© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Das geistige Vakuum füllen
USA: Mit kulturellem und politischem Nationalismus versucht die intellektuelle Rechte eine Trump-Weltanschauung zu formen
Elliot Neaman

Im September 2016 veröffentlichte der derzeitige nationale Sicherheitsberater der Trump-Regierung Michael Anton unter dem Pseudonym Publius Decius Mus den Artikel „The Flight 93 Election“ auf der Netzseite des Claremont Review of Books. Er verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Netzseite gilt als die konservative Antwort auf die liberale New York Review of Books.

 Anton argumentierte: Ebenso wie am 11. September 2001 die Passagiere auf dem United-Airlines-Flug 93 das Cockpit stürmten, um das entführte Flugzeug, das als Geschoß benutzt werden sollte, zum Absturz zu bringen, hätten sich Konservative in Amerika hemmungslos auf Donald Trump einlassen müssen, um Amerika vor Hillary Clinton und der linksliberalen Vorherrschaft zu bewahren. Anderenfalls würde Amerika erschöpft zusammenbrechen.

Generationskampf  bei den Konservativen

Nun, ein Jahr nach dem Beginn der Präsidentschaft von Trump, hat sich die am California Claremont College ansässige Claremont Review of Books gemeinsam mit einer neuen Zeitschrift namens American Affairs zu den führenden Organen intellektueller Stimmen der Unterstützung für die Trump-Bewegung entwickelt.  Doch konservative Intellektuelle in Amerika sind zumeist noch nicht auf diesen fahrenden Zug aufgesprungen. 

Die „NeverTrumpers“ sträuben sich gegen den Immobilienmogul, der ihrer Meinung nach bei der Wahl einen Glückstreffer landete. Deren führende Köpfe sind Bill Kristol, Herausgeber des Weekly Standard. Dazu gesellen sich  Autoren und bekannte Intellektuelle, die sich wie ein Who’s Who des konservativen Establishment lesen: so der frühere Redenschreiber George W. Bushs  David Frum, New-York-Times-Kolumnist David Brooks, Pulitzer-Preisträger Bret Stephens, die konservativen Kolumnisten Erick Erikson und Charlie Sykes, der Außenpolitikanalyst Max Boot, Reagan-Intimus Charles Krauthammer, National-Review-Online-Chefredakteur Jonah Goldberg, der Chef der Nachrichtenseite The Daily Wire Ben Shapiro oder die Schriftsteller Michael Gerson und Peter Wehner – um nur einige zu nennen. 

Nach der jüngsten Niederlage von Richter Roy Moore gegenüber dem liberalen Demokraten Doug Jones bei der Senats-Nachwahl im zutiefst konservativen Alabama meinte Gerson in der Washington Post, daß die Republikaner in nächster Zeit anfangen müßten, Wahlen zu verlieren, um auf lange Sicht Trump zu schlagen. 

In derselben Ausgabe entgegnete der Herausgeber der Netzseite American Greatness, Chris Buskirk: „Die amerikanischen Konservativen sind mit einem Generationskampf beschäftigt.“ Er verwies die NeverTrumpers und die Republikaner des „beltway establishments“ (innerer Zirkel der Macht in Washington) um den Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, auf die Müllhalde der Geschichte. Auf der anderen Seite lobte er Trump für dessen kompromißlose Haltung in der Einwanderungsfrage, seine arbeiterfreundliche Politik sowie aufgrund seiner „umsichtigen“ (im Sinne einer anti-neokonservativen) Außenpolitik.

Die ursprünglichen Neokonservativen waren Liberale, die bekanntlich von der Realität überfallen wurden. Vielleicht kehren sie ja jetzt zum Liberalismus zurück, nachdem sie nun erneut von der Realität Trumps überfallen wurden. Die kulturellen Kampflinien sind gezogen.

Die Hauptursache für diese sich immer weiter verschärfenden Gegensätze ist der Zusammenbruch des politischen Parteiensystems, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern ebenso in Europa. Die gemäßigten etablierten bürgerlichen Parteien waren nach dem Zweiten Weltkrieg gut an ein relativ stabiles System eines industriellen Kapitalismus angepaßt. 

In dieser Ordnung konnten die verschiedenen Wählergruppen – kleine und große Unternehmen, Industriearbeiter, Bauern, Ruheständler etc. – wirtschaftlich gedeihen, ohne einen Interessenbereich zu sehr gegen einen anderen auszuspielen. Der Kuchen war groß genug, und es war kein Null-Summen-Spiel. 

Diese Umstände gelten immer weniger, was Thomas Friedman als das heutige „Zeitalter der Beschleunigung“ bezeichnete. Eine durch fast unmittelbare Kommunikation miteinander verknüpfte globale Wirtschaft und damit ein rapider Wandel hat die Institutionen geschwächt und sich auf Normen geeinigt, die bis vor kurzem von den Eliten im Westen einfach als selbstverständlich angesehen wurden. Donald Trump kam im Rahmen dieser Veränderungen an die Macht.

Schweres Terrain für Denkfabriken

Doch nicht nur die politischen Parteien, sondern auch die Denkfabriken, die den Parteien große Ideen zu liefern pflegten, durchlaufen eine Neuausrichtung. In den USA wurden Ideen-Werkstätten wie die Heritage Foundation und das American Enterprise Institute, die für Konservative von Reagan bis G.W. Bush innovative politische Lösungen lieferten, im wesentlichen kaltgestellt. 

Die Intellektuellen um die Claremont Review versuchen, das Vakuum auszufüllen und berufen sich auf hochgeistige Konzepte von relativ düsteren politischen Philosophen wie dem deutsch-jüdischen Exilanten Leo Strauss, der an der University of Chicago von 1949 bis 1969 lehrte und der zwei Generationen einflußreicher konservativer politischer Denker prägte. Strauss legte Wert auf eine Rückkehr zu antiker politischer Weisheit, besonders auf das Argument des Sokrates, dem zufolge grundlegende Fragen der menschlichen Existenz nicht von der Politik getrennt werden können. Und er wies Max Webers Unterscheidung zwischen Fakten und Werten zurück. Für Strauss waren die Fakten der Politik stets mit Werten behaftet. Auch wenn es eine jeweils eigene Ostküsten- und Westküsten-Strauss-Schule gibt – die Ostküstenversion ist neokonservativer, die Westküsten-Claremonters glauben, daß die Ideen von Strauss dabei helfen können, die Trump-Revolution mit einer Form des Nationalismus argumentativ zu untermauern, die bestimmte amerikanische Traditionen, biblische Quellen, den klassischen Republikanismus der Gründungsväter, die protestantische Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, die Isolationspolitik und den ökonomischen Protektionismus der 1920er sowie eine Idealvorstellung von Staatsbürgerschaft heranzieht, die eher eine kulturelle Schmelztiegelintegration als einen Mosaik-Multikulturalismus fordert. Vor allem versuchen die Claremonters, in der Vergangenheit nach Einflußquellen zu graben, insbesondere nach einigen Strömungen der gegenaufklärerischen politischen Romantik des 19. Jahrhunderts. Sie sind dabei aber nicht nur Theoretiker, die die Ereignisse aus der Ferne beobachten.

Andrew Breitbart war Absolvent von Claremont, und mittels Steve Bannon  haben dessen Stil und Ideen die aktuelle rechte Politik tief beeinflußt. Senator Tom Cotton ist ebenfalls ein Claremonter sowie ein junger aufstrebender Stern in der republikanischen Partei, der eines Tages ernsthaft für die Präsidentschaft kandidieren könnte. Man kann sich sicherlich fragen, ob diese Versuche, bestimmte Formen eines kulturellen und politischen Nationalismus zu einer stimmigen Trump-Weltanschauung zu gestalten, eher Wunschdenken als Antworten auf äußerst komplexe Probleme einer postindustriellen Gesellschaft sind. Doch die Tatsache, daß sie trotz des Establishmentkonservatismus unternommen werden, ist nur ein weiteres Indiz dafür, daß sich der Boden unter unseren Füßen stark verschiebt.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.