© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Die Schattenseite von Merkels Energiewende
Neue Abhängigkeiten? Der gigantische Umfang des Ausbaus der „Erneuerbaren“ und die Rohstoffrage
Christoph Keller

Zu Silvester 2017 ging nicht nur durch die Umweltbewegten in Bayrisch-Schwaben und dem angrenzenden Württemberg ein Stoßseufzer der Erleichterung: Nach 34jähriger Laufzeit ging Block B des Kernkraftwerks Gundremmingen (KRB) vom Netz. Die endgültige Abschaltung von Block C des bis dahin leistungsstärksten deutschen Atomkraftwerks soll – zusammen mit den sechs anderen verbliebenen AKW, die heute noch in Betrieb sind – zum 31. Dezember 2021 erfolgen. Dann ist der Abschied vom deutschen Atomstrom vollzogen, so wie es das 2011 nach der Fukushima-Katastrophe geänderte Atomgesetz verlangt.

Deutsche Aufrüstung auf bald 60.000 Windanlagen?

Windparks, Solaranlagen und Mais­felder, deren Ertrag in Biogasanlagen „verstromt“ wird, sollen nun AKWs und mittelfristig auch Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke ersetzen. Die Sonne schickt keine Rechnung, und der kostenlose Wind weht ja immer irgendwo. Und selbst wenn die Pessimisten recht behalten und schon ab 2019 die inländischen Kraftwerke in Extremsituationen die Stromversorgung nicht mehr allein garantieren können – Atomstrom aus Frankreich und Belgien oder Kohlestrom aus Polen und der Tschechei werden einen Blackout sicher verhindern können.

Angela Merkels „Energiewende“ ist aber keineswegs ein Perpetuum mobile. Die ungelösten Probleme der Atommüll­entsorgung harren weiter einer Lösung. Und der Marsch ins postfossile Zeitalter ist mehr als steinig. Kraß offenbaren sich inzwischen Geburtsfehler und Widersprüche der Energiewende im Alltag der Bürger. Das reicht von der Verdoppelung der Stromrechnung innerhalb eines Jahrzehnts bis zur Verschandelung des Wohnumfelds, vom Windturbinen-Massaker an Millionen von Vögeln und Fledermäusen bis zur Zerstörung des Landschaftsbildes, hauptsächlich durch Windräder. Die wiederum weitaus brutalere Züge annimmt, wenn zu den 27.000 vorhandenen Anlagen auf einer Fläche, in die das Saarland zwei Mal hineinpaßt, 31.000 weitere Rotoren hinzukommen, um ab 2022 den Ausfall der abgeschalteten AKWs zu kompensieren. Was freilich optimal nur gelingen dürfte, wenn der Wind bundesweit permanent weht und, was genauso unwahrscheinlich ist, bis dahin industrielle Stromspeicher zur Verfügung stünden.

Die drohende Aufrüstung auf bald 60.000 Windmühlen konfrontiert die Lobredner der „Erneuerbaren Energie“ mit einem weiteren Versäumnis ihrer Risikofolgenabschätzung: den steigenden Bedarf an Rohstoffen. Eine Frage, die „bisher wenig beleuchtet“ worden sei, wie Friedrich-Wilhelm Wellmer, ehemaliger Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), mit dem Unterton des Erstaunens feststellt (Gaia, 3/17).

In einer zusammen mit dem Freiberger Professor für Lagerstättenlehre Jens Gutzmer und anderen Wissenschaftlern verfaßten Untersuchung über Energiewende und Rohstoffsicherheit verweist Wellmer darauf, daß bis 2030 allein für die Herstellung von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen der globale Bedarf an Gallium, Indium, Tellur, Selen und einigen Seltenen Erden-Elementen bis zum Dreifachen der Produktion von 2010 betragen werde.

Die um der „Klimaziele“ willen in „gigantischem Umfang“ zu errichtenden Anlagen sind zudem alles andere als klimaschonend. Denn der spezifische Materialbedarf pro erzeugter Energieeinheit liegt für Anlagen der „Erneuerbaren“ höher als für konventionelle Kraftwerke. Um die Ressourceneffizienz zu verbessern, könne man es zwar mit Materialsubstitution oder dem Ersatz kritischer Metalle und Mineralien durch andere versuchen, woran deutsche Materialwissenschaftler auch seit einiger Zeit arbeiten (JF 5/18).

Aber die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Elemente setzen der Substitution in vielen Fällen enge Grenzen. Auch Recycling helfe nur bedingt. Bei steigendem Rohstoffbedarf würde die in Altprodukten enthaltene Menge selbst im theoretischen Fall vollständiger Wiedergewinnung nicht ausreichen. Also entscheide in erster Linie die Verfügbarkeit von Primärrohstoffen über das Gelingen der Energiewende.

Ein globales Rohstoffrecht bleibt nur eine Utopie

Das nächste Problem, schon im traditionellen außenwirtschaftlich-handelspolitischen Kontext, ergibt sich dann aus dem Umstand, daß viele Staaten kritische Metalle nachfragen und nur wenige sie anbieten. Wellmer erinnert dabei an jene Kalamitäten, die 2010 aus Chinas umweltpolitisch motivierter, tatsächlich aber „rohstoffnationalistischer“ Entscheidung entstanden, die Ausfuhrquoten für Seltene Erden um mehr als 40 Prozent zu senken. Versuche der USA und der EU, Chinas Autarkiepolitik, die einen für strategisch wichtig eingestuften Rohstoff protektionistisch verknappte, durch Klagen vor der WTO zu durchkreuzen, sind gescheitert.

Angesichts solcher internationaler Machtkonstellationen können jüngste Tendenzen, die Rohstoffdebatte stärker ökologisch auszurichten, gerade die ohnehin komplizierte deutsche Lage in der Ressourcenfrage nur verschlechtern. Wellmer richtet sich hier gegen einen Vorstoß von Wissenschaftlern des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (Gaia, 2/17), dem zufolge „ethische Fragen“ bei der Rohstoffgewinnung eine ähnlich wichtige Rolle spielen sollten wie bei der Nano- und Biotechnologie oder beim Geoengineering. Wohin dies führt, beleuchtet Wellmer, ohne wertende Akzente, an einem aktuellen Beispiel aus Australien. Dort begutachten Anthropologen gemeinsam mit dem für Landrechte zuständigen Vertretungsorgan der Aborigines, inwiefern deren heilige Stätten von Bergbauprojekten betroffen sein können.

Wie bei der „Verspargelung“ der Landschaft, wo heute der Konflikt zwischen Natur- und Klimaschützern offen ausgebrochen ist (JF 52/16), provoziert die Energiewende also auch in der Rohstoffrage durch keine „Gerechtigkeitstheorie“ aufzulösende Aporien. Denn neben dem hohen geologischen Risiko, das immer noch bei eins zu 16 liege, wenn Probebohrungen auf interessante Vererzungen stoßen, hätten Bergbaukonzerne ein schwer kalkulierbares politisches Risiko zu tragen, falls ihrem Projekt die „gesellschaftliche Legitimation“ versagt bliebe. Damit konterkariere die „ethische“ Pflicht, bei der Rohstoffgewinnung ökologische, soziale und menschenrechtliche Aspekte zu beachten, das „ethisch“ gleichwertige Ziel einer zeitigen „klimaverträglichen Energieversorgung“, für die metallische Rohstoffe nun einmal eine „unverzichtbare Grundlage“ darstellen.

Da es der Staatengemeinschaft bislang nicht gelungen sei, globale Umweltstandards bei der Rohstoffgewinnung zu etablieren, und, wie Chinas Autarkiepolitik zeige, das dem ethischen Universalismus entsprechende globale Rohstoffrecht eine Utopie bleibt, habe die Bundesregierung das einzig pragmatische Mittel gewählt, um drohende Engpässe zu umgehen: bilaterale Rohstoffpartnerschaften. Nur in deren bescheidenen Rahmen ließen sich auch sozial- und umweltverträgliche Bergbaupraktiken durchsetzen.

Verein und Zeitschrift Gaia – Ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft: www.oekom.de/