© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Nur noch ferne Anklänge an Plaste und Elaste
Erfolgreiche Materialforschungszentren in Mitteldeutschland / Fraunhofer-Institute gründen auf DDR-Tradition
Florian Schultz

Fast nahtlos, unterbrochen nur durch die Demontagen der russischen Besatzungsmacht, schloß in Mitteldeutschland die realsozialistische Mangelwirtschaft 1949 an die nationalsozialistische Kriegswirtschaft an. Aber Not macht erfinderisch. Wie nicht nur die Autoproduktion der rohstoffarmen DDR bewies, wo „Plaste und Elaste“ Stahl und Aluminium ersetzen mußten.

Die 1949 in München gegründete Fraunhofer-Gesellschaft, die größte Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa, kann im Rückblick auf ihr seit 1992 währendes Engagement bei solcher „Ersatzökonomie“ durchaus positive Seiten abgewinnen (Weiter vorn. Das Fraunhofer-Magazin, Sonderausgabe 2/17). Denn Hartplastik und weiche Kunststoffe standen für eine Industriepolitik, die notgedrungen verstärkt auf physikalisch-chemische Forschung setzen mußte.

Das dadurch generierte „Know-how“, so freuten sich die Fraunhofer, habe nach der Wende keineswegs an Bedeutung verloren. Ohne diese in der DDR gewachsenen Labor- und Fabrik-Strukturen wäre es nach der Wende in den letzten 25 Jahren kaum gelungen, die Regionen um Dresden, Halle und Potsdam zu führenden Materialforschungszentren Deutschlands auszubauen. Dabei glückte in Dresden der eleganteste Übergang, wo aus dem Zentralinstitut für Festkörperphysik und Werkstoffforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR zwei Fraunhofer-Einrichtungen für Materialwissenschaften entstanden, die erreicht haben, wovon SED-Funktionäre gern träumten: „Weltniveau“.

Industriekeramik und Technologie auf Weltniveau

Das heutige Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Sinterwerkstoffe (IKTS) sowie die zweite Ausgründung, das Institut für Fertigungstechnik (IFAM) arbeiten seit 1993 im Materialforschungsverbund Dresden mit zwanzig Instituten zusammen. Gemeinsam entwickelt man Technologie zur künftigen Energieversorgung: hochporöse metallische Werkstoffe und Materialien für Hochtemperaturanwendungen. Das IKTS knüpft dabei an die jahrhundertealte sächsische Tradition im Umgang mit dem Werkstoff Keramik an.

Ausgehend vom umfassenden Wissen über keramische Hochleistungswerkstoffe erstrecken sich die Arbeiten gegenwärtig über die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu Prototypenfertigung von Bauteilen und kompletten Systemen. Mit strategischen Großprojekten und Firmenkooperationen stieg das IKTS zu einem weltweit führenden Zentrum für keramische Brennstoffzellen im Hochtemperatursektor auf und ist mit seinen 576 Mitarbeitern jetzt das größte Keramik-Forschungsinstitut Europas.

Das auf Expansionskurs bleiben dürfte, denn die Anwendungsfelder für technische Keramiken weiten sich stetig aus, da sie über einzigartige Materialeigenschaften wie extreme Hochtemperaturbeständigkeit, Abrieb- und Verschleißfestigkeit, große Härte und gute Biokompatibilität verfügen. Das macht sie zu gefragten Werkstoffen im Maschinen-, Anlagen-, Flugzeug- und Fahrzeugbau sowie gerade in der Energie- und Umwelttechnik. Meilensteine hat das IKTS mit seinen Hochtemperatur-Brennstoffzellen, Batterie- und Membran-Technologien gesetzt. Ganz neu, verkünden die Dresdner Fraunhofer stolz, sei „die Entwicklung einer der kostengünstigsten Batterien der Welt“.

Aus dem DDR-Institut für Polymerenchemie in Teltow-Seehof gingen zwei Fraunhofer-Einrichtungen hervor, die für Anwendungen in vielen Branchen hochvernetzte Polymere entwickeln. Maßgeschneiderte Polymere machen etwa Flügel von Windturbinen leichter und langlebiger, trennen in Batterien von E-Mobilen die Ladeträger oder filtern als Membranen Giftstoffe aus dem Wasser. Das seit 2000 im Wissenschaftspark Potsdam-Golm angesiedelte Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) setzt derzeit einen neuen Schwerpunkt in der Erforschung natürlicher Polymere wie Zellulose und Stärke, da diese Biopolymere als nachwachsende Rohstoffe zunehmend an die Stelle ölbasierter Stoffe treten.

Weitere Arbeitsbereiche tun sich bei den chromogenen Polymeren für die Solar- und Oberflächentechnik auf. Und gemeinsam mit Augenärzten optimieren IAP-Wissenschaftler eine von ihnen konzipierte praxistaugliche Version einer künstlichen Augenhornhaut, die schon vielen Patienten das Augenlicht zurückgegeben hat. Das Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen (IMWS) in Halle ist auf die subtilste Weise mit dem DDR-Erbe verbunden. Dessen Projekt „Kritikalität Seltener Erden“ zielt darauf, die für die Herstellung von Permanentmagneten unentbehrlichen Metalle Neodym und Dyprosium „zu ersetzen“. Mit dieser Hightech-Version der einstigen Surrogate-Forschung glaubt man, „die mitteldeutsche Chemieregion weiter stärken zu können“.

Weiter vorn. Das Fraunhofer-Magazin: fraunhofer.de