© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Der Salomon, der nicht urteilen will
Brasilien: In Scharen konvertieren die Katholiken hin zu evangelikalen Freikirchen
Lukas Noll

Endlich ist es soweit, darauf haben sie lange genug gewartet. Endlich spricht er, Edir Macedo, oder wie sie sagen: der Bispo, was wenig ehrfürchtig klingt gegenüber dem Mann, zu dem sie um so ehrfürchtiger emporblicken. „Ihr müßt Gott endlich zeigen, wie sehr ihr ihn liebt“, ruft der oberste Bischof der Freikirche laut. „Ihr müßt ihm endlich alles geben, euch und alles, was ihr habt!“ 

Weder Gewand noch Mitra trägt der alte Mann, auch hält er keinen Stab, wie man es von einem Bischof im katholischen Brasilien erwarten würde. Macedo sitzt im Wollpullover auf einem Sofa. Die rund 5.000 Gläubigen im Tempel, denen ihr Kirchenoberhaupt per Skype-Videochat zugeschaltet ist, stört es nicht. Gebannt lauschen sie jedem Wort des 72jährigen im fernen New York.

„Geben heißt danke sagen. Gott sei Dank“

Dabei sind zum sonntäglichen Abendkult gar nicht so viele in den Templo de Salomão gekommen, morgens waren es fast zehntausend Gläubige, doppelt so viele. So wirkt das wie ein riesiger Würfel wirkende Tempelinnere bestenfalls halbvoll. Dank Abdunkelung fällt das kaum auf, Tag und Nacht sollen keine Rolle spielen. Der erst 2014 fertiggestellte Riesentempel mitten in der Zona Leste, dem ärmeren Osten von São Paulo, ist darauf ausgerichtet, seine Besucher völlig in den Bann seiner Kulte zu ziehen.

 Statt Fenstern gibt es nur Dutzende kleiner Tore, die aber erst nach dem Gottesdienst geöffnet werden, um die Gläubigen wieder in die Großstadt zu entlassen. Vorausgesetzt, sie müssen nicht erst noch mit einem der luxuriösen Lifte nach unten. 

Das Gebäude ist nicht nur vollständig mit einem Parkhaus unterlegt, im Untergeschoß werden auch die Handys in Schließfächern verstaut. Ablenkung ist im Tempel unerwünscht, seine Gebote verlangen eine strikte Konzentration auf Gott – und auf den Bispo. Der erzählt von Dankbarkeit, vom Geben, von Nächstenliebe. „Jesus“ nimmt er nicht in den Mund, auch Kreuze sucht man im Tempel vergebens. Stattdessen hängen an allen Wänden riesige Chanukka-Leuchter, die mit wechselnden Farben angeleuchtet werden.

Zum Ende seiner Predigt ändert sich die Farbe des Lichts plötzlich schneller. Macedos Stimme wird lauter, entschlossener, fast, als ginge es darum, die Anhänger mit seinen letzten Sätzen noch einmal völlig vom Hocker zu reißen. Auf dem sitzt ohnehin keiner mehr, viele haben die Bankreihe verlassen und sind nach vorne geströmt, als würde jeder Dezibel zählen, um die Glaubenskulisse noch atmosphärischer wahrzunehmen. 

Als der Bispo seine Schäfchen verabschiedet, stehen diese bewegt vor dem Altar. Jetzt übernimmt wieder der Prediger, der den Sonntagskult eingeleitet hatte. Der Bispo hinterließ ihm ein bestelltes Feld. Einige reiben sich die Augen, um ihre Tränen zu verstecken. Fremde fallen sich in die Arme. Andere strahlen, als könnten sie ihr Glück kaum fassen. 

Jetzt ist der Moment gekommen, die Gunst der Stunde zu nutzen. „Geben heißt danke sagen. Gott sei Dank!“ ruft der Prediger in die Menge. Geben sollen die Gläubigen ihre Ersparnisse – und zwar der Igreja Universal do Reino de Deus. Nicht erzwungen, wie es viele Medien der neupfingstlichen Kirche nachsagen, sondern freiwillig. Zehn Prozent des Monatsgehalts werden aber empfohlen. Kein Klingelbeutel wandert durch die Bänke, wer spenden will, läuft einfach nach vorne. Dort warten die Kirchendiener mit einer großen Tasche, in die reihenweise 100 Reais-Scheine flattern, umgerechnet 33 Euro, eine ohnehin beträchtliche Summe, aber auch größere Scheine. Für besonders Dankbare gibt es mobile Kreditkartenleser.

