© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Farbtupfer für den Führer
Biographie: Der Maler Ernst Vollbehr und sein Wirken von den Kolonien Afrikas über die Schützengräben 1914 bis zu Hitlers Parteitagen
Bruno Tauché

Unbemerkt vom großen Büchermarkt erschien im Mitteldeutschen Verlag (Halle/Saale) ein voluminöses, reich bebildertes Werk über das Leben eines heute fast unbekannten Malers. Der in Kiel als Sohn eines Kaufmanns geborene Ernst Vollbehr (1876–1960) war ein sehr schaffensreicher Maler, Schriftsteller und Künstler, der außer der Antarktis alle Kontinente ausgiebig bereist hat. 

In seinen Werken folgte er dem Grundsatz, die „Welt“ widerzuspiegeln und zwar so genau und wahrhaftig als möglich. Dabei versuchte er das Schöne zu erkennen und zu übermitteln. Durch das ständige Zeichnen und Malen im Freien hatte er sich eine ausgeprägte Wahrnehmung angeeignet. Seine Landschaftsdarstellungen erfassen so zielsicher das Wesentliche der geographischen Eigenheiten, daß Bilder von ihm beispielsweise zur Illustration des Geographischen Handbuches (Klute) verwendet oder gar als Anschauungstafeln für den Unterricht an den Schulen und Universitäten veröffentlicht wurden. Der heutige Betrachter der Bilder oder Leser seiner Berichte kann eintauchen in das Zeitgeschehen einer fast achtzigjährigen Geschichte. Die gewaltigen Umbrüche, die Kriege, die verschiedenen Herrschaftsformen, die Entwicklung der Technik und Wirtschaft, alles das spiegelt er wider. 

Im „großen Krieg“ 1914 wird er Kriegsmaler, eigentlich Frontmaler, er malt das grausige Geschehen des Stellungskrieges aus der Luft vom Ballon, aus dem Schützengraben oder porträtiert in der Kantine in der Etappe. Allein 1.200 Bilder aus dieser Zeit sind im Zeughaus in Berlin 1945 verschollen. Um beim Arbeiten an seinen Bildern weniger gefährdet zu sein, nimmt er 1915/1916 Einfluß auf die Einführung eines deutschen Stahlhelms. 

Während der Zeit des Nationalsozialismus wird Vollbehr zum Parteigänger Hitlers. Der „Führer“ soll seinen NSDAP-Beitritt trotz einer Aufnahmesperre im Juli 1933 sogar persönlich genehmigt haben. Damit wird er endgültig zum Chronisten der Bewegung, der die großen Ereignisse wie den Bau von Autobahnen, die Olympischen Spiele oder die NS-Parteitage in Nürnberg oder die Feier vor der Feldherrnhalle in München auf Leinwand bannt. Da er seine Wahrnehmung wie bei einer Landschaftszeichnung auf das Gesamtgeschehen richtet, „schmilzt“ das Individuum zu einem Farbtupfer zusammen und bildet damit die „Masse“, die wie aus einem Guß sich abbildet. Nach 1945 gilt Vollbehr damit nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch weitgehend als diskreditiert. In der Sowjetischen Besatzungszone wurden einige seiner bekannten Schriften auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt. 

Sein Werk umfaßt allein bis dahin Tausende Gemälde, Skizzen, Aquarelle und Zeichnungen. In den fünfziger Jahren konnte er nur weniges in Privathand verkaufen. Aber 1956 gelang es dem damaligen Institut für Länderkunde in Leipzig, eintausend Gemälde und dazu Autographen von Ernst Vollbehr zu erwerben. 

Viele Werke Vollbehrs sind bis heute verschollen

Weitere etwa 300 Gemälde und Skizzen befinden sich heute im Militärhistorischen Museum in Dresden. Weltweit sind Werke sehr verstreut vorhanden, viele sind verschollen. All seine gemalten Bilder, seine Fotos und Texte erscheinen durch die umfassende Darstellung in der Biographie wie eine Reportage eines Zeitzeugen der wilhelminischen Zeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Biographie liest sich leicht und schlüssig, die Mühen des Autors, das Vollbehrsche Werk ohne größere Auslassungen zu erschließen und auch um den Menschen dahinter zu begreifen, werden auch durch das vom Verlag gewählte, wohltuend ausgewogene Text-Bild-Verhältnis befördert. Das Buch enthält 331 Abbildungen und acht Karten, 1.040 Anmerkungen und Nachweise, 74 Nachweise (Auswahl) von veröffentlichten Büchern, Bildmappen, Schulwandbildern und Katalogen, viele Belege in Periodika, die von Vollbehr verfaßt worden sind, und ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Der Autor hat mehrere Jahre benötigt, um den eigentlichen Nachlaß von Vollbehr zusammenzutragen und zu ordnen. Wie er berichtet, hat er etwa 250 Archive, Museen und Bibliotheken aufgesucht und über 500 Zeitzeugen gesprochen. Konrad Schuberth hat eine umfassende und erkenntnisreiche Arbeit vorgelegt, die derart reich ausgestattet ist, daß sie zur Quelle für Geographen, Ethnologen, Historiker oder bildende Künstler werden kann. 

Konrad Schuberth: Ernst Vollbehr. Maler zwischen Hölle und Paradies. Eine illustrierte Biographie. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2017, 862 Seiten, 331 Abbildungen, 39,95 Euro