© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Probleme mit der Stimme des Rindviehs
Ein neuer Sammelband lotet denkbar einseitig angebliche Populismus-Neigungen des Christentums aus
Felix Dirsch

Vox Populi, vox Rindvieh“, so sagt ein geflügeltes Wort. Es wird dem deutschkonservativen Reichstagsabgeordneten Elard von Oldenburg-Januschau zugeschrieben. Noch unlängst mußte sich jeder Linke und Linksliberale über dieses Bonmot eines rechten Fundamentalkritikers der Volksherrschaft echauffieren. Partizipation wurde lange von Progressiven jeder Couleur als zentraler Wert hochgehalten.

Damit scheint jetzt Schluß zu sein. „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem“, so äußerte sich vor laufenden Kameras der frühere Bundespräsident Joachim Gauck. Überall gelten die terribles simplificateurs als großes Gespenst, das umgeht. „Wir sind das Volk“ – nunmehr eine im Kern antidemokratische Parole! Wenig überraschend stimmt der Amtskirchen-Katholizismus, der wie eh und je dazu tendiert, als Speerspitze des Zeitgeistes zu marschieren, mit den einschlägigen Verdikten der politisch Korrekten überein.

Das Hauptziel des von Walter Lesch herausgegebenen Sammelbandes besteht darin, Anfälligkeiten von Teilen des Christentums für die neuen Versuchungen zu entlarven. Daß Teile der Bevölkerung sich von der abgehobenen medialen und politischen Elite mit ihrem verbreiteten Nanny-Gestus nicht vertreten fühlen, erscheint zu banal, um überhaupt als Grund für aktuelle Konflikte in Erwägung gezogen zu werden. Dieses Manko findet man freilich oft in Schriften über den „Populismus“, der in den letzten Jahren zum Kampfbegriff des Establishments mutiert ist. 

Diskutiert werden in der vorliegenden Schrift vornehmlich von Christen vorgetragene und in der herkömmlichen Moraltheologie verankerte Forderungen: Dazu zählt der Schutz des ungeborenen und behinderten Lebens; weiter der Schutz von klassischer Ehe sowie Familie und damit die Ablehnung einer Neudefinition dieser althergebrachten Einrichtungen; außerdem der kritische Blick auf den Wildwuchs diverser Gender-Phänomene. Hier sehen einige Autoren Berührungspunkte mit den „bösen“ Populisten und formulieren ihre Einwände meist mit moralinsaurem Ton. 

Nur so strotzend vor moralistischer Überlegenheit

Der Sammelband von Walter Lesch umfaßt 16 Aufsätze, die in sechs Abschnitte gegliedert sind: Problemanzeigen, Demokratie, Gemeinschaft, Exklusion und Gewalt, Differenzen kommunizieren und abschließend ein Ausblick. 

Wie diffus die Argumentation stellenweise anmutet, belegt stellvertretend für andere eine kurze Analyse des Beitrages des Wiener Theologen Hans Schelkshorn. Der Autor will die Unvereinbarkeit von neurechter Ideologie und christlicher Moral aufzeigen. Als Beispiel eines Protagonisten neurechter Doktrin erwähnt er den französischen Philosophen Alain de Benoist, der jedoch als Agnostiker christliche Einflüsse auf die Politik ohnehin ablehnt. Im Laufe des Aufsatzes kommt dann der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ins Spiel. Dieser instrumentiert in der Tat die lange christliche Tradition seines Landes in kulturpolitischer Hinsicht, sieht aber ein Bündnis mit den Kirchen nicht als unbedingt notwendig an. Daß er auch Anhänger im Klerus findet, belegt die Ausgangsthese von breiteren „unheiligen Allianzen“ in keiner Weise.

Qualitativ besser ist die Darstellung der Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins über „Christliche Sozialkultur zwischen Kommunitarismus und Individualisierung“. Sie vermeidet freilich einen Bezug zum Titel des Sammelbandes, was wohl nicht zufällig ist. Immerhin kommt in dem Essay des Theologen Gerhard Kruip zum Vorschein, daß der Volksbegriff in diversen theologischen Kontexten der letzten Jahrzehnte bedeutsam ist. Das Zweite Vatikanische Konzil entdeckte den alten Begriff des „Volkes Gottes“ neu. Erst recht rekurrieren Theologen in durchaus fortschrittlicher Absicht auf diese theologische Kategorie, die lange aus dem Zentrum von Kirche und Theologie verschwunden war. Der progressive Gehalt des Begriffs vom „Gottesvolk“ liegt auf der Hand: Man kann damit die Aussage verbinden, nicht nur klerikale Eliten besitzen in der Kirche die Befähigung zur Verkündigung des Wortes Gottes.

Charakteristisch für das Niveau des Bandes ist die Polemik des Sozialethikers Andreas Lob-Hüdepol („Wider den Populismus!“). Sie beachtet nicht einmal die simpelsten Regeln des Wissenschaftsbetriebes. Bekanntlich ist zwischen Faktendarstellung und Kommentar klar zu unterscheiden. Vor moralistischer Überlegenheit nur so strotzend, betet Lob-Hüdepol die Litanei von Ausländerfeindlichkeit über Islamophobie und Antisemitismus bis Homophobie der imaginierten Gegner von Toleranz und Weltoffenheit herunter. 

Besonders skandalös ist es, wenn er über die Entlassung eines 59jährigen Sozialpädagogen aus Hannover mit „rechtspopulistischen Überzeugungen“ berichtet. Daß es sich bei einer solcher Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses vermutlich um gesinnungsschnüfflerische, arbeitsrechtswidrige Menschenfeindlichkeit pur handelt, davon hören wir bei Lob-Hüdepol nichts. Dieser erörtert stattdessen im kryptischen Jargon „Menschenrechtsansprüche einschlägig vulnerabler Menschen(gruppen)“, zu denen die, die „schon länger hier leben“ (Angela Merkel), bestenfalls noch als Geduldete zählen.

Von den überwiegend feindbildproduzierenden Verfassern geht niemand auf die – ohnehin marginalen – tatsächlichen Schnittmengen von Christentum und „Populismus“ ein. Einen Versuch, konservativ-christliches Gedankengut im Rahmen der Alternative für Deutschland zu vertreten, bietet der Arbeitskreis „Christen in der AfD“. Dessen Programm zu analysieren, darf als Ausgangspunkt seriöser Überlegungen gelten. Wer den tendenziösen Duktus des Sammelbandes verfolgt, ist nicht erstaunt, daß an derartigen Erörterungen keinerlei Interesse besteht.

Walter Lesch (Hrsg.): Christentum und Populismus. Klare Fronten? Verlag Herder, Freiburg i. Brsg. 2017, gebunden, 228 Seiten, 24 Euro