© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Die Zeit für eine Einigung drängt
Familiennachzug: Während SPD und Union streiten, sorgt ein EU-Beschluß für weiteren Sprengstoff
Peter Möller

Es gehört zu den Besonderheiten dieser schon jetzt denkwürdigen Berliner Regierungsbildung, daß mit dem Familiennachzug ein Thema im Mittelpunkt steht, bei dem es zunächst einmal überhaupt nicht um die Wähler und damit um die Bürger geht, sondern um Ausländer, von denen die meisten noch nicht einmal in Deutschland leben.

Und auch nachdem der SPD-Parteitag am vergangenen Sonntag in Bonn knapp für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt hat, steht das Thema schon wieder ganz oben auf der innenpolitischen Tagesordnung. Dabei scheint schon vor Beginn der eigentlichen Koalitionsverhandlungen festzustehen, daß beim Familiennachzug das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. 

Großer Widerstand von der Union wird nicht erwartet

Alle Zeichen deuten darauf hin, daß der in den Sondierungsverhandlungen zwischen der Union und der SPD erzielte Kompromiß, nach dem der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus auf eintausend Menschen pro Monat begrenzt werden soll, auf Wunsch der SPD noch einmal verändert wird. Die Sozialdemokraten hatten in den Sondierungsverhandlungen ursprünglich den Zuzug von monatlich zweitausend Familienmitgliedern gefordert. In Berlin wird daher bereits spekuliert, daß die Union in dieser Frage weiter auf die SPD zugehen wird und beide Seiten sich am Ende auf 1.500 Flüchtlinge pro Monat einigen könnten.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner bekräftigte am Dienstag die Forderung seiner Partei: „Das Kontingent muß größer werden, und die Regelungen außerhalb des Kontingents müssen großzügiger gestaltet werden“, sagte er der Rheinischen Post. Es gehe dabei um Menschen aus Syrien, Eritrea, Irak und Afghanistan. Nach Schätzungen gebe es aktuell etwa 60.000 Menschen, die für diesen Familiennachzug in Frage kommen könnten. Allzu groß dürfte der Widerstand nicht sein, den die Union diesen Forderungen entgegensetzen wird. 

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte am Montag bereits die Bereitschaft der Union signalisiert, von den eigenen Positionen abzurücken. So stellte er beim Familiennachzug eine großzügige Härtefallregelung in Aussicht. „Man kann über alles reden. Wenn man an einem Tisch sitzt und verhandelt, dann geht das auch gar nicht anders“, verdeutlichte Kretschmer gegenüber dem Deutschlandfunk. Zwar trage der in den Sondierungen ausgehandelte Kompromiß zur Migration „den Geist der Begrenzung und Steuerung“, über Härtefälle werde man aber im Detail immer sprechen können.

Die Zeit für eine tragfähige Einigung beim Familiennachzug drängt. Mitte März läuft die Aussetzung des Nachzuges für Flüchtlinge mit einem eingeschränkten Schutzstatus aus, Anfang Februar soll der Bundestag entscheiden, wie es weitergeht. Nach den Plänen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird der Nachzug zunächst bis zum Sommer weiter ausgesetzt. Bis zum 31. Juli soll dann eine endgültige Lösung erarbeitet werden, so steht es zumindest im Sondierungspapier von SPD und CDU/CSU. Wie kontrovers das Thema diskutiert wird, zeigte in der vergangenen Woche die Debatte im Bundestag über eine Verlängerung der Aussetzung. Während die AfD-Fraktion, die einen eigenen Antrag zu dem Thema eingebracht hatte, ankündigte, für eine Aussetzung zu stimmen, mahnte die FDP eine Härtefallregelung an, während sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion für einen uneingeschränkten Familiennachzug aussprachen.

EU-Abgeordnete stimmen für Dublin-Änderung 

Für hitzige Diskussionen sorgt unterdessen ein Vorstoß des Europaparlaments zur Änderung der Dublin-Regeln in bezug auf den Familiennachzug, dem auch Europaabgeordnete von Union und SPD zugestimmt haben. Demnach sollen Asylanträge künftig nicht wie bisher in dem EU-Land bearbeitet werden, in das der Asylbewerber zuerst einreist, sondern in dem Land, in dem bereits Angehörige des Asylsuchenden leben. Auf Kritik stößt dabei vor allem, daß die bloße Behauptung einer Familienverbindung ausreichen soll. „Wenn jeder der über 1,4 Millionen Menschen, die seit 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben, zur Ankerperson für neu in der EU ankommende Schutzsuchende wird, reden wir über ganz andere Größenordnungen als bei der Familienzusammenführung“, zitierte der Spiegel den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU). 

Wie schwierig es ist, den Familienstatus von Flüchtlingen zu klären, machte Schröder in der vergangenen Woche im Bundestag deutlich. Auf die Frage des CDU-Abgeordneten Axel Fischer, wie die Familienzugehörigkeit überprüft werde, antwortete Schröder: „Das geschieht natürlich anhand von Dokumenten. Wenn keine Dokumente vorliegen, geschieht das über Befragung oder in Zweifelsfällen mit Hilfe von Speicheltests.“ Vor dem Hintergrund, daß viele Asylbewerber bei der Einreise angeben, keine Ausweisdokumente zu besitzen, läßt vor allem der Hinweis Schröders auf „Befragungen“ aufhorchen – zumal Speicheltests aufgrund des Aufwands nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen und zudem auf massiven Widerstand von Lobby-Organisationen wie Pro Asyl stoßen dürften.

Die Folgen der möglichen Änderungen der Dublin-Regeln könnten für Deutschland „nicht hoch genug“ eingeschätzt werden, mahnten unterdessen die Unionspolitiker Stephan Mayer (CSU) und Stephan Harbarth (CDU) in einem Brief an den Europaabgeordneten Manfred Weber (CSU). „Die Verhandlungen zum gemeinsamen Europäischen Asylsystem dürfen auf keinen Fall dazu führen, daß die ohnehin schon asymmetrische Lastenteilung weiter verschärft wird“, warnten sie. 

Der Vorschlag des EU-Parlaments ist nicht bindend. Die endgültige Entscheidung hierüber trifft der Ministerrat der Europäischen Union. Für die innenpolitische Debatte in Deutschland ist der Beschluß der EU-Parlamentarier dennoch hoch explosiver Sprengstoff.