© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Kostenloser Dauerlutscher
Öffentlicher Personennahverkehr: Ohne zu bezahlen funktioniert es nicht
Markus Brandstetter

Am 1. Juli 1997 spielt sich in der belgischen Stadt Hasselt (77.000 Einwohner) ganz großes Kino ab: Die Stadt gibt bekannt, daß von diesem Tag an alle Busse kostenlos seien. „Hasselt“, ruft der sozialistische Bürgermeister, ein ehemaliger Kneipenwirt, in die Mikrophone, „zal nooit meer hetzelfde zijn“ – Hasselt wird nie mehr dieselbe Stadt sein.

Dieses Experimente, das erste seiner Art in einer europäischen Stadt, wurde von Tag eins an von linken und grünen Kräften auf der ganzen Welt gefeiert. Der heißersehnte Sozialismus schien endlich gekommen und das Ende von Ausbeutung und Profit – zumindest auf der Ebene der beiden Buslinien einer belgischen Kleinstadt – greifbar nahe zu sein. Und am Anfang sah es ja auch gut aus: Die Anzahl der Bus-Passagiere stieg steil an, in zehn Jahren wurden aus 360.000 Mitfahrenden in den Bussen von Hasselt viereinhalb Millionen. Aber dann, im April 2013 kam das Ende des hoffnungsvoll begonnenen Projekts: „Hasselt supprime les transports en commun gratuits“, Hasselt hört mit dem kostenlosen Busverkehr auf, stand plötzlich in der Zeitung. Seitdem zahlen wieder alle bis auf Rentner, Behinderte, Schüler und Studenten, aber die fahren in vielen anderen Kommunen, in denen weder der Sozialismus noch der kostenlose Nahverkehr je ein Thema waren, auch gratis.

Im Internet wird Hasselt bis heute als Erfolgsmodell gepriesen, dabei war es das genau Gegenteil: ein krachend gescheitertes Experiment, das die Finanzen von Stadt und Kreis auf Jahre hinaus gebeutelt hat. Denn man hatte die Rechnung schlicht ohne den Wirt gemacht: Während der 17 Gratisjahre hatten sich die Kosten für die Busse vervielfacht, aber die Stadt hatte an De Lijn, den Busbetreiber der Region Flandern, jedes Jahr dieselben 1,8 Mio. Euro überwiesen, was die Kosten schon bald nicht mehr deckte. Als De Lijn 2006 Knall auf Fall eine Million Euro mehr verlangte und zukünftig auf Kostendeckung bestand, schleppte sich das sozialistische Experiment nochmals sechs Jahre lang zunehmend unterfinanziert dahin, bis es endlich mausetot war.

Und jetzt kommt die Bundesregierung mit dem Vorschlag, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen. Der erstaunliche Grund dafür: Weil die von der EU festgelegten Luftqualitätsgrenzwerte in 70 deutschen Städten immer wieder überschritten werden, droht der Europäische Gerichtshof Deutschland mit einer Klage. Um diesen Problem aus dem Weg zu gehen, ist der Umweltministerin und dem Verkehrsminister nun nicht etwa eingefallen, das Übel an der Wurzel zu packen, sprich die Städte zeitweilig für Dieselfahrzeuge zu sperren und den Steuersatz für Diesel dem für Benzin anzugleichen, um Kauf und Betrieb von Dieselfahrzeugen unattraktiver zu machen.

Nein, sie sind auf die auf die Idee gekommen, die Autofahrer mit einem kostenlosen Dauerlutscher dazu zu bewegen, das Auto stehen zu lassen und in Bus und Bahn umzusteigen.

Das wird nie und nimmer funktionieren. Menschen steigen nicht vom Auto in den Bus um, nur weil der Bus gratis ist. Das tun nur Geringverdiener, die kein Auto besitzen und bislang zu Fuß gegangen oder mit dem Rad gefahren sind. Die Besitzer von Mittel- und Oberklassefahrzeugen fahren weiter mit dem Auto, erstens weil es bequemer ist, und zweitens weil sie mit ihren Karossen natürlich auch ein bißchen protzen wollen – ein Siebener BMW vor dem Kindergarten macht mehr her als ein Trekkingrad mit Kindersitz. Studien zeigen, daß die Menschen nur in ländlichen und dünnbesiedelten Gebieten bereit sind, vom Auto in den Bus umzusteigen, aber auch nur dann, wenn Busse und Bahnen oft, zuverlässig und pünktlich fahren.

Aber viel wichtiger als dieses – rein psychologische – Argument ist die Tatsache, daß ein kostenloser Nahverkehr in den größten deutschen Städten überhaupt nicht bezahlbar wäre. Nehmen wir das Beispiel Hamburg. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) beförderte im letzten Jahr 770 Millionen Fahrgäste, die dafür 830 Millionen Euro bezahlen. Läßt man die Investitionen weg, dann betragen die jährlichen Kosten des HVV rund 900 Millionen Euro. Das heißt also: 92 Prozent der laufenden Kosten des HVV werden durch den Fahrkartenverkauf gedeckt. Würde der nun wegfallen, dann müßte der Hamburger Senat an den HVV jedes Jahr mehr als 800 Millonen Euro überweisen – zusätzlich zu den 300 Millonen, mit denen die Stadt Hamburg heute bereits den städtischen Nahverkehr im Jahr subventioniert. Die von der Presse stets kritisierten Baukosten der Elbphilharmonie betrugen 866 Millonen Euro – in etwa diesen Betrag müßte die Stadt nun jedes Jahr aufbringen, wollte sie die Fahrten in Bussen und Bahnen kostenlos anbieten. Man muß kein studierter Stadtkämmerer sein, um zu begreifen, daß ein solches Vorhaben nicht nur in einer belgischen Kleinstadt, sondern auch im reichen Hamburg zum Scheitern verurteilt wäre – von den viel ärmeren Städten des Ruhrgebietes ganz zu schweigen.

Die Einnahmen aus dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) decken – zählt man die notwendigen Investitionen zu den laufenden Kosten dazu – die Gesamtkosten lediglich zwischen 40 und 60 Prozent. Der Rest muß immer und überall aus Steuermitteln zugeschossen werden. Würde der ÖPNV zukünftig gratis angeboten werden, dann würde dies relativ schnell zu leeren Stadtkassen, hohen Kommunalschulden, schlechterem Service, einem Investitionsstau und damit veraltetem und zunehmend vandalisiertem Material führen. Das will kein Mensch. Auch nicht für umme.