© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

„Auch mal verbal die Sau rauslassen“
Erneuter Eklat: Mit einer Karnevalsrede sorgt André Poggenburg, AfD-Landesschef in Sachsen-Anhalt für Empörung. Zu Recht?
Moritz Schwarz

Herr Poggenburg, ist die AfD jetzt im etablierten Milieu angekommen? 

André Poggenburg: Das Gegenteil ist ja wohl der Fall, wie die aktuelle Stimmungsmache gegen uns zeigt. 

Allerdings sind Sie mit „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ von diesem nicht mehr zu unterscheiden: „Auf die Fresse“ (Nahles), „Arschlöcher“, „Pack“ (Gabriel), „Ziegenficker“ (Böhmermann), „Drecksnazi“, „Arschloch“ (Peter Tauber). Wollte die AfD nicht eine Alternative sein? 

Poggenburg: Das sind wir auch, aber nicht in jeder Hinsicht. Als Partei müssen wir in vielem ähnlich operieren. Zudem wollen wir den Spiegel vorhalten und die andere Seite damit konfrontieren, wie es ist, wenn einem so etwas entgegengeschleudert wird. Übrigens: Wie von Ihnen richtig zitiert, habe ich „Kümmelhändler“ gesagt – nicht „Kümmeltürke“, wie etwa vom ZDF per Twitter falsch gemeldet –, und das war mal ein ehrbarer Beruf, ebenso wie Kameltreiber. 

Ich bitte Sie, Kameltreiber ist definitiv abwertend, der gesamte Satz beleidigend.  

Poggenburg: Nein, ich bitte Sie: Erstens war Aschermittwoch! Zweitens, wenn mich da jemand „Kraut“, „Kartoffel“ oder „Weißbrot“ nennt – lache ich einfach drüber. Auch Ihnen, Herr Schwarz, müßte auffallen, daß hier künstlich aufgebauscht wurde. Und auch wenn die jüngste Emnid-Erhebung schon vor Aschermittwoch begann, endete sie erst danach, und wir haben in der Wählergunst zwei Punkte auf 14 Prozent zugelegt, das sagt doch einiges.

Woher kommt der Zuwachs?

Poggenburg: Ich will nicht behaupten, das habe nun mit der Aschermittwochsrede zu tun. Sicher aber damit, daß bei uns Reden und Handeln übereinstimmen. Was wir ansprechen, bringen wir auch zuverlässig im Parlament auf die Tagesordnung. Das erleben die Bürger bei den Altparteien schon lange nicht mehr. Deshalb gelten wir als authentisch. 

Was bitte hat Probleme zu benennen mit Verbalinjurien zu tun? Welchen Mißstand legt denn etwa „Kameltreiber“ offen?

Poggenburg: Injurien, also Beleidigungen, sind oft subjektiv. Heute gelten die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik ja fast als Goldenes Zeitalter der Demokratie. Da wurde aber noch heftig gestritten! Was hat man sich damals nicht alles an den Kopf geworfen. Willy Brandt, Franz Josef Strauß und andere schenkten keinem was. Würde ich aber heute, wie Strauß, dazu auffordern, die „roten Ratten“ in „ihre Löcher zu jagen“, wäre man sicher extrem pikiert.

Sie finden es zuviel verlangt, von einer Partei, die beansprucht, konservativ und bürgerlich zu sein, den normalen bürgerlichen Anstand zu erwarten? 

Poggenburg: Ach wissen Sie, in einer Zeit, in der es hoffähig ist, die Deutschen als „Köterrasse“ zu bezeichnen, ist „Kameltreiber“ zu Aschermittwoch gewiß nicht übertrieben.

„Köterrasse“ ist unzweifelhaft eine untragbare Beleidigung, auch wenn sie skandalöserweise gerichtlich legitimiert wurde.

Poggenburg: Auf jeden Fall. 

Dann kann das ja wohl kein Maßstab sein. 

Poggenburg: Richtig, aber nochmal: Es war Aschermittwoch! Und wenn man nicht mal da verbal die Sau rauslassen kann und nun die Reden auch an diesem Tag „zensiert“, dann wird der Meinungskorridor noch weiter verengt – und das natürlich völlig einseitig. 

Warum sollte man überhaupt „die Sau rauslassen“? Vielleicht sollte man sich grundsätzlich zivilisiert benehmen.

Poggenburg: Da haben Sie nicht unrecht. Dann müßte das aber generell, etwa auch für Karnevalswagen gelten, die zeigen, wie ein Politiker vornübergebeugt sein Hinterteil entblößt und ein anderer Kopf voran hineinkriecht, der „Arschkriecher“ halt. Vielleicht zeigt das aber auch an, daß es zumindest einmal im Jahr ein Bedürfnis nach solcher Deftigkeit gibt. Auf jeden Fall aber kann es nicht sein, daß bei uns „Skandal“ sein soll, was bei anderen unter närrischem Brauchtum und Satire firmiert.