Die Kirche dankt zurück: Das Vermögen von Gründer Macedo wird auf bis zu 1,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der reichste Kirchenmann des Landes besitzt neben dem Fernsehsender Rede Record mehrere Radiosender, Zeitungen und den Partido Republicano Brasileiro als politischen Arm, der zwischen 2006 und 2016 die Linksregierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff unterstützte und bereits den Vizepräsidenten stellte.

Zahl der Katholiken in São Paulo hat sich halbiert

Aus der 1977 gegründeten und rasch als Sekte verrufenen Gemeinschaft hat Macedo ein Weltunternehmen mit sechs Millionen Mitgliedern gemacht – 1,8 davon allein im kitschverliebten Brasilien mit seinem Hang zum Schrillen. In Scharen konvertieren die Brasilianer zur Zeit von der Katholischen Kirche hin zu den evangelikalen Freikirchen. 

In der Umgebung von São Paulo hat sich der Katholikenanteil in den vergangenen 50 Jahren mehr als halbiert, wie kürzlich eine Studie der Diözese Santo André ergab. Fast stündlich gründen sich dabei neue Freikirchen und Sekten: allein zwischen 2010 und 2017 registrierte die brasilianische Steuerbehörde laut der Zeitung O Globo rund 68.000 neue Kirchen. Nicht immer bleibt deren Engagement auf der geistlichen Ebene – wobei die Igreja Universal  besonders zweifelhafte Prominenz genießt. Ihre Vermengung zwischen Kirche und unternehmerischen Absichten ist immer wieder Gegenstand von Ermittlungen: Bereits 1992 saß der Bispo wegen Betruges, „Scharlatanismus“ und der Durchführung angeblicher Wunderheilungen hinter Gittern, 2010 wurde der Kirche vorgeworfen, über 1,5 Milliarden Dollar Spendengelder veruntreut zu haben. Auch deshalb verbringt das Kirchenoberhaupt seine Zeit vorwiegend in den USA – aus dem Heimatland vieler der reichen evangelikalen Finanziers der Kirche herrscht es sich entspannter.

Miguel Peres Lacerda vermag all das aus der Welt zu lächeln, so strahlend sitzt der 30jährige in seinem Büro des Tempels. Bereits vor zwei Jahren ist er zum Bischof geweiht geworden und hat in der Igreja Universal eine steile Karriere hingelegt. „Man erzählt vieles über uns. Viele Lügen!“, sagt er mit unveränderter Mimik. „Sie erzählen von Eintrittsgeldern und geheimen Gehirnwäschen, weshalb das Handy draußenbleiben müßte.“ 

Er lacht verächtlich auf. „Würden wir unsere Kulte denn im Fernsehen übertragen, wenn wir etwas zu verbergen hätten? Würden so viele Arme zu uns kommen, wenn wir Eintritt verlangen würden?“ Bedächtig rückt er die Kippa zurecht. 

Als sei ihm die jüdische Kopfbedeckung gerade selbst aufgefallen, erklärt er: „Ich bin ein großer Freund Israels. Und ich glaube, daß wir alle Teil des gleichen Stamms sind.“ Oft reise er mit seiner Frau ins Heilige Land, um geistige Inspiration zu sammeln. Starre Riten wie im Judentum müsse man aber nicht befolgen: „Wir wollen, daß der Mensch frei ist, zum Herrn zu kommen, ohne Vorschrift und Urteile.“ Wir verbieten den Leuten nicht, zu sündigen, zu verhüten. Wir sagen nicht: „Treib nicht ab!“, lächelt er und scheint sich einen Moment im Gefühl von Liberalität zu sonnen. „Wir möchten den Leuten einfach ein bißchen Kraft für den Alltag mitgeben.“