© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Pankraz,
S. Brownmiller und die Rede der Diotima

Fund mit Seltenheitswert: der Essay von Leslie Jamison im Magazin  der New York Times. „Weiblicher Zorn“ heißt ihr Beitrag, und sie schildert faktenträchtig und in nüchternstem Tonfall, daß die Entfaltung weiblicher Wut die Frauen nicht glaubhafter und auch nicht schöner macht, sondern sie schlimmstenfalls in eine Art Monster verwandelt, in keifende Megären, die am Ende in hysterisches Weinen ausbrechen, „so als würde ihr Körper“, so Jamison, „sie zu dem Gefühl zurückzwingen, mit dem sie in aller Regel assoziiert werden –Traurigkeit“.

Pankraz wurde bei der Lektüre an eine Affäre erinnert, die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann, also auf dem Höhepunkt der sogenannten 68er Kulturrevolution – und die dann in den Achtzigern in einen wahren Tränenstrom einmündete, welcher damals viel Mitgefühl, aber auch höhnisches Gelächter auslöste. Protagonistin war Susan Brownmiller (heute 82)  eine – wie man so schön sagt – „Aktivistin der ersten Stunde“, die im Rückblick geradezu als Begründerin des aggressiven Feminismus gelten kann, auf jeden Fall das literarische Schlüsselwerk dazu verfaßte.

In Deutschland erschien das Opus 1978 im S. Fischer Verlag unter dem Titel „Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft“, und es liest sich heute, als sei es erst vor wenigen Wochen geschrieben worden, als brühwarmes verallgemeinerndes Donnerwort zu all den gegenwärtigen tagtäglichen Enthüllungen meist lange zurückliegender männlicher Handgreiflichkeiten. Sexuelle Übergriffe, so Brownmiller, hätten im Grunde nichts mit Sexualität zu tun, sie seien „nackte Gewalt“, bloße  Instrumente der Machtausübung über Frauen,  und diese müßten sich endlich dagegen wehren.


Jahre vergingen, und 1984 erschien, diesmal zeitgleich in den USA und in der Bundesrepublik, hierzulande wiederum bei S. Fischer, ein neues Buch von Susan Brownmiller, diesmal mit dem knappen Titel „Weiblichkeit“ – und leidenschaftliche Brownmiller-Leser waren verwirrt, ja geradezu verstört. Nicht die geringste Aggressivität mehr gegen das „männliche Prinzip“, vielmehr fragte jetzt Susan, ängstlich zwitschernd: „Warum werden immer mehr Männer in Amerika homosexuell?“ Und sie hatte auch gleich die Antwort parat: „Weil wir Frauen nicht mehr appetitlich genug sind!“

Jahrzehnte lang, so führte sie aus, „haben wir auf die Männer eingedroschen, haben sie beschimpft und sie immer nur mit unseren eigenen Sorgen behelligt – und heute nun blinzeln wir verdutzt aus unserer grauen, grobmaschigen Gesundheitsunterwäsche, denn die Männer sind einfach nicht mehr da. Und wir Frauen, alleingelassen, müssen realisieren, daß uns im Kampf ums Dasein auch noch die weichen, schwulen oder auf Unisex versessenen Männer weit überlegen sind. Sie halten die Einsamkeit und die Gesellschaft unter ihresgleichen viel besser aus als wir armen Frauen. Wir sind wieder einmal die Gelackmeierten.“

Als Gegenmittel empfahl Brownmiller damals eine geballte Offensive neuer Weiblichkeit. Körper, Haar, Stimme, Bewegung, Kleidung, Blick und Gestik – alles müsse wieder typisch weiblich werden, nämlich fein, rosig, mit einem Wort: verführerisch. „Die Frauen müssen wieder lernen, sich kätzchengleich in die Sofaecke zu schmiegen, der Familie ein gemütliches Nest zu bauen, den Beschützerinstinkt im Manne zu wecken. Sie müssen wieder mehr ihre typisch weibliche Psychologie zur Geltung bringen, die Kunst der Stärke durch Schwäche, den leichten Druck auf die Tränendrüse als Mittel der Überredung.“

Stärke durch Schwäche, Tränen statt megärenhaftes Kreischen – die eingangs erwähnte Leslie Jamison scheint das in ihrem Essay für eine Art „Quid pro quo“ zu halten, so als sollte im Kampf der Geschlechter auf Frauenseite als Erfolgsgarant die Schönheit an die Stelle der Weisheit treten. Brownmiller war in ihrem Buch „Weiblichkeit“ entschieden anderer Meinung, hielt Schönheit und Weisheit für tief miteinander verwandt, und sie hatte, findet Pankraz, damit recht. Zur Stützung seiner Behauptung möchte er auf keinen Geringeren als Sokrates und seine Diotima-Erzählung in Platons „Symposion“ verweisen.


Sokrates, Inbegriff des Weisheitslehrers weit über die antike Kultur hinaus, war mit Xantippe verheiratet, einer unentwegt  kreischenden Megäre, die alles besser wußte und ihm das Leben zu Hause schwermachte; man bräuchte sich nicht zu wundern, wenn sich bei ihm daraus eine gewisse Frauenfeindlichkeit entwickelt hätte. Als er aber im „Symposion“ nach dem Wesen der Liebe, des „Eros“,  befragt wurde, wich er einer direkten Antwort aus und erzählte stattdessen von einem Besuch bei der hochberühmten Seherin Diotima, die er selbst einmal nach dem Eros befragt habe und deren  Antwort  er hier so gut wie möglich wiedergeben wolle. 

Diese von Sokrates überlieferte Rede der Diotima, einer ebenso schönen wie klugen Frau aus  Mantinera in Arkadien, ist in die Geistesgeschichte eingegangen und strahlt bis heute noch. Der Eros, verkündet Diotima, Urheber allen Begehrens nach vollkommener Zweisamkeit und körperlicher wie geistiger Vereinigung, ist weder gut und schön noch schlecht und häßlich, er ist kein Gott, sondern ein „Dämon“. Er kann den Menschen „nur“ helfen, zueinander zu finden und sich wirklich kennenzulernen. Ob sie mit ihm glücklich werden, darüber entscheiden die Götter und – nicht zuletzt – die Menschen selbst.

Von Geschlechterkämpfen ist bei Diotima nicht die Rede; sie stehen quer zu jeglicher Erotik, bei der es im Gegenteil darauf ankommt, sich möglichst schön und klug zu machen, um beim Partner gut anzukommen. Sokrates stimmt Diotimas Ausführungen im „Symposion“, wie zu erwarten, vollinhaltlich zu, ergänzt sie freilich durch den Satz, daß die Liebe auch für den wissenschaftlichen Erkenntnisweg der beste Helfer des Menschen sei. Daher solle man sie – Xantippe hin oder her – immer in Ehren  halten,  sich auf ihrem Gebiet fleißig üben und sie aus der Politik heraushalten.