Alice Weidel hat gegen die Titulierung als „Nazi-Schlampe“ geklagt. Angesichts Ihrer Argumentation frage ich mich: Warum? 

Poggenburg: Weil das etwas anderes ist.

Inwiefern?

Poggenburg: Wer heute ständig „Nazi“ schreit, verharmlost den Nationalsozialismus, und das wollen wir doch nicht so stehenlassen!

Sicher, aber deshalb klagt sie ja wohl nicht, sondern weil sie sich beleidigt fühlt. 

Poggenburg: Das sagen Sie. Ich unterstelle das mal anders. 

Aha. Offenbar ist bei Ihnen immer noch Fasching. 

Poggenburg: Keinesfalls. Aber wissen Sie, viele Türken haben ja noch Stolz im Leib, wofür man von uns Deutschen Verständnis einfordert. Kein Verständnis aber hat man, wenn zumindest wir Mitteldeutschen auch noch Stolz haben. Bei uns wird „Köterrasse“ nicht einfach hingenommen. Da entsteht Wut. Und die will auch mal raus, darauf haben die Leute auch ein Recht. Und dann wird eben zu Aschermittwoch mal verbal ausgeteilt.

Eben haben Sie noch argumentiert, niemanden wirklich beleidigt zu haben.

Poggenburg: Nicht „die“ Türken, sondern den Verband „Türkische Gemeinde“. Aber dieser Zusammenhang wurde eben von vielen Medien manipulativ unterschlagen. 

Aber bleibt Ihr Anspruch – Sie teilen deftig aus, türkischstämmige Zuhörer aber haben gefälligst die Feinheiten herauszuhören – nicht durchschaubar? Überdies witzelte Jörg Urban, Parteichef in Sachsen, in seiner Aschermittwochsrede, Türken hätten traditionell Sex mit Schafen. Auch keine Beleidigung? Und woher kommt eigentlich diese debil wirkende Freude am „Witz“, dessen einzige „Pointe“ Sex ist? 

Poggenburg: Das ist eben Karnevalsabschluß. Und da kann man teilen in jene, die die Grenzüberschreitungen humorvoll und jene, die sie geschmacklos finden.  

Unabhängig vom politischen Inhalt: Der Aschermittwoch der Grünen kam ohne Beleidigungen, Niveauabstürze und schwiemelige Sex-Witzchen aus. Was glauben Sie, welches Milieu wird der Normalbürger eher als „versifft“ betrachten?    

Poggenburg: Daß ich nicht lache, gerade die Grünen. Gut, die reißen sich da mal bewußt zusammen, lassen sonst aber das ganze Jahr die Sau raus! Die pinkeln auf die deutsche Fahne, marschieren hinter „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ her, beklatschen die Antifa oder eine Haßkappe wie Deniz Yücel, der der „zuckenden Menschenkarikatur Sarrazin“ öffentlich den Tod wünschte.    

Tausende Bürger setzen sich im Familien-,  Bekannten- und Kollegenkreis für die AfD ein. Dann kommen Sie oder andere Funktionäre mit niveaulosen Provokationen. Stoßen Sie Ihren eigenen Sympathisanten damit nicht den Dolch in den Rücken?

Poggenburg: Natürlich macht man es einigen von ihnen damit schwerer. Andererseits gibt es aber Leute, die wir gewinnen oder halten, gerade weil wir so den Finger in die Wunde zu legen wissen. Die AfD hat eben eine gewisse Bandbreite, das sollten wir akzeptieren. Zu angepaßtes Agieren kann auch Wähler verschrecken.

Lange nicht jeder „AfD-Skandal“ ist tatsächlich hausgemacht, doch es läßt sich eine sich steigernde Folge von Entgleisungen beobachten. Handelt es sich nicht um einen Verrohungsprozeß, der die Funktionäre regelrecht „zwingt“, bei der nächsten Provokation immer noch „eine Schippe draufzulegen“, um sich angesichts der Stimmung in der Partei zu profilieren? 

Poggenburg: Nein. Und der wahre Verrohungsprozeß findet statt, wenn Bürger, die ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen, etwa vom Vizekanzler, vom Parteichef der Grünen und dem SPD-Innenminister von Nordrhein-Westfalen als „Pack“, „Mischpoke“ und „Nazis in Nadelstreifen“ verleumdet werden. 






André Poggenburg, ist Landes- und Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt und Oppositionsführer im Landtag. Der 1975 in Weißenfels an der Saale geborene Kaufmann und Behälterbauer war von 2015 bis 2017 zudem Mitglied im Bundesvorstand der Partei.

Foto: Aschermittwochsredner Poggenburg in Pirna: „Das kann man humorvoll oder geschmacklos finden“

 

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