© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Der moralische Diskurs kreist um sich selbst
Vortrag: Kultur- und Wissenschaftsjournalist Alexander Grau in der Bibliothek des Konservatismus
Ronald Berthold

Enormer Andrang herrschte vergangene Woche in der Bibliothek des Konservatismus. Der vor allem durch seine Cicero-Kolumnen „Grauzone“ bekannte Publizist Alexander Grau zog mit 130 Besuchern weit mehr Menschen an, als in dem bis auf den letzten Stuhl gefüllten Veranstaltungssaal Platz finden konnten. Etliche mußten wegen Überfüllung wieder gehen. „Wir haben sehr vielen Leuten leider absagen müssen“, so Bibliotheksmitarbeiter Norman Gutschow.

Grau stellte seinen Essay-Band „Hypermoral – Die neue Lust an der Empörung“ vor. Zuvor ordnete er den Begriff Moral in die Geschichte des Konservatismus ein. Konservative seien über eine lange Zeit die Hüter der Moral gewesen, sagte er. „Es muß sich einiges gewandelt haben, wenn diese Menschen jetzt den Eindruck haben, es gebe zuviel Moral.“

Wertewandel wird zum Wert an sich erklärt

Dabei stellte der 49jährige fest, die „althergebrachten Machtverhältnisse“ hätten sich geändert. Erstmals seien die Konservativen in der Wirtschaft, den Medien und im Kulturbetrieb in die Opposition geraten. Der Konservatismus entfalte nun ein „subversives Potential“ und verbreite die „skandalöse, ja befreiende Botschaft, Fortschritt ist vermeidbar“.

Das Streben nach immer mehr Diversität, Globalisierung und Individualismus nehme auch „totalitäre Züge“ an, weil es sich als „alternativlos“ darstelle. Der Wertewandel werde zum Wert an sich erklärt. Der Konservative wolle der Ideologie der Offenheit widerstehen und werde somit zum moralischen Nonkonformisten.

Moralische Urteile seien heute Ausdrücke „persönlicher Auffassungen und nicht rational begründet“. Für die von ihm diagnostizierte Hypermoral sieht der promovierte Philosoph mehrere Ursachen. Eine sei die Säkularisierung: „Moral als Religionsersatz“. Auch die Individualisierungsprozesse und die Empörung in den Massenmedien begünstigten, daß der moderne moralische Diskurs um sich selbst kreise. Dabei sei die „Penetranz auffällig und erklärungsbedürftig“. Moral sei heute eine „wunderbare rhetorische Ausgangsposition, um Gegenargumente im Keim zu ersticken“.

Anschließend las der Autor aus zwei Kapiteln seines Buches und stellte sich den Fragen des Publikums. Dabei wurde deutlich, daß Grau seine Stärken nicht nur in einer brillanten, intellektuell-zugespitzten Schreibe hat, sondern auch in der spontanen Diskussion.