© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Bei der Diskussion über die Bedeutung der „Vierzehn Punkte“, mit denen der US-Präsident Woodrow Wilson am 8. Januar 1918 seinen Vorschlag für einen Frieden ohne Sieger und Besiegte in Umlauf brachte, werden regelmäßig die psychologischen Folgen beiseite gelassen. Die Alliierten ließen den Text ins Deutsche übersetzen, massenhaft auf Flugblätter drucken und jenseits der deutschen Linien abwerfen. Die Wirkung war erheblich. Die Hoffnung auf einen „Wilson-Frieden“ hielt bis zum Frühjahr 1919, und der Präsident galt selbst in den Reihen der politischen Rechten als eine Art Messias. Um so größer war die Empörung angesichts der Aufrechterhaltung der alliierten Blockade und der Forderungen des Versailler Diktats, das mit dem Kriegsschuldparagraphen, den Reparationsforderungen und der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker für die Deutschen allen Prinzipien widersprach, die Wilson proklamiert hatte. Und mehr noch: Als im August 1941 Churchill und Roosevelt mit der „Atlantik-Charta“ ein ganz ähnliches Programm formulierten wie es in den „Vierzehn Punkten“ gestanden hatte, mußte sich die NS-Propaganda nicht besonders anstrengen, um es vollständig zu diskreditieren. Seitdem oszilliert das deutsche Kollektivbewußtsein zwischen der regelmäßig wiedergewonnenen Naivität, die es erlaubt, amerikanische Parolen für bare Münze zu nehmen, und der Erbitterung über Washingtons Perfidie.

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Aus einem Interview der Bild am Sonntag mit August Hanning, Ex-Chef des BND. „Erst vor zwei Wochen hatte de Maizière im BamS-Interview gesagt, daß Deutschland im vergangenen Jahr sicherer geworden sei. Hannings Meinung? Kein Kommentar.“ (Bild am Sonntag vom 31. Dezember 2017)

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Der von der linksradikalen Partei Podemos gestellte Ratsvorsitzende des Madrider Stadtteils Vallecas hat angeordnet, daß der traditionelle Umzug der Heiligen Drei Könige durch einen der „Drei Königinnen“ – eine Dragqueen, eine Kabarettänzerin, eine Hiphopkünstlerin – ersetzt werde. Man präsentierte sie auf einem Wagen in glitzernden Showkostümen, über ihnen wehte die Regenbogenfahne und der Aufzug erinnerte nicht zufällig an eine Gay-Pride-Parade. Zu allem Überfluß trat an die Stelle der Verehrung der Heiligen Familie die einer „diversifizierten“: zwei „Mütter“ samt Zwillingen.

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Realutopie: Der WDR kündigt für den 14. Februar einen abendfüllenden Spielfilm unter dem Titel „Aufbruch ins Ungewisse“ an. Die Handlung: Nächstens versinkt Europa im Chaos, die Wirtschaft kollabiert, in Deutschland haben rechte Populisten die Macht übernommen und verwirklichen ihre finsteren Absichten. Das heißt, die Demokratie ist abgeschafft, Liberale, Moslems und Homosexuelle werden brutal verfolgt. Daraufhin fliehen die Menschen vom alten auf den Schwarzen Kontinent. Mit überladenen Schlauchbooten wagen sich die Unglücklichen aufs Mittelmeer. Sehnsuchtsziel ist Südafrika, wo man Freiheit und Sicherheit finden wird.

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Nach der Erhebung des Edelman Trusts leidet das westliche politische System unter einem dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust. In Frankreich und in Italien gaben 72 Prozent der Befragten an, daß sie seine Fortdauer für unwahrscheinlich halten. Diese Einschätzung steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu der Auffassung in jenen Ländern, die relativ weit entfernt sind von einer Demokratie unseres Stils – Hongkong, Singapur, China –, wo man aber immer noch beeindruckt ist von der Leistungsfähigkeit des euro-amerikanischen Modells. Deutschland rangiert wie Großbritannien und die USA im Mittelfeld, aber auch hier ist eine Majorität – 62 Prozent der Befragten – überzeugt, daß es zu einer Existenzkrise kommen werde.

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Palm Springs, die US-Stadt mit einer Bevölkerung von etwa 50.000 Menschen, kann sich seit Jahresbeginn rühmen, den ersten Stadtrat zu haben, in dem sich kein „Hetero“ mehr findet. Aufgrund der Anziehungskraft des Ortes in Kalifornien auf eine entsprechende Klientel, besteht die Volksvertretung jetzt aus drei homosexuellen Männern, einer bisexuellen Frau und einem Transsexuellen.

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Bildungsbericht in loser Folge: Die Pläne der kommenden Regierung, das „Kooperationsverbot“ auf dem Bildungssektor zwischen Bund und Ländern aufzuheben, findet fast einhellige Zustimmung. Es sei nur warnend darauf hingewiesen, daß alle Länder, die seit jeher eine zentralistische Schul- und Hochschulpolitik pflegen – Großbritannien, Frankreich, Spanien etwa – dafür mit einem dramatischen Niveauverfall gezahlt haben, sobald die fortschrittlichen Kräfte den einen entscheidenden Hebel in die Hand bekamen. Dagegen hat der Bildungsföderalismus in Deutschland, wenn zu sonst nichts, dann doch dazu geführt, daß der Niedergang nicht überall in demselben Tempo verlaufen konnte.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. Februar in der JF-Ausgabe 6/18.