© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Containerriesen reisen bald selbstständig
Automatisierung: Was vom kaiserzeitlichen Traumberuf Matrose übrig blieb
Stefan Michels

Zweihundert Jahre nach der Einführung des Schiffsmotors erfaßt die industrielle Revolution nach der Antriebseinheit nun auch die Steuerungseinheit. Selbstfahrende Wasserfahrzeuge, so aktuell vorangetriebene Pläne in der Schiffahrt, sollen in den kommenden Jahren Mannschaft und Kapitän an Bord überflüssig machen. Der norwegische Chemie- und Agrarkonzern Yara plant in diesem Jahr die Fertigstellung und Inbetriebnahme des ersten selbstfahrenden Handelsschiffes. 

Die „Yara Birkeland“ soll in der Lage sein, selbständig die Fahrroute festzulegen und das An- und Ablegemanöver auszuführen. Die Ladung besteht aus Düngemittel, das von einer Fabrik in Südnorwegen 60 Kilometer weit in die Hafenstadt Larvik transportiert werden soll. Am Pier wird der Frachter automatisch von Elektrokränen be- und entladen. Zur eigenständigen Navigation entlang der norwegischen Küste verwendet das Schiff GPS, Kameras, Radar, Laserradar (Lidar) und weitere Sensoren. Der Antrieb erfolgt durch eine Batterie. Entwicklungspartner ist der norwegische Hochtechnikproduzent Kongsberg Gruppen.

Hohe Anschaffungskosten – dafür günstig im Betrieb

Die Anschaffungskosten belaufen sich auf 25 Millionen Dollar, rund das Dreifache der Kosten eines konventionellen Frachtschiffs dieser Größe. Durch die Reduzierung der laufenden Kosten für die Besatzung und den Treibstoff um bis zu 90 Prozent soll das Schiff trotzdem rentabel sein. Neben der Wirtschaftlichkeit argumentieren die Norweger auch mit der Umweltverträglichkeit. 

Der Wassertransport soll jährlich vierzigtausend Fahrten von Lkws mit Dieselmotor über die Landstraße ersetzen und so die lokale Luftbelastung an Stickoxid und Kohlenstoffdioxid verringern. „Wir wollen null Emissionen“, erklärt Yaras Projektleiter Petter Østbø. „Selbst wenn einige sagen, daß der Klimawandel keine Realität sei, ist er eine geschäftliche Realität, da saubere Energiequellen preiswerter sind als fossile Brennstoffe.“ 

Wie stark sich die Umweltbilanz gegenüber einem herkömmlichen, mit Schwer- und Dieselöl betriebenen Frachtschiff verbessert, eröffnet der Konzern nicht.

Die Automatisierung des Fahrbetriebs ist in drei Stufen geplant: Zunächst dient ein einzelner Container an Bord als bemannte Kommandobrücke. Dann wird der Container an Land gebracht, von wo das Schiff ferngesteuert wird. Im letzten Schritt soll der Frachter unter landgestützter Beaufsichtigung autonom das Meer befahren, was der Vorstandsvorsitzende von Kongsberg Gruppen, Geir Håøy, mit dem „Fliegen einer Drohne von einem Kommandozentrum“ vergleicht.

Für Yara soll der küstennahe Betrieb der „Birkeland“ nur den Auftakt bilden. Østbø kann sich vorstellen, den Dünger mit selbstfahrenden Schiffen direkt über den Atlantik zu den Zielmärkten zu befördern. Dazu bedürfte es allerdings einer Anpassung des bestehenden Seerechts, das eine ausreichende Besatzung in internationalen Gewässern vorschreibt. Autonome Fahrsysteme befinden sich bislang in einer Beobachtungs- und Bewertungsphase durch die verantwortliche Internationale Seeschiffahrtsorganisation. Eine rechtliche Neuregelung wird nicht vor 2020 erwartet. Überdies setzen dem Aktionsradius vorerst auch betriebswirtschaftliche Risiken eine Grenze. Im Falle eines Schadens auf hoher See wäre das Einfliegen von Reparaturtrupps mit „sehr hohen Kosten“ verbunden, so der dänische Schiffahrtsberater Lars Jensen. Viele Fachleute erwarten deshalb, daß sich die Nachfrage nach vollautomatisierten Schiffen auf absehbare Zeit auf Kurzstrecken beschränken wird.

Die Zukunft der Schiffahrt auch fürs Militär

Bereits 2016 hatte der britische Konzern Rolls-Royce eine Konzeptstudie veröffentlicht, in der selbstfahrende Schiffe „als die Zukunft der Schiffahrtsindustrie“ angepriesen wurden. Ähnlich wie bei den Norwegern geht die Überlegung dahin, Drohnenschiffe mit Hilfe moderner Überwachungstechnik von einer Kommandozentrale an Land fernzusteuern. Die Technik soll bei Küstenfahrzeugen wie Fähren und Schleppern ab 2020 erprobt werden und innerhalb von fünfzehn Jahren zu einer Reife geführt werden, die es Hochseeschiffen erlaubt, unbemannt und autonom die Ozeane zu befahren. „Es ist keine Frage ob, sondern wann. Die Technologie, um ferngesteuerte und autonome Schiffe Wirklichkeit werden zu lassen, existiert“, so der Vizepräsident für maritime Innovationen Oskar Levander.

Auch in Fernost wird die Entwicklung forciert. Mehrere japanische Schiffbauer und Schiffahrtsgesellschaften planen, ferngesteuerte Handelsschiffe ab 2025 auf den Markt zu bringen. 250 intelligente Schiffe sollen mit Sensoren und durch Zugriff auf das Internet alle notwendigen nautischen Informationen sammeln können, um den kürzesten und sichersten Kurs auf den internationalen Handelsrouten selbständig zu bestimmen.

Am weitesten scheint die Entwicklung indes im militärischen Bereich zu sein. Die US-Marine testet seit 2016 unbemannte Kampfschiffe, die im Stile von Drohnen die Meere patrouillieren und militärische Schläge ausführen können. Die 40 Meter lange Sea Hunter, ein unbewaffneter Prototyp, soll sich bis drei Monate am Stück auf hoher See aufhalten können und bei der U-Boot-Jagd zum Einsatz kommen. „Das ist ein Wendepunkt“, sagte der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Robert Work anläßlich der Schiffstaufe. „Wir haben zum ersten Mal ein vollkommen robotisches, hochseetüchtiges Schiff.“

Der Vorteil in der Verwendung derartiger Roboterschiffe liegt in der Kosten­ersparnis. Mit 15- bis 20.000 Dollar betragen die täglichen Betriebskosten nur den Bruchteil eines bemannten Kriegsschiffs. Washington sieht sich durch Rußland und vor allem China herausgefordert, dessen wachsende U-Boot-Flotte als eine Bedrohung für die Trägerverbände betrachtet wird, auf denen die Luft- und Seeherrschaft der USA im Pazifik nach wie vor beruht. Bis 2021 soll der Prototyp zur Serienreife gebracht werden und, so Work, im Pazifik und im Persischen Golf in Flottillenstärke kreuzen.

Die zunehmende Autonomie von Kampfeinheiten zu Wasser und in der Luft birgt die Gefahr, daß unschuldige Menschen durch Roboterentscheidungen getötet werden können. Zwar versicherte Work, daß die Befehlsgewalt für den Einsatz offensiver tödlicher Gewalt stets in Menschenhänden bleiben würde. Unklar ist aber, ob derartige Waffensysteme im automatisierten Defensivmodus überhaupt „intelligent“ genug sind, vermeintliche von echten Bedrohungen zu unterscheiden. Mittelfristig könnte das Militär versucht sein, weitere Kommandogewalt an die automatisierten Einheiten zu übertragen, um auf dem Schlachtfeld Wettbewerbsvorteile zu erlangen, wie etwa den aus einer verkürzten Befehlskette resultierenden Zeitgewinn. Gänzlich ignoriert wird die Möglichkeit, daß dereinst Computersysteme mit eigenem Bewußtsein die Herrschaft über vollautomatisierte Kampfroboter gewinnen können. Daß die Furcht vor einem derartigen „Skynet“-Szenario bereits tief im kollektiven Unterbewußtsein der Menschheit verankert ist, beweist der Welterfolg der „Terminator“-Serie.

Amerikaner haben Angst vor Hacker-Attacken

Zukunftsnäher sind Sorgen, daß fahrerlose Autos von Kriminellen gehackt werden könnten. Drei Viertel aller Amerikaner äußerten in einer Umfrage die Befürchtung, daß Hacker die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen können. Gleichwohl waren fast vierzig Prozent der Ansicht, daß selbstfahrende Wagen im Straßenverkehr sicherer als der durchschnittliche Fahrer sein werden. Dennoch haben einer anderen US-Studie zufolge drei Viertel aller Bürger Angst, sich in ein derartiges Automobil zu setzen.

In den Vereinigten Staaten bedroht die Zukunftstechnik die Arbeitsplätze von knapp vier Millionen Kraftfahrern. Das Handelsministerium stuft die Berufsaussichten der überwiegend älteren Arbeitnehmer langfristig als negativ ein. Die fast zwölf Millionen Berufstätigen, für deren Berufsausübung das Auto wichtig, aber nicht der Hauptfaktor ist, könnten dagegen „von größerer Produktivität und besseren Arbeitsbedingungen profitieren“, so eine Studie des Ministeriums.

In Österreich sind allein in der Transportbranche siebzigtausend Jobs von Kraftfahrern in Gefahr. Fachleuten zufolge könnten selbstfahrende Laster bereits in zehn Jahren auf der Straße rollen. Wie in der Schiffahrt dürfte der Automatisierungsprozeß stufenweise erfolgen. Besonders betroffen wird zunächst der Autobahnverkehr sein. Das Land kömmte mit sogenannten „Hub“-Stationen in Ballungsgebieten und an Verkehrsknotenpunkten überzogen werden, zwischen denen die Lastwagen sich autonom hin- und herbewegen. Die übrige Wegstrecke zwischen den Hubs und den Anfangs- und Endpunkten der Fahrt übernähme weiterhin ein Mensch.

In der Anfangsphase werden Fahrer an Bord sein, um bei komplexen Verkehrssituationen das Steuer zu übernehmen. Die Handhabung der elektronischen Fahrsysteme macht für die Fahrer einen steigenden Schulungsbedarf notwendig. Nach Vorstellung der Entwickler sollen die Lkws auf der Autobahn in Kolonnen fahren, um den Kraftstoffverbrauch zu senken und den Fahrern die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen zu ermöglichen. 

Bis auch der Stadtverkehr von Roboter-Lastkraftwagen bewältigt werden kann, könnten nach Ansicht von Experten noch vierzig bis sechzig Jahre vergehen. Gleichwohl befinden sich etwa in Salzburg schon Stadtbusse in der Erprobung.