© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Einmal Prinz* zu sein
Gender & Co.: Berlin macht sich für sexuelle Vielfalt in Kindertagesstätten stark
Christian Vollradt

Beim Thema Kindertagesstätten besteht Handlungsbedarf in der deutschen Hauptstadt. Es fehlen Plätze in den Einrichtungen, vor allem in den innerstädtischen Ballungsräumen. Und es fehlt qualifiziertes Personal, um die kleinen Kinder zu betreuen. Schon klagen Eltern ihren Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ein, mehrere Eilverfahren sind beim Verwaltungsgericht anhängig. 

Doch die zuständige Senatsverwaltung hat ein drängenderes Problem entdeckt, das es zu beheben gilt: die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ – auch bereits in der frühkindlichen Erziehung. Zu diesem Zweck hat Berlin nun eine „Handreichung“ speziell für „Pädagog_innen im Feld der frühen Bildung“ mit einem öffentlichen Druckkostenzuschuß von 7.500 Euro herausgegeben. Titel: „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“. Man wolle damit, so heißt es im Vorwort, „sensibilisieren und aufklären“, wie „inklusives pädagogisches Handeln im Umgang mit Geschlechtervielfalt und Familienvielfalt“ gelingt. Dafür werden die „Leser*innen“ zunächst über die (begrifflichen) Grundlagen – Heteronormativität, genderbewußte Pädagogik, über das biologische, das psychische und das soziale Geschlecht, über Cis-, Binär- oder Transgeschlechtlichkeit, über genderkonform und genderqueer – aufgeklärt. Danach folgen „Praxistips“ für die „Umsetzung und Verankerung inklusiven Handelns“ sowie Empfehlungen für weiterführende Materialien, darunter der umstrittene „Medienkoffer“ (JF 27/11). 

Verfaßt wurde die 140seitige Broschüre vom Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg und der Bildungsinitiative Queerformat. Die maßgeblich beteiligten Autoren sind die Sozialpädagogen (und „Diversity-Trainer“) Stephanie Nordt und Thomas Kugler. Sie gehören zur Bildungseinrichtung „KomBi – Kommunikation und Bildung“, die Anfang der achtziger Jahre von Vertretern der Berlin-Kreuzberger Lesben- und Schwulenszene gegründet worden war und einst „KomBi – Kommunikation und Bildung vom anderen Ufer“ hieß. Dem wissenschaftlichen Beirat dieser Organisation gehört unter anderem Stefan Timmermanns an, Mitverfasser des von Elterninitiativen und Politikern kritisierten Lehrbuchs „Sexualpädagogik der Vielfalt“ ist (JF 26/16). 

„Wenn ich groß bin,      wächst mir ein Puller“

 In vielen Kitas, so behauptet ihre Broschüre, „gibt es einen Murat, der gerne Prinzessin spielt, eine Alex, die bei lesbischen, schwulen oder transgeschlechtlichen Eltern zu Hause ist, oder einen Ben, der nicht länger Sophie heißen möchte.“ Im pädagogischen Alltag sei es daher „sinnvoll, die Spiel- und Beschäftigungsangebote und das Spielverhalten der Kinder auf Geschlechtsrollenkonformität hin zu reflektieren.“ Dies könne einen Anlaß bieten, „geschlechtsvariante Verhaltensweisen von Kindern“ so zu thematisieren, „daß sie als Teil einer großen Vielfalt betrachtet werden.“ 

Als weiteren Service bietet die Handreichung des Senats eine Checkliste: „Wie vielfältig ist ihre Einrichtung?“ Die Prüfsteine lauten unter anderem: „Unseren Kindern, Eltern und Kolleg_innen ist bekannt, daß sie ihre Geschlechts-identität oder sexuelle Orientierung in unserer Einrichtung thematisieren können.“ Den Kinder „können Bücher und Spiele mit vielfältigen lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Hauptfiguren und Inhalten in unserer Einrichtung finden, die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt auf positive Art abbilden.“ Man befürworte, „wenn Kolleg_innen individuelle Kleidungsstile, Frisuren, Körpersprache, etc. wählen, auch wenn diese nicht den gängigen Geschlechtervorstellungen entsprechen.“ Und auch: „Wir wollen die Bedarfe von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Kolleg_innen in unserem Arbeitsalltag unterstützen.“ Wer dabei nur eine niedrige Zustimmungsrate aufweist, sollte in Sachen „Schutz vor Diskriminierungen“ nachbessern.  

Prinzessin Murat bleibt indes keineswegs auf Berlin beschränkt. So bietet die niedersächsische Kinderschutz-Akademie am 28. Februar ein Seminar unter demselben Titel wie die Broschüre an. Wobei der Untertitel („Sexuelle Vielfalt – schon ein Thema in der Kita?!“) immerhin noch mit einem Fragezeichen versehen wurde.

Wie sich ein „transgeschlechtliches Selbsterleben“ bei Kindergartenkindern nach Meinung der Autoren äußern könnte, behaupten sie in folgendem Beispielsatz: „Ich bin ein Junge/ will ein Junge sein, auch wenn andere mich als Mädchen bezeichnen. Wenn ich groß bin, werde ich ein Mann/ wächst mir ein Puller ...“ Sollte dies den derzeit wohl noch häufiger geäußerten Kinderwunsch „Wenn ich groß bin, werde ich Polizist / Feuerwehrmann“ eines Tages ablösen, so käme dies der Realität der Hauptstadt sicherlich entgegen. Denn dort gibt es nicht nur zu wenige Kita-Plätze, laut einer aktuellen Mitteilung der Senatsinnenverwaltung haben auch zahlreiche Polizeidienststellen mit Schimmel- und Rattenbefall zu kämpfen. „Allein die Kosten für die notwendigsten und dringlichsten Reparaturen belaufen sich bei Polizei und Feuerwehr auf 350 Millionen Euro.“ Da ist ein transgeschlechtlicher „Puller“ zukunftsträchtiger. Und billiger. 

 www.queerformat.de