© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Kein Käsemann
Der früheste Mensch Britanniens mit lebenden Nachfahren hatte dunkle Haut, blaue Augen und war kein Milchtrinker
Mathias Pellack

Blaue Augen hatte der erste Mensch Britanniens mit noch lebenden Nachfahren, den man nach seinem Fundort in der gleichnamigen Schlucht als „Cheddar Man“ bezeichnet. Käsebleich hingegen war der Mann, dessen Skelett nahezu vollständig erhalten blieb, wahrscheinlich nicht. Im Gegenteil: „Dunkle bis schwarze Haut“ soll der den Westlichen Jägern und Sammlern zugehörige Mann laut den Wissenschaftlern des University College London (UCL) gehabt haben. Die Veröffentlichung der Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Dokument steht allerdings noch aus, doch die Büste ist schon fertig.

Anhand der Gene und der Struktur des Schädels modellierten die niederländischen Gebrüder Alfons und Adrie Kennis jene Figur. „Es ist wirklich schön, einen anmutigeren Mann zu machen und nicht so einen ‘Neandertaler’ mit buschigen Augenbrauen“, frohlockte Alfons Kennis über seine neue Version des ersten „Briten“. Das ältere Modell hatte noch braune Augen und hellere Haut.

Farbe der Haut ist genetisch schwer zu bestimmen

Den Genetikern um Mark Thomas und Yoan Diekmann sei es gelungen die etwa 9.000 Jahre alte DNS zu synthetisieren, woraus man auch schließen könne, daß der Mann schwarzgelocktes Haar hatte und laktoseintolerant war, berichtet die UCL auf der eigenen Netzpräsenz. Weltweit verlieren drei von vier Menschen beginnend ab dem Alter von zwei Jahren die Fähigkeit, Milch zu verdauen. Im Großbritannien heutiger Tage sind es dagegen, wie auch in Deutschland, nur etwas weniger als 15 Prozent der Einwohner.

Die Darstellung des in einem Alter von etwa 23 Jahren gestorbenen „Cheddar Man“ ist aber bislang eher spekulativ. Denn wie der Ton der Haut ist auch die Laktoseunverträglichkeit von mehreren Genen bedingt. Von der ursprünglichen Milchunverträglichkeit, wie sie in vor mehr als 300 Generationen lebenden Individuen auch in anderen mittelsteinzeitlichen Funden nachgewiesen wurde, gibt es bisher fünf belegte Mutationen (Anke Liebert 2017), die die bei allen Kindern gegebene Milchverdauungsfähigkeit ins Erwachsenenalter hinein verlängern. Diese verschiedenen Gene können das gleiche bewirken, aber auch epigenetisch moduliert werden. Dabei wird nicht die codierende Sequenz der DNS verändert, sondern nur die Ablesung verhindert oder zumindest weniger wahrscheinlich, was wiederum die Stärke der Ausprägung des Merkmals verändert.

Die technischen Möglichkeiten zur Bestimmung des sogenannten Epigenoms existieren zwar, ob diese beim „Cheddar Man“ Anwendung fand, ist noch fraglich.

Genetisch schwieriger zu bestimmen als etwa die Augenfarbe ist der Ton der Haut (Alicia R. Martin 2017). Nicht nur, daß fast jede Haut im Sommer etwas bräunt – während die Büste in der Sonne wohl eher ausbleicht –, auch genetisch und epigenetisch gleicht die Frage, wie vieles in der Evolution, einem „Spiel mit Wahrscheinlichkeiten“, wie der französische Philosoph und Paläontologe Teilhard de Chardin sagte. Welches also der wahrscheinlichste Hautton ist, bleibt vorerst ungewiß.

Gewiß ist aber, daß Individuen mit gleichen Vorfahren, wie sie der etwa 1,66 Meter große Mann hatte, auch in „Spanien, Ungarn und Luxemburg“ gefunden wurden, sagt der Brite Thomas. „Diese Gruppe der Westlichen Jäger und Sammler migrierte nach Europa am Ende der letzten Eiszeit“, führt der Spezialist für Evolutionsgenetik aus. Das war problemlos möglich, da bis zum Ende der Weichsel-Würm-Kaltzeit Britannien noch keine Insel, sondern mit dem Festland verbunden war.

Hellere Haut hängt eng mit Laktosetoleranz zusammen

Die europäische Variante der Laktosetoleranz kam hingegen erst mit einer späteren Einwanderungswelle aus dem Nahen Osten nach Britannien. Vor etwa 6.000 Jahren brachten jungsteinzeitliche Bauern mit hellerer Haut und braunen Augen Gene dieser Merkmale in die ansässigen Jäger-Sammler-Populationen der Inseln.

Erklären kann man den genetisch engen Zusammenhang zwischen heller Haut und der Laktosetoleranz in Eu­ropa (Lian Deng 2017) mit der bäuerlichen Ernährungsweise. Diese war deutlich einseitiger und könnte so zu einem Vitamin-D-Mangel geführt haben, dessen Ausgleich durch eine für UV-Strahlen durchlässigere Haut aber begünstigt wird.

Die DNS, auf der all diese Informationen 9.000 Jahre in einer Höhle im Süden Englands überdauerten, bargen die Forscher, indem sie ein Loch von zwei Millimeter Durchmesser in den Schädel bohrten. Der Knochenstaub wurde aufgefangen, und mit Hilfe einer komplizierten Methodik fand man darin außerordentlich gut erhaltene Fragmente, aus denen die Wissenschaftler durch die Überlappung der Enden wieder einen kompletten Strang herstellen konnten, um diesen ältesten Einwanderer Britanniens näher kennenzulernen.

Alfons Kennis indes kann nicht verstehen, daß sich Menschen über ihre Nationalität definieren. Das Beispiel des „Cheddar Man“ zeige seiner Meinung nach: „Wir sind alle Immigranten.“ Doch wenn man es genau nimmt stammen wir – über Affen, Säugetiere, Reptilien und Amphibien – auch vom Fisch ab. Deshalb nun zu behaupten, wir seien doch irgendwie alle Fische, ist somit zumindest in evolutionärer Perspektive genauso wahr. Und trotzdem können wir nicht unter Wasser atmen.