen Spitzbögen dem Himmel zu.

Was Polisskij nicht bedacht hatte, waren die Tugendwächter. Politische Korrektheit ist in Rußland so wichtig wie anderswo, mit dem Unterschied, daß Kirche und Religion noch einen besonderen Stellenwert genießen. Das Wort Gotik, die sakral anmutende Silhouette der aufgetürmten Astbündel – die Internet-Kritik ließ nicht auf sich warten.

Auf seiner Webseite macht Polisskij deutlich, daß der Vorwurf der Gotteslästerung ihn kalt erwische. Man darf ihm das abnehmen; Nikola-Leniwez ist kein Hort für Provokation oder Opposition. Vielleicht hat Polisskij noch einmal Glück; schließlich ist der Sonntag vor der Fastenzeit auch der Versöhnungssonntag.