© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Der Weg zur Wahrheit
Altersfeststellung: Ein hoher Anteil angeblich minderjähriger Flüchtlinge gibt falsche Geburtsdaten an / Röntgen nur zur Gesundheitsvorsorge
Peter Möller

Hamburg macht kurzen Prozeß: Wenn die Innenbehörde der Hansestadt Zweifel am Alter eines angeblich minderjährigen Flüchtlings ohne Ausweispapiere hat, wird eine medizinische Untersuchung veranlaßt, um das tatsächliche Alter festzustellen – sofern der Betroffene zustimmt. Wenn er die Untersuchung verweigert, gehen die Hanseaten ganz pragmatisch vor: „Dann gilt er für uns als volljährig“, sagt Behördensprecher Marcel Schweitzer der Hamburger Morgenpost.

Wer dagegen kooperiert, landet im Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). An bis zu zwei Tagen in der Woche werden dort die Zweifelsfälle untersucht. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 96 Fälle. Um das Alter festzustellen, werden zumeist der Kiefer oder die Fingerknochen geröntgt. „Das sind normale medizinische Untersuchungen, ohne daß dadurch bei uns irgendeine Aufregung entsteht“, sagte der Leiter des Instituts, Klaus Püschel, der Morgenpost. Er verstehe daher nicht, warum Behörden nicht häufiger Angaben überprüften, die falsch sein könnten. Die Zahlen geben Püschel recht: In den vergangenen zwölf Monaten stellte sich in der Hälfte der untersuchten Fälle heraus, daß die angeblich minderjährigen Flüchtlinge bereits volljährig waren. In der Vergangenheit seien die Zahlen sogar noch deutlich höher gewesen. Zeitweise seien ungefähr drei Viertel der untersuchten Personen viel älter gewesen, als sie behaupteten. „Es kann also sein, daß unsere Untersuchungen zumindest in Hamburg zu Klärung und Wahrheit beigetragen haben“, versucht Püschel den Rückgang zu erklären.

Untersuchung nur  auf freiwilliger Basis 

Noch einfacher wäre es für die Behörden, wenn bei Zweifeln am Alter eine medizinische Untersuchung verpflichtend wäre. Daß dies rechtlich durchaus möglich ist, zeigt der Paragraph 62 des Asylgesetzes. Demnach sind Ausländer, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen müssen, verpflichtet, „eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden“. Vor diesem Hintergrund fragte der nordrhein-westfälische AfD-Abgeordnete Harald Weyel bei der Bundesregierung nach, warum bei dieser Gelegenheit bei Flüchtlingen mit ungewissem Alter nicht gleichzeitig die Handwurzel zur Altersbestimmung geröntgt werde.

Die Antwort des zuständigen parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), fiel so bürokratisch wie unbefriedigend aus: Er verwies auf die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, denn die Frage der Altersfeststellung wird nicht vom Asylgesetz, sondern vom Sozialgesetzbuch geregelt. Dort sieht der einschlägige Paragraph 42f zwar eine medizinische Untersuchung zur Altersfeststellung vor, doch anders als bei der Vorschrift im Asylgesetz gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Untersuchung des Flüchtlings darf nur mit seiner Einwilligung erfolgen.

Der Widerstand von seiten der Asyllobby, Ärzteverbänden sowie den Grünen, der Linkspartei und Teilen der SPD sorgt dafür, daß sich hieran bislang nichts geändert hat. Aber mittlerweile hat das Thema die Parlamente erreicht. Im Januar debattierte der Bundestag über einen Antrag der AfD-Fraktion, der für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bei Zweifeln am tatsächlichen Alter eine verpflichtende Altersfeststellung vorsieht. Unterstützung erhält die Bundestagsfraktion der AfD, deren Antrag in die Ausschüsse verwiesen wurde, von mehreren Landtagsfraktionen. So war die Altersfeststellung Ende Januar Thema im Landtag von Rheinland-Pfalz. Die AfD-Fraktion hatte nach dem Mord von Kandel einen entsprechenden Antrag eingebracht. Doch auch die Unterhändler von CDU/CSU und SPD haben das Thema bei ihrem Ringen um eine Neuauflage der Großen Koalition aufgegriffen. Bereits in ihren Sondierungsgesprächen hatten sich Union und SPD auf eine „umfassende Identitätsfeststellung“ für Asylbewerber in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen geeinigt, die auch das Alter umfassen soll. „Dies gilt auch für unbegleitete Minderjährige, bevor deren Inobhutnahme durch die Jugendämter erfolgt“, hieß es dazu ausdrücklich in dem Sonderungspapier, das die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen bildete.

Als Vorbild dient nach Angaben der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU), das Saarland. Dort werden seit 2016 alle einreisenden Jugendlichen erst dann durch die Kinder- und Jugendhilfe betreut, wenn nach einem ausführlichen Prüfverfahren feststeht, daß sie tatsächlich minderjährig sind. Dabei wird die medizinische Altersfeststellung nicht optional, sondern in Zweifelsfällen unbedingt angewandt. „Auf diese Weise wurden von Februar 2016 bis November 2017 bei 701 Untersuchungen 243 unbegleitete minderjährige Ausländer als volljährig erkannt“, berichtete Schön. 

Ähnliche Zahlen werden aus anderen Bundesländern gemeldet. So erwies sich in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr bei 25 Prozent der jungen Flüchtlinge das von ihnen selbst angegebene Alter als falsch, berichtete Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) im Landtag. In 16 Prozent der Fälle seien die Menschen entgegen der eigenen Angabe als volljährig eingestuft worden. Kurios: In neun Prozent der Fälle habe sich herausgestellt, daß die minderjährigen Flüchtlinge noch jünger waren als angenommen.