© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Hochpolitische Einheitswerte
Grundsteuer: Kommunen zittern vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Christian Schreiber

Um zwei Steuern kommt keiner in Deutschland herum: die Mehrwertsteuer (JF 2/18), die 2017 fast 90 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spülte, und die Grundsteuer. Letztere summiert sich auf etwa 13 Milliarden Euro jährlich. Nicht nur Grundstückseigentümer müssen die Grundsteuer zahlen, auch Mieter werden abkassiert: Vermieter lassen sie anteilig in die Betriebskostenabrechnung einfließen. Wenn das Finanzamt rückwirkend den Grundsteuerbescheid erhöht, kann der Vermieter sogar nachträglich die Differenz vom Mieter verlangen.

Wie die Mehrwert- ist auch die Grundsteuer eine Folge der deutschen Finanznot im Ersten Weltkrieg: Die Ausschöpfung dieser Steuer wurde verpflichtend. 1936 löste ein reichseinheitliches Grundsteuergesetz die Landesregelungen ab und übertrug die Ertragskompetenz den Städten und Gemeinden. Heute sorgt die Grundsteuer im Schnitt für zehn Prozent ihrer Steuereinnahmen. Besonders kräftig langen Hamburg, Bremen und Berlin sowie NRW, Niedersachsen und Baden-Würtemberg hin.

Die heutige Grundsteuer-Regelung besteht in der alten Bundesrepublik seit 1964. In der DDR wurden die Vorkriegsregelungen weitgehend beibehalten. Die Besteuerung erfolgte nach den sogenannten Einheitswerten vom 1. Januar 1935. Nur für neuere Einfamilienhäuser und Mietwohngrundstücke, für die bis 1990 kein Einheitswert fest lag, wurde eine spezielle Ersatzbemessungsgrundlage geschaffen. Das erklärt, warum in den östlichen Bundesländern die Grundsteuer eher moderat ist.

 Aufgrund steigender Immobilien- preise und Kritik vom Bundesfinanzhof kam es zu Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Und die Karlsruher ließen vorige Woche bei der öffentlichen Anhörung durchblicken, daß sie erhebliche Zweifel haben, daß die jahrzehntealten Bemessungsgrundlagen noch rechtens sind. Sollten die Richter die derzeitige Grundsteuerberechnung für verfassungswidrig erklären, hätte das teure Folgen: alle rund 35 Millionen Grundstücke sowie land- und forstwirtschaftlichen Betriebe müßten neu bewertet werden.

Der Grundstücksspekulation einen Riegel vorschieben?

Ein Berliner Grundstück, das einst in Mauernähe kaum verkäuflich war, ist heute unter Umständen Millionen wert. Gleiches gilt für Strandimmobilien auf Rügen oder Villen am Tegernsee. Häuser in Gelsenkirchen oder Görlitz sind hingegen im Wert gesunken. Experten der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die Stadtkämmerer, Ökologen, Mieter und Konzernlobbyisten vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vereint, fordern eine „reine Bodenwertsteuer“ oder eine „kombinierte Bodenwert- und Bodenflächensteuer“: eine spürbare Grundsteuer auf unbebaute, aber bebaubare Grundstücke in Gemeinden mit Wohnungsnot. Die Abgabe würde im Durchschnitt um das Vier- bis Fünffache ansteigen – und das gewollt: Es entstünde ein Anreiz, Baulücken zu schließen, und der Grundstücksspekulation würde ein Riegel vorgeschoben, erläuterte Dirk Löhr, Steuerprofessor an der Hochschule Trier (Wirtschaftsdienst 11/17).

Aber: Im Mietwohnungsmarkt würde sich die Belastung zwar in etwa halbieren. „Die Grundsteuer für Ein- und Zweifamilienhausgrundstücke würde je nach Lage ansteigen“, so Löhr. Auch das Institut für Wirtschaftspolitik der Uni Köln plädiert für eine Bodenwertsteuer. Der Immobilienverband BID fordert hingegen, eine Grundsteuerreform müsse aufkommensneutral erfolgen. Das Gesamtvolumen dürfe nicht steigen. Struktureller Leerstand müsse angemessen berücksichtigt werden.

Die Mehrheit der Bundesländer wollte 2016 die Grundsteuer nach dem Kostenwertverfahren (Größe, Lage und Verkehrsanbindung des Grundstücks sowie Fläche und Herstellungskosten des Gebäudes) bemessen. Doch daraus wurde nichts, weil dies teilweise zu massiven Steuererhöhungen geführt hätte. Vertreter von Bund und Ländern warnten in Karlsruhe, daß eine Verfassungswidrigkeit der Einheitswerte zum Totalausfall der Grundsteuer führen könnte. Das wäre für Städte und Gemeinden nicht tragbar, und ein neues Gesetzgebungsverfahren könnte bis zu drei Jahre dauern.

Eine Halbierung der Grundsteuer wäre aber durchaus machbar: Die Gesamtheit der kommunalen Kernhaushalte verbuchte laut Bundesfinanzministerium 2017 einen Finanzierungsüberschuß von 7,5 Milliarden Euro.

Bundesweiter Aufruf zur Grundsteuerreform:  www.grundsteuerreform.net

Gutachten für den Immobilienverband BID:  www.bid.info/