© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Auch weiterhin uneins
Syrien: Auch Erdogans Schlacht um Afrin kann die Zwistigkeiten unter den kurdischen Parteien nicht übertünchen
Marc Zoellner

Huang Lei zeigt sich siegesgewiß. Die Kalaschnikow locker in der rechten Hand, lehnt der 24jährige gut gelaunt vor einem Haus in der nordwestsyrischen Provinz Afrin, dessen Wände unzählige Einschußlöcher sowie Graffitis von Hammer und Sichel sowie den Initialen der YPG, der kurdischen Volksverteidigungseinheiten, zieren. Mit zwei Fingern das Victory-Zeichen formend, strahlt Lei in die Kamera – und verweist stolz auf seine Mission, die türkischen Panzer, die nur wenige Kilometer nordwestlich unentwegt auf die kleine kurdische Siedlung vorrücken, zu bekämpfen.

„Wir haben gegen den Islamischen Staat in Syrien gekämpft, als wir plötzlich hörten, daß die Türkei Afrin angreift und die Stadt bombardiert“, erzählt der ehemalige Student im Interview mit BBC. „Jetzt ist es unsere Pflicht, Afrin zu verteidigen.“ Als Chinese mit britischem Paß ist Lei einer von zwanzig Ausländern allein in seiner Kompanie, die sich freiwillig für die Streitkräfte der YPG beworben haben. 

Insgesamt, schätzt ein Sprecher der Demokratischen Kräfte Syriens, der Dachorganisation der kurdischen Milizen Nordsyriens, seien derzeit über 150 ausländische Freiwillige gemeldet, um Afrin zu verteidigen: aus Japan, China und Algerien, aber auch aus Frankreich, Großbritannien sowie Deutschland. Für die YPG ein willkommener Ersatz – denn seit Beginn der „Operation Olivenzweig“, des Einmarschs türkischer Truppen in die Provinz Afrin, vom 20. Januar, sieht die YPG sich diplomatisch isoliert. Bereits Anfang vergangener Woche stoppten die USA, bislang engster Verbündeter der YPG im Kampf gegen den IS, auf Anraten ihres nationalen Sicherheitsberaters Herbert Raymond McMaster die Waffenlieferungen an die Kurdenmiliz. Vergangenen Freitag verkündete Masud Barzani, ein gemeinsamer Waffengang gegen die Türkei käme für seine Truppen nicht in Frage.

„Einheiten der Peschmerga loszuschicken, würde die Angelegenheit nicht lösen“, erklärte der bis November 2017 amtierende Präsident der irakischen Autonomen Region Kurdistans. Daß Erbil  die Vermittlerrolle sucht, verdeutlichte auch die Patriotische Union Kurdistans (PUK). „Bevor wir Truppen einsetzen, werden wir eine Delegation nach Ankara zum Dialog entsenden“, bestätigte PUK-Sprecher Mala Bakhtiyar der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw. Nicht zuletzt aus eigener Handlungsunfähigkeit heraus, denn nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurdengebiete sehen sich auch die Peschmerga von den Streitkräften Bagdads zunehmend militärisch bedrängt (JF 41/17).

Mit zunehmender Intensität der Gefechte zwischen der türkischen Armee sowie den Milizen der YPG, welche Ankara beschuldigt, als syrischer bewaffneter Arm der Terrorgruppe PKK zu fungieren, warnen die Vereinten Nationen unterdessen vor einer weiteren humanitären Katastrophe in der Provinz Afrin. Über 323.000 Zivilisten seien durch die Kampfhandlungen gefährdet und allein 5.000 Bewohner der Grenzregion in den ersten Tagen ins Landesinnere geflohen. Der Provinz zu entfliehen, so die UN, gelinge allerdings nur den wenigsten. Denn die YPG habe systematisch die Grenzen gen Süden abgeriegelt.

 „Die Operation Olivenzweig wird fortgeführt, bis sie ihr Ziel erreicht hat“, stimmte der türkische Präsident Recep T. Erdogan sein Land auf einen längeren Konflikt ein. „Unsere Schlacht wird fortgeführt, bis an unserer Grenze mit Syrien kein einziger Terrorist mehr übrig ist.“