© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Manipulatoren, Windmühlenkämpfer und Fatalisten
Die „Zeit“-Journalistin Iris Radisch hat eine bemerkenswerte französische Literaturgeschichte über die vergangenen achtzig Jahre vorgelegt
Michael Dienstbier

Selbstverständlich möchte man da lieber mit Sartre irren als mit Houellebecq recht haben“, schreibt Iris Radisch gegen Ende ihres Buches. Auf der einen Seite der fortschrittsgläubige Stalin-Apologet, der Andreas Baader im Gefängnis besuchte, um sich über den revolutionären Ansatz der RAF zu informieren; auf der anderen Seite der große Melancholiker und Pessimist der Gegenwart, der den westlichen Glauben an linearen Fortschritt und Aufklärung für eine erbärmliche Illusion hält. Diese beiden Schwergewichte der französischen Literatur bilden die Klammer in Radischs gerade veröffentlichter Darstellung, welche einen überaus fundierten, hervorragend geschriebenen und stets subjektiven Blick auf achtzig Jahre französischer Literaturgeschichte wirft.

Am Anfang standen die Existentialisten, der legendäre Kreis um Sartre, Camus und Simone de Beauvoir, die nach dem Krieg die intellektuelle Wortführerschaft nicht nur in Paris, sondern in ganz Europa übernahmen. Nah an den Texten und den maßgeblichen Persönlichkeiten gelingt der Autorin eine differenzierte Analyse dieses Intellektuellenzirkels. Gnadenlos rechnet sie mit Sartre und de Beauvoir ab – bis heute das Traumpaar des linksliberalen Establishments –, die im Privatleben eiskalte Manipulatoren ihrer unmittelbaren Umgebung gewesen seien, dabei stets anfällig für die totalitäre Versuchung des Kommunismus.

Daß Literatur, oder besser die entsprechende Reaktion hierauf, immer etwas mit dem jeweiligen Zeitgeist zu tun hat, verdeutlicht Radisch anhand der beiden muslimischen, algerischstämmigen Autoren Boualem Sansal und Kamel Daoud. Beide warnen in ihren Romanen eindringlich vor den Gefahren des Islam und erteilen den multikulturellen Träumen der europäischen Eliten eine drastische Absage; beide wurden vom „Kreis der linksorthodoxen Pariser Intellektuellen“ öffentlich hingerichtet. Hier erinnert Radisch daran, daß Camus einst das identische Schicksal zu erleiden hatte, da er es wagte, den Sowjetkommunismus zu kritisieren, zu einer Zeit, als Väterchen Stalin noch die Hoffnung vieler linker Intellektueller in Europa gewesen ist.

Rückgrat und eine nonkonformistische Attitüde

Am Ende steht Michel Houellebecq,  „ein Literaturterminator mit Schwerbeschädigtenausweis“, der in seinen Büchern das Schicksal des von allen familiären, religiösen und kulturellen Bindungen befreiten Individuums in einer vollständig globalisierten und kapitalisierten Welt beschreibt und dabei den Konformismus seiner Epoche und die naiven Weltverbesserungsträume seiner Vorgänger anprangert. Momente der Erlösung gibt es für die arme Seele nur noch im Swingerclub. Sein 2015 veröffentlichter Roman „Unterwerfung“ ist immer noch das Buch der Stunde, ein gnadenloser Abgesang auf Fortschritt und Aufklärung.

Und warum schreiben die Franzosen nun so gute Bücher? Radisch entwirft das Bild einer lebhaften intellektuellen Szene voller schwieriger, genialischer und sprachbegabter Köpfe, die alle eines gemeinsam hatten bzw. haben: Rückgrat, Überzeugungen und eine nonkonformistische Attitüde. So etwas wünscht man sich auch für Deutschland!

Iris Radisch: Warum die Franzosen so gute Bücher schreiben. Von Sartre bis Houellebecq. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, gebunden, 240 Seiten, 19,95 Euro