© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

„Überzeugt, wie ich es bin“
Chaostage bei der SPD: Martin Schulz wirft hin, Andrea Nahles will übernehmen, Sigmar Gabriel möchte bleiben – und die Basis muß erst zustimmen
Paul Leonhard

Andrea Nahles soll den Vorsitz der SPD übernehmen, und prompt kommt aus den eigenen Reihen soviel Lob für ihren Vorgänger wie selten:  Es zeuge von der „höchsten politischen Tugend, nämlich persönliche Interessen hinter denen des Landes zurückzustellen“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Mit seinem Verzicht auf das Amt des Außenministers sei der Mann „seiner Verantwortung gerecht geworden“, findet Sachsens SPD-Chef Martin Dulig. Und für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach steht der da Gelobte für „das Gelingen einer guten Regierung vor Amt und Person“.

Die Rede ist tatsächlich von Martin Schulz, jenem abgelösten Kurzzeit-Parteichef der Sozialdemokraten, der wie kein anderer vor ihm die SPD in ein Chaos geführt und der gesamten interessierten Öffentlichkeit vorgeführt hat, wie wenig Respekt man vor europäischer, deutscher und speziell sozialdemokratischer Politik und ihren Vertretern haben muß. Und dessen Rückzug von allen Ämtern, so jedenfalls SPD-Vize Ralf Stegner, nicht abgesprochen war: „Wir waren überrascht über die Entscheidung von Martin Schulz.“ Kurz zuvor hatten die Genossen noch getönt, daß Schulz mit seiner Erfahrung als früherer Präsident des Europäischen Parlaments wie kein anderer als Außenminister geeignet sei.

Daß es denjenigen, die öffentlich vorgeben, alles hinter das Interesse des Landes zu stellen, in Wahrheit nur um Macht und Posten geht, machte zuvor der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel deutlich, als er vergangene Woche nach Bekanntwerden von Schulz’ Ambitionen auf seinen, Gabriels Job diesem „Wortbruch“ vorwarf. Gabriel jammerte nun, wo es um seine eigene Karriere geht, darüber „wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“, da er doch „das Amt des Außenministers gern und in den Augen der Bevölkerung offenbar auch ganz gut und erfolgreich gemacht“ habe.

Wenn Schulz aktuell versichert, daß es für ihn „von höchster Bedeutung“ sei, daß die Genossen beim Mitgliedervotum für den von SPD und Unionsparteien ausgehandelten Koalitionsvertrag  stimmen, „weil sie von dessen Inhalten genauso überzeugt sind, wie ich es bin“, grummelt nicht nur Mike Groschek, Vorsitzender des mächtigen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, über die „Diskussionen um die Glaubwürdigkeit“. Was ist es wert, wenn der bisherige Parteichef betont, seine „persönlichen Ambitionen hinter den Interessen der Partei“ zurückzustellen, den „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“ erklärt, um „damit die Personaldebatten innerhalb der SPD“ zu beenden, um damit die nächste loszutreten.

Sollte das tatsächlich das letzte Wort von Schulz gewesen sein, sollte die SPD tatsächlich zur Ruhe kommen? Nicht nur Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat da ihre Zweifel: „Es wäre besser gewesen, Schulz hätte diese richtige Entscheidung souverän selbst getroffen und nicht erst unter Druck.“ Schulz als „tragische Figur“ beschreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung: „Aus dem Mann, der als Verkörperung der Glaubwürdigkeit galt, wurde die Verkörperung der Unglaubwürdigkeit. Aus einem Politiker, der weiß, was er will, wurde einer, der nicht mehr wußte, wo hinten und vorne ist. Die Partei weiß es auch nicht mehr.“ Es wird jetzt die Bewährungsprobe für die bisherige Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sein, auch die Partei neu zu ordnen. Sie muß nicht nur den mehr als 460.000 Genossen erklären, wieso Parteivorsitzende nicht mehr demokratisch gewählt, sondern vom Parteipräsidium eingesetzt werden sollen, und sie zudem so motivieren, daß sie ab dem 20. Februar mehrheitlich der Neuauflage der Großen Koalition mit der Union zustimmen.

Und so kam es am Dienstag noch zu einer Überraschung, die so gar nicht in Nahles Sinne sein konnte. „Ich kann das Gefühl der Ohnmacht vieler Mitglieder gegenüber denen, die in Berlin Entscheidungen treffen, ohne die Basis einzubeziehen, sehr gut nachvollziehen“, schrieb Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) in einem Brief an den Bundesvorstand. Um im selben Atemzug anzukündigen, sie werde gegen Nahles für den Vorsitz kandidieren